Augmented Reality um den Finger gewickelt

Ein mit einer Kamera ausgestatteter Ring soll Sehbehinderten helfen, Objekte zu identifizieren und Texte zu lesen.

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Von
  • Rachel Metz

Ein mit einer Kamera ausgestatteter Ring soll Sehbehinderten helfen, Objekte zu identifizieren und Texte zu lesen.

Normalerweise deuten die Menschen auf Dinge, die sie für interessant halten – oder um zu betonen, worum es bei einem Gespräch gerade geht. Ein neues Projekt von Forschern am MIT will die Zeigegeste nun zu etwas anderem machen: Zu einer neuen Methode, mit der ein Nutzer mehr über seine Umwelt erfahren kann. Dazu haben sie einen neuartigen intelligenten Ring entwickelt, der die Umgebung erfassen kann.

Das System hört auf den Namen EyeRing und erlaubt es dem Benutzer, auf ein Objekt zu zeigen und sofort eine Rückmeldung zu erhalten, auf welchen Gegenstand er gerade gedeutet hat. Nützlich wäre das beispielsweise für Sehbehinderte. Das Projekt entsteht im Labor von Pattie Maes, einer Professorin am MIT Media Lab, die Nutzerschnittstellen erforscht, die es erlauben sollen, mit digitalen Informationen auf intuitive Weise zu interagieren.

Der EyeRing kann als Navigationshilfe und auch als Vorlesegerät dienen: Deutet man auf einen Text, spricht eine Stimme diesen. Denkbar ist aber auch die Verwendung als Übersetzungssystem oder als Lernhilfe für Kinder. Wenn alles klappt, soll aus den Prototypen bald ein kommerzielles Produkt werden.

Mit der Durchsetzung von Smartphones nimmt auch die Nutzung der Augmented Reality zu, bei der digitale Daten mit Echtweltinhalten kombiniert werden. Dabei wird normalerweise die Kamera des Telefons samt Bewegungssensoren verwendet. Der Bildschirm dient dann als Fenster in eine mit Daten angereicherte Realität.

Der EyeRing geht mit seinem Audiofeedback und der einfachen Nutzung als um den Finger angeordnete Hardware noch ein gutes Stück weiter. Dabei erinnert das Projekt an andere tragbare Elektronik wie Googles neue Internet-Brille, die dem Träger Karten, Nachrichten und andere Inhalte einblenden soll.

Maes' Entwicklung besteht derzeit noch aus Kunststoff und stammt aus einem 3-D-Drucker. Der EyeRing enthält eine kleine Kamera, einen Prozessor und ein Bluetooth-Funkmodul. Um das Gerät zu verwenden, drückt man zunächst zweimal auf einen kleinen Knopf an der Seite und spricht dann ein Kommando, um die Wunschfunktion abzurufen. Aktuell kann das System unter anderem Währungen, Texte, Preise auf Preisschildern und Farben identifizieren.

Zeigt man auf etwas und benötigt mehr Informationen – beispielsweise zu einem Hemd, das im Laden auf einem Kleiderständer hängt – betätigt man den Knopf und nimmt dann ein Bild auf. Die Aufnahme wird dann per Bluetooth an ein in der Hosentasche befindliches Smartphone geschickt, wo eine Anwendung mit Bilderkennungsalgorithmen sie identifiziert. Per Sprachausgabe wird dann etwa die Farbe des Hemdes genannt. Das Ergebnis ist aber auch auf Wunsch als Text auf dem Smartphone-Bildschirm ablesbar. "Es ist sehr praktisch, dass man sein Telefon nicht immer aus der Tasche nehmen muss", glaubt Maes.

Bislang haben die Forscher EyeRing mit einem Android-Smartphone und einem PC getestet, erklärt Roy Shilkrot von "der Fluid Interface Group" am MIT Media Lab, die das Projekt betreut. Eine iPhone-App ist ebenfalls in Arbeit. Die Gruppe hat außerdem bereits Tests des Systems im Livebetrieb mit sehbehinderten Menschen durchgeführt.

Aapo Markkanen, Analyst bei ABI Research, glaubt, dass ein solch einfach tragbares Gerät durchaus nützlich sein könnte. Problematisch seien aber die technischen Voraussetzungen: "Das System leidet genauso an eingeschränkter Prozessorleistung und kurzer Batterielaufzeit wie ganz am Anfang die Smartphones." Außerdem müsse die Technik erst bekannt genug werden. Markkanen glaubt, dass das noch ein paar Jahre dauern kann.

Maes kennt diese Kritik, glaubt aber dennoch an eine schnelle Kommerzialisierbarkeit. Shilkrot zufolge sei es möglich, das Gerät für unter 100 Dollar zu verkaufen – vielleicht sogar für 50 Dollar. Bis es so weit ist, muss EyeRing aber noch durch weitere Iterationen gehen. "Wir wollen weiter daran arbeiten, um es besser zu machen", sagt er. "Aktuell sind wir in einem Stadium, in dem wir zeigen müssen, dass es sich um eine brauchbare Entwicklung handelt." (bsc)