"Kunden sind längst in der Web-3.0-Welt angekommen"

Wer Erfolg haben will, darf keine Angst davor haben, mit dem Kunden auf Tuchfühlung zu gehen. Um welche Berührungspunkte es genau geht, erklärt Expertin Anne M. Schüller im Interview.

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Von
  • Marzena Sicking

Ob der Kunde immer wieder gerne bei einem Unternehmen einkauft, entscheidet sich an den "Touchpoints" des Unternehmens, den Berührungspunkten, an denen der potentielle Kunde auf Mitarbeiter, Produkte, Marken und Services trifft. An jedem dieser Berührungspunkte kann der Kunde ein positives oder ein negatives Erlebnis haben, dass Auswirkungen auf die Kundenbeziehung hat. Wie man dafür sorgt, dass der Kunde eine positive Bestärkung erfährt, erklärt Buchautorin und Expertin für Loyalitätsmarketing, Anne M. Schüller, in ihrem neuen Buch "Touchpoints" und in unserem Interview.

Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Veränderungen der letzten Jahre in der Beziehung zwischen Kunden und Unternehmen?

Anne M. Schüller, Management Consultant, München

Anne M. Schüller ist Management-Consultant und Expertin für Loyalitätsmarketing. Sie hat über 20 Jahre lang in leitenden Vertriebs- und Marketingpositionen internationaler Dienstleistungsunternehmen gearbeitet. Die Diplom-Betriebswirtin und neunfache Buch- und Bestsellerautorin ist heute eine gefragte Keynote-Rednern im deutschsprachigen Raum, Sie arbeitet auch als Business-Trainerin und lehrt an mehreren Hochschulen.

Schüller: Der Siegesrausch von Social Media, Smartphones, Tablets und Apps hat die Gesetze der Businesswelt in kürzester Zeit auf den Kopf gestellt. Früher redeten die Unternehmen, die Kunden hörten brav zu und kauften dann. Heute ist es genau umgekehrt. Die Kunden kaufen, reden dann darüber und bringen so Dritte zum Handeln. Jetzt sind es die Unternehmen, die zuhören sollten. Denn das ‚Reh‘ hat nun die Flinte in der Hand.

Die sozial vernetzten Konsumenten sind die neuen Vermarkter. Hingegen haben die Unternehmen die Hoheit über ihre Kommunikation weitgehend verloren. Sie können nur noch dann überleben, wenn die Kunden und ihre Netzwerke sie lieben. Weiterempfehlungen sind die neue Währung. Und Suchmaschinen sind das neue Weltgewissen.

Welche Folgen ergeben sich daraus für das Kundenmanagement?

Schüller: Um die Köpfe und Herzen dieser neuen Kundengeneration immer wieder neu zu erobern, benötigt man ein adäquates Customer Touchpoint Management. Die Offline-Online-Customer Journey, also die Reise des Kunden durch die eigene Unternehmenswelt, muss hierbei das Navigationssystem sein. Und im Vorfeld braucht es neue interne Rahmenbedingungen, um die sich weitende Kluft zwischen Anbietern und Konsumenten zu schließen.

Während nämlich viele Unternehmen immer noch in einer topdown-geprägten Web-1.0-Welt stecken, sind deren Kunden schon längst in der Web-3.0-Welt angekommen. Diese wurde eingeläutet durch das mobile Internet, das vollautomatisch eine digitale Informationsschicht über die Offline-Sphäre legt, und uns so mit dem kompletten Online-Wissen überall und immerzu in Echtzeit vernetzt.

Was bedeutet das genau?

Schüller: Alles, was die Unternehmen heute sagen, kann nun live vor Ort auf den Wahrheitsgehalt überprüft und blitzschnell mit den Erfahrungen anderer abgeglichen werden. Wer dabei unbeschadet davonkommen will, tut gut daran, eine Top-Performance zu bieten, moralisch sauber zu sein und in einen offenen, ehrlichen Dialog zu treten. Und das Mauscheln in Hinterzimmern lässt man besser sein. Denn Irgendeiner schaut immer durchs Schlüsselloch. Und was er dort sieht, erzählt er Online der ganzen Welt.

So ist aus der ‚Weisheit der Vielen‘ (James Surowiecki) eine ‚Macht der Vielen‘ und aus der ‚Weisheit der Freunde‘ (Dan Rose) eine weltumspannende ‚Macht der Freunde‘ geworden. An dieser neuen Konstellation kommt nun wirklich kein einziges Unternehmen mehr vorbei.

Welches sind aus Ihrer Sicht die größten Fehler, die Unternehmen derzeit noch in der Kommunikation mit dem Kunden machen?

Schüller: Uii, da gibt es viele. Der Hauptfehler ist aber sicher die immer noch weit verbreitete selbstzentrierte Denke, bei der sich der Kunde in vorgedachte Abläufe fügen soll. Ich nenne das die „Ich Hersteller – Du kaufen“-Attitüde aus überholten Business-Zeiten. Früher konnten die Anbieter ihren Werbeschrot(t) unbekümmert in die Welt hinaus ballern, und viel zu viele tun das auch heute noch. Doch zunehmend glauben wir ihren vollmundigen Hochglanzbroschüren nicht mehr.

Werbung, auf die zu achten es sich lohnt, kommt nun vornehmlich aus dem Kreis derer, die ihre Anwender-Erfahrungen wohlwollend teilen. Am Anfang und am Ende eines Kaufprozesses stehen nun Mundpropaganda und Weiterempfehlungen. Die indirekten ‚Earned Touchpoints‘, wie etwa Meinungsportale, User-Foren, Testberichte und Blogbeiträge, spielen eine zunehmend wichtige Rolle. Sie heißen so, weil Anbieter sich die Meinungen dort durch ihre Taten verdienen.

Muss ein Unternehmen denn heutzutage zwangsläufig auch auf Facebook und anderen sozialen Plattformen vertreten sein?

Schüller: Das kommt auf die Branche an. Für die meisten Unternehmen sind aktive Social-Media-Präsenzen heute ein ‚Muss‘, für manche sind sie bislang noch ein ‚Kann‘. Aber die passive Nutzung, also das Monitoring dessen, was im Social Web über einen geredet wird, das ist Pflicht. Das muss ein Unternehmer sich heute genauso selbstverständlich anschauen wie seine Umsatzzahlen – und zwar täglich!

Wie können Unternehmen herausfinden, was der Kunde 3.0 wirklich will?

Schüller: Am besten, indem sie die Kunden aktiv involvieren und inständig befragen, zum Beispiel so: "Auf einer Skala von 0 bis 10: Würden Sie an diesem Punkt (wieder)kaufen?" Oder so: "Auf einer Skala von 0 bis 10: Würden Sie diesen Punkt weiterempfehlen?" Und damit man auch etwas lernt dabei, fragt man weiter wie folgt: "Was ist der wichtigste Grund für die Einschätzung, die Sie gerade gegeben haben?"

Warum ist der direkte Dialog mit dem Kunden so wichtig?

Schüller: Die Kunden von heute warten nicht länger, bis Unternehmen ihre internen Entscheidungswege abarbeiten und zäh in die Pötte kommen. Sie haben es satt, wenn Kostensparwahn in schlechten Service umgemünzt wird. Und sie werden auch nicht mehr Bittsteller sein. Wenn es klemmt, ziehen sie schleunigst von dannen. Und im Web erzählen sie der ganzen Welt, warum das so ist. Für die Konsumenten ist das ein Trumpf ohnegleichen – für schlecht aufgestellte Unternehmen hingegen bedeutet es Lebensgefahr.

Es sind ja nicht nur die Kunden, die sich verändert haben, auch die neue Mitarbeitergeneration ist mit den neuen Medien aufgewachsen und hat dazu einen ganz anderen Draht. Müsste sich demnach nicht auch in der internen Kommunikation einiges verändern, damit man der aktuellen Entwicklung gerecht wird?

Schüller: Ja, das stimmt. Die internen Veränderungen müssen sogar noch sehr viel einschneidender sein: Zunächst gehören die alten selbstverliebten Leitbilder über Bord, denn die sind in vielen Unternehmen – im wahrsten Sinne des Wortes – aus dem letzten Jahrhundert. Dann müssen die Organigramme auf den Kopf gestellt werden, denn Kunden kommen in den derzeit üblichen noch nicht einmal vor. Ferner braucht es eine neue Führungskultur. Der Chef als Ansager und Aufpasser ist ein Auslaufmodell. Vor allem aber braucht es einen CCO auf Geschäftsleitungsebene, also einen Chief Customer Officer als Advokat des Kunden im Unternehmen, damit das unproduktive Silodenken zwischen Service, Sales und Marketing endlich ein Ende hat.

Am Ende des Tages läuft es aber doch wieder auf die gleiche Botschaft hinaus: Kunden erwarten Ehrlichkeit in der Kommunikation und ein echtes Interesse des Unternehmens an ihren Bedürfnissen. An welche Regeln müssen Unternehmen sich halten, um auch digital rüberzubringen, dass ihnen diese Werte besonders wichtig sind?

Schüller: Ja, nicht nur das Zahlenwerk, auch die moralische Bilanz muss zukünftig stimmen. Das Web ist wie eine gigantische, öffentliche Podiumsdiskussion. Vernebeln, vertuschen und Marketing-Lügen sind in diesem Szenario ein Auslaufmodell. Selbst kleinste Fehler werden einem um die Ohren gehauen. Und minderwertiges wird gnadenlos aussortiert. Wer glaubhaft hilft, die Welt ein bisschen besser zu machen, der wird in diesen neuen Zeiten die Zukunft am besten erreichen. "Sei wirklich gut und bringe die Leute dazu, dies engagiert weiterzutragen!“ So lautet das neue Business-Mantra. (gs)
(masi)