Drupal-Projektleiter spricht über Drupal 8

In einem Interview mit heise open, das auf der DrupalCon in München geführt wurde, spricht Projektleiter Dries Buytaert über die nächste Version des Open-Source-CMS und die Entwicklung des Drupal-Projekts.

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Von
  • Karsten Violka

Heiß diskutiert werden auf der DrupalCon in München die Funktionen des nächsten Major-Release Drupal 8, das die Community innerhalb des nächsten Jahres fertigstellen will. Weitere Schwerpunkte der Konferenz sind Open Data und offene Schnittstellen, mit denen sich Anwendungen über Systemgrenzen hinweg verknüpfen lassen.

Wir hatten die Gelegenheit, mit Drupal-Oberhaupt Dries Buytaert darüber zu sprechen, was die Zukunft für Drupal 8 und die Drupal-Community bereit hält.



heise open
: Herr Buytaert, bitte erklären Sie unseren Lesern in kurzen Worten: Was ist Drupal?

Buytaert: Die einfachste Beschreibung: Drupal ist Software, die verwendet wird, um Websites zu bauen. Dabei hat Drupal ein paar Besonderheiten: Es ist Open Source und sowohl ein Werkzeug für Endanwender als auch ein Framework für PHP-Entwickler.

Endanwender laden Drupal herunter, installieren es auf einem Server und erstellen damit ihre Websites. Entwickler können es leicht um neue Funktionen erweitern. Drittens ist Drupal aber auch eine sehr leidenschaftliche Community aus Software-Entwicklern, Anwendern und anderen Unterstützern des Projekts.

Drupal ist heute ziemlich groß: Eine von 50 Websites läuft mit unserer Technik. Auf der ganze Welt steuern tausende von Entwicklern Code bei, es gibt etwa 15.000 Module. Wir organisieren große Events wie das heutige (die DrupalCon in München), für das wir alle 1800 Tickets verkauft haben. Das ist für eine Technologiekonferenz in Deutschland ziemlich groß.

heise open: Die DrupalCon findet zum ersten Mal in Deutschland statt. Was ist aus Ihrer Sicht besonders am deutschen CMS-Markt? Wie ist Ihre Perspektive als Europäer und als Bewohner der USA?

Buytaert: Es ist merkwürdig: Viele Open-Source-Projekte werden in Europa ins Leben gerufen, kommerzialisiert werden sie dann aber zuerst in den USA. Ich denke, das trifft auch auf Linux zu. Drupal habe ich in Belgien gestartet, die ersten Drupal-Unternehmen wurden aber in den USA gegründet. Europa holt jetzt auf, aber die Risiko-Bereitschaft ist hier nicht so ausgeprägt.

In 2004 haben Leute in den USA gesagt: Wir gründen ein Unternehmen, das ausschließlich Drupal-Dienste anbietet. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis das auch in Europa passierte. Europa war mit der kommerziellen Nutzung hinterher, aber der Markt wächst schnell und ist heute vermutlich ebenso groß wie in den USA.

Normalerweise würde man denken, dass England, die Beneluxländer und Deutschland die größten Märkte in Europa sind. Aber in Deutschland ist Typo3 sehr stark und Drupal etwas weniger populär. Deswegen ist es aufregend, dass wir hier sind. Die DrupalCon bringt in München viele Europäer und Deutsche zusammen, die mit Drupal arbeiten. Wir hoffen, dass damit die Dinge in Deutschland etwas in Fahrt kommen.

heise open: Sie sind sowohl der Gründer des Open Source Projekts, als auch der Chef der Firma Acquia, die mit Drupal kommerzielle Ziele verfolgt. Ist das ein Interessenskonflikt?

Buytaert: Acquia ist nicht das einzige Drupal-Unternehmen. Aber wir nehmen eine besondere Rolle ein, weil wir das größte sind. Ich habe das Drupal-Projekt und Acquia gegründet und finde, dass das Sinn ergibt.

Drupal habe ich in meiner Freizeit siebeneinhalb Jahre lang als Hobbyprojekt entwickelt, neben meiner eigentlichen Arbeit und an den Wochenenden. Als ich mein Studium beendet hatte, wollte ich kein Akademiker sein, obwohl mir das Spaß machte. Ich war von der Idee begeistert, ein Startup zu gründen.

Dabei wollte nicht mit meinen Drupal-Freunden konkurrieren und einfach ein weiteres Beratungsunternehmen sein. Stattdessen fokussiert sich Acquia auf Partnerschaften; wir haben mehr als 400 Partnerunternehmen. Die Leute fragen mich, ob das ein Interessenskonflikt sei. Aber stellen Sie sich vor, ich hätte Acquia nicht gegründet -- ich könnte noch heute nur als Hobby an Drupal arbeiten. Dank der Firma konnte ich eine Menge Dinge für Drupal tun und reisen.

Ein wichtiger Teil meines Jobs ist es, die richtige Perspektive einzunehmen und sie in eine Vision zu übersetzen. Dank Acquia konnte ich mit vielen Menschen sprechen, etwa mit Entwicklern in Indien und den größten Drupal-Anwendern der Welt: dem Weißen Haus, der New Yorker Börse. Und ich konnte all diese Informationen sammeln und tue mein Bestes, dies in eine Vision für unser Projekt zu übersetzen.

heise open: Was ist das für ein Gefühl, eines der größten Open-Source-Projekte zu leiten?

Buytaert: Ich liebe, was ich tue. Ich glaube aber nicht, dass es mir im Blut liegt, im Rampenlicht zu stehen. Im Grunde bin ich "aus Versehen" zum Projektleiter geworden, das war nicht unbedingt geplant. Meine Gedanken waren eher "Hm, was passiert jetzt? Oh, jetzt leite ich dieses Projekt". Es ist großartig, mit so vielen Menschen zu arbeiten und jeden Tag von so viel Leidenschaft umgeben zu sein. Manchmal fühlt sich die Führungsrolle aber für mich etwas unangenehm an.

heise open: Wie entwickeln Sie die Projektstrukturen weiter?

Buytaert: Zu meiner Arbeit an Drupal gehören verschiedene Dinge. Ich entscheide, welche Funktionen in die nächste Drupal-Version aufgenommen werden und entwickle die Vision. Ich arbeite auch mit verschiedenen Gruppen innerhalb der Drupal-Community zusammen, um das Projekt für die wachsenden Anforderungen und Entwicklerzahl zu skalieren.

Ich versuche, etwas mehr Strukturen in Bereichen zu etablieren, die im Moment unser Wachstum behindern. Ganz am Anfang konnte ich noch alles selbst machen, dann habe ich Dinge delegiert. Wir brauchen ein wenig Infrastruktur und Entscheidungsprozesse. Vor kurzen haben wir in einem "Governance Sprint" einen Plan ausgearbeitet und der Community vorgestellt, den wir nun implementieren müssen. Dazu gehört, ein paar weitere Projektleiter zu wählen, die für bestimmte Drupal-Teile verantwortlich sind.

Ich denke, viele Projekte werden nicht groß, weil sie sich selbst nicht skalieren können. So etwas frustriert, Menschen verlassen ein Projekt. Natürlich gibt's auch bei uns Frustration, aber ich glaube, wir haben in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet.

heise open: Wie sehen Sie die Entwicklung des Web in den nächsten Jahren? Was kann Drupal beitragen?

Buytaert: Ich denke, es ist recht klar: Mobiles Internet ist ein großes Thema. Als wir vor zwölf Jahren mit Drupal begannen, gab es keine mobilen Geräte. Selbst vor drei Jahren verursachten mobile Geräte kaum nennenswerten Traffic. Das ändert sich nun schnell. Es gibt Leute, die vorhersagen, dass das mobile Internet größer sein wird als das traditionelle Desktop-Web.

Deshalb müssen wir Drupal rebooten und überdenken, wie wir mobiles Web im Kern verankern. Vor eineinhalb Jahren sagte ich auf der DrupalCon in Chicago: Würde ich heute mit Drupal von vorn anfangen, würde ich es zuerst für mobile Geräte entwickeln, der Desktop käme erst an zweiter Stelle. Wir versuchen Drupal zu einem der besten Frameworks für mobile Webanwendungen weiterzuentwickeln.

Ein anderer Trend ist es, unterschiedliche Systeme miteinander zu verbinden, durch lose gekoppelte Integration. Ursprünglich haben die Leute statische Seiten erstellt. Dann haben sie die Seiten um soziale Interaktionen erweitert. Das war toll: Dinge kommentieren, darüber diskutieren, Abstimmungen, Twitter und Facebook-Integration, solche Dinge. Im Moment scheint mir, die nächste Stufe ist das "Web Engagement Management". Mit Analyse des Nutzerverhaltens und Personalisierung will man den Besuchern ein noch besseres Erlebnis bieten. Der Weg, um das zu erreichen, ist die Website mit externen Diensten zu verknüpfen, etwa Salesforce, SugarCRM oder einem anderen CRM-System. Fortgeschrittene Analysesysteme können den Besuchern Inhalte empfehlen, die sie interessieren.

Solche Systeme bauen heute Organisationen, die ein großes Budget haben. Ihr Ziel ist es, die Besucher zu Transaktionen zu animieren -- sei es, in Online-Shops einzukaufen oder sich für einen Newsletter anzumelden. Dieser Trend wird sich auch auf kleinere Seiten übertragen. Die Integration findet über Web Services statt, ein weiteres großes Thema, das wir in Drupal 8 umsetzen.

Früher wurden Websites von der IT-Abteilung gebaut, heute ist oft die Marketingabteilung dafür verantwortlich. Die Autoren der Inhalte werden viel stärker einbezogen. Wir müssen weiterhin IT-Mitarbeiter von Drupal überzeugen, zunehmend aber auch Nicht-ITler.

Das iPhone und die Cloud haben es sehr leicht gemacht, Apps einzusetzen. Früher durften Unternehmensanwendungen hässlich und klobig sein und es hat niemanden wirklich gestört. Heute verwenden unterschiedliche Menschen unsere Technologie. Sie erwarten, dass die Programme genauso schön und cool zu bedienen sind, wie ihr iPhone.

heise open: Welche Neuerungen dürfen wir in Drupal 8 erwarten?

Buytaert: Über das Thema mobile Geräte habe ich bereits angesprochen. Sieht man genauer hin, sind mobile Webseiten und native Apps zwei ganz unterschiedliche Dinge. Drupal 8 wird mit HTML5-Templates ausgeliefert werden, die Responsive Design umsetzen (Anm: Websites, deren Layout sich dank CSS-Mediaquerys automatisch an die verwendete Displaygröße anpasst).

Um native Apps zu erstellen und Daten in Drupal hinein und wieder heraus zu bekommen, brauchen wir Web Services. Für Entwickler ist interessant, dass der neue Core auf das Framework Symfony aufbauen wird. Damit wird der Drupal-Code einen ganzes Stück moderner.

Wir arbeiten zudem daran, die Internationalisierung von Drupal-Seiten zu verbessern. Drupal ist hier recht stark, verglichen mit den meisten anderen CMS, aber es ist ein sehr komplexes Thema mit vielen Schattierungen, und wir wollen hier noch besser werden. Ein weiteres Thema ist Konfigurationsmanagement, dabei geht es darum, die Auslieferung und Aktualisierung von Webseiten zu vereinfachen. Drupal 8 wird es erleichtern, Konfigurationseinstellungen zu exportieren und etwa auf einem Live-Server auszuliefern.

Schon heute laufen sehr große Websites auf Drupal, manche bearbeiten viele Millionen Seitenaufrufe im Monat. Um die nächste Stufe großer Webseiten zu bauen, wollen wir in Drupal 8 Edge Side Includes unterstützen (ESI). Dafür krempeln wir das Modul, das die Seiten zusammenbaut, völlig um. So wird es möglich sein, auch personalisierte Seiten teilweise zu cachen und damit wesentlich schneller auszuliefern. So funktioniert etwa Facebook.

heise open: Im Dezember ist der Termin für das Feature Freeze von Drupal 8. Es könnte also sein, dass manche der Funktionen, über die im Moment disktutiert wird, es nicht in Drupal 8 schaffen?

Buytaert: Stimmt. Wir versuchen diese Dinge in Drupal 8 hinein zu bekommen. Wenn etwas nicht klappt, ist das schade, dann arbeiten wir für Drupal 9 daran. Ich bin aber recht zuversichtlich, dass wir das meiste umsetzen können.

heise open: Müssen also Entwickler, die mit der Drupal-API arbeiten, mit großen Veränderungen rechnen?

Buytaert: Ja, mit sehr großen Veränderungen. Das ist für uns ziemlich typisch, wir hatten große Änderungen in Drupal 7 und so wird es auch in Drupal 8 sein. Daher sind Drupal-Konferenzen so wichtig: Wir müssen die Entwickler für neue Techniken schulen.

heise open: Wie geht Drupal mit dem Upgrade-Problem um?

Buytaert: Um ehrlich zu sein, kann ein Upgrade sehr schmerzhaft sein, weil wir große Veränderungen umsetzen. Dabei gilt es abzuwägen: Entweder entwickeln wir Drupal weiter und bleiben relevant. Wir müssen etwa mobile Anwendungen von Grund auf unterstützen. Und das zwingt uns, viele Dinge zu überdenken. Wenn wir das nicht täten, wäre ein Upgrade zwar leichter, aber Drupal wäre früher oder später nicht mehr relevant. Wir müssen die beste Technologie bleiben.

Andererseits sind wir schon vorsichtig, ändern nur Bereiche, die wir wirklich ändern müssen und versuchen den Anwendern ein Upgrade so einfach wie möglich zu machen. Der Schlüssel ist, die "Best Practices" bei der Drupal-Entwicklung zu kennen: Ich habe viele Drupal-Sites gesehen, die auf die falsche Weise gebaut wurden, und die Entwickler haben sich später bei einem Upgrade die Finger verbrannt. (lmd) (lmd)