Biometrie-Verfassungsbeschwerde: Das endlose Warten

Seit Januar 2008 liegt dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde u.a der Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh gegen den biometrischen Reisepass vor. Getan hat sich seitdem allerdings wenig.

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Von
  • Marvin Oppong

Die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh hat bereits im Januar 2008 gemeinsam mit dem Leipziger Rechtsanwalt Frank Selbmann beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde (PDF-Datei) gegen den biometrischen Reisepass eingelegt. Getan hat sich seitdem jedoch wenig. "Die Entscheidung steht immer noch aus. Wir wissen leider nicht, warum es so lange dauert. Wir fragen immer regelmäßig nach, ohne eine konkrete Antwort zu bekommen", schildert Zeh.

Zeh und Selbmann sehen in der seit dem 1. November 2007 obligatorischen Speicherung der Fingerabdrücke und eines biometrischen Fotos beim ePass einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Für sie sei es "eine entwürdigende Vorstellung", ihre Fingerabdrücke abgeben zu müssen wie eine Kriminelle, sagt Zeh.

Die Beschwerdeführer kritisieren den Einsatz biometrischer Erfassung außerdem als "unverhältnismäßig". Durch den ePass werde weder der "Reiseverkehr erleichtert" noch biete dieser "einen effektiven Schutz vor terroristischen Anschlägen". Aber auch gegen die bestehende Missbrauchsgefahr bei biometrischen Ausweispapieren richten sich die beiden. So könnten etwa Kriminelle aus dem auf dem ePass vorhandenen RFID-Chip "Fingerabdrücke auslesen und missbrauchen". Bereits im Jahr 2002 hatte der Chaos Computer Club (CCC) gemeinsam mit c't gezeigt, wie leicht sich Biometriesysteme austricksen lassen. Zwei Jahre später veröffentlichte der CCC dann eine Anleitung für das Kopieren von Fingerabdrücken.

Mit einfachen Haushaltsmitteln hergestellter künstlicher Fingerabdruck

Zeh und Selbmann sehen zudem ihre Berufsfreiheit als verletzt an. Beide seien "aus beruflichen Gründen auf einen gültigen Reisepass angewiesen". Bei der Beantragung eines neuen Passes wären sie jedoch gezwungen, "bei der zuständigen Behörde ihre Fingerabdrücke abzugeben". Die Bücher der Schriftstellerin seien in zahlreiche Sprachen übersetzt worden, weshalb die Teilnahme an internationalen Literaturfestivals für sie unerlässlich sei. Die Autorin fordert: "Karlsruhe muss jetzt unbedingt tätig werden, zumal man inzwischen über unzählige Verfassungsbeschwerden entschieden hat, die nach unserer eingereicht wurden."

Die Beschwerde ist vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts anhängig. Vorsitzender ist der Vizepräsident des BVerfG, der Tübinger Finanz- und Steuerrechtler Ferdinand Kirchhof. In der Verfassungsbeschwerde wird auch die Rolle des früheren Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) bei der Gesetzgebung für den biometrischen Pass und Personalausweis angesprochen. Schily war nicht nur als Politiker an der Einführung biometrischer Ausweispapiere beteiligt, sondern gehörte auch dem Aufsichtsrat des Biometrie-Unternehmens Biometric Systems AG an und erwarb eine Beteiligung an dem Sicherheitstechnologie-Anbieter Safe ID Solutions.

Zeh erklärt, das Bundesverfassungsgericht habe nichts dazu gesagt, wann es endlich zu einer Entscheidung kommt. "Wir warten bereits seit Jahren. Ich dachte, bei einer so wichtigen verfassungsrechtlichen und auch politischen Frage wäre man in Karlsruhe auf eine schnelle Entscheidung bedacht", betont die promovierte Juristin.

Allerdings kämpfen die Karlsruher Richter generell mit einer großen Zahl anhängiger Verfahren. So standen im Jahr 2011 beim Bundesverfassungsgericht 5914 Verfassungsbeschwerden 6036 Neueingänge gegenüber. Beim Ersten Senat waren Ende 2010 noch rund 1700 Verfassungsbeschwerden aus Vorjahren anhängig. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, schlug deshalb sogar schon eine Gebühr für offenkundig aussichtslose Verfassungsbeschwerden vor.

Ein öffentliches Interesse an der Verfassungsbeschwerde von Zeh und Selbmann ist jedoch vorhanden – schließlich besitzt die überwiegende Zahl der erwachsenen Deutschen einen Reisepass. "Ich bekomme immer wieder Mails von hilfesuchenden Bürgern, die mich fragen, wann sie denn endlich erfahren, ob es irgendwann wieder Pässe ohne Fingerabdrücke geben wird", verdeutlicht Zeh: "Das Bedürfnis nach Klarheit ist groß." (pmz)