Unausgewogen

Der elektronische Handel mit Waren und Dienstleistungen unterliegt grundsätzlich der Umsatzbesteuerung. Zahlreiche Sonderregelungen sind hier zu beachten. In jüngster Zeit machen niedrige Steuersätze für E-Books von sich reden.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Matthias Parbel
Inhaltsverzeichnis

Nur drei Prozent Umsatzsteuer fallen bei E-Books an, die an Endverbraucher via Luxemburg vertrieben werden. Dank einer Besonderheit im Luxemburger Steuerrecht profitieren seit Anfang 2012 dort ansässige Händler wie Apple und Amazon von dieser Regelung. Beide Firmen vertreiben ihre E-Books über Luxemburger Tochtergesellschaften. Anfang 2012 wurde gesetzlich festgelegt, dass der für gedruckte Bücher geltende geringe Steuersatz von nur drei Prozent auch auf E-Books anzuwenden ist. Frankreich besteuert gedruckte sowie digitale Bücher mit einem geringen Umsatzsteuersatz von nur sieben Prozent (ab 2013 sogar wieder nur 5,5 %). Würden die Händler ihre elektronischen Bücher aus Deutschland heraus vertreiben, wären hierfür 19 Prozent Umsatzsteuer fällig. In anderen europäischen Ländern liegt der maßgebliche Steuersatz sogar bei bis zu 25 Prozent.

Mit circa 190 Milliarden Euro ist die Umsatzsteuer in Deutschland die bedeutendste Einnahmequelle des Staates, also von Bund, Ländern und Gemeinden. Sie steht für circa 30 Prozent des gesamten Steuereinkommens. Die Begriffe "Mehrwertsteuer" und "Umsatzsteuer" werden in Deutschland häufig synonym verwandt. Gebräuchlicher ist die Verwendung des Ersteren. Richtig wäre allerdings die andere Bezeichnung, denn das entsprechende Gesetz heißt – rechtsdogmatisch zu Recht – "Umsatzsteuergesetz". Allerdings benutzen auch andere Länder eher einen an den Mehrwert anknüpfenden Begriff. In England etwa spricht man von "value-added tax", kurz VAT, in Frankreich von "Taxe sur la Valeur Ajoutée" (TVA).

Der verminderte Steuersatz in Luxemburg gilt nur für Lieferungen von E-Books an Privatkonsumenten. Denn für diese gilt bis 2015 der EU-weite Grundsatz, dass die Umsatzsteuer für elektronische Leistungen dort zu ermitteln und abzuführen ist, wo der Lieferant – beispielsweise Amazon oder Apple – seinen Sitz hat. Ist der Kunde Unternehmer, gilt stets der Umsatzsteuersatz am Sitz des gewerblichen Käufers. Aus diesem Grund weisen beide Händler in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen auch darauf hin, dass die Nutzung der E-Books "nur zu privaten, nicht-gewerblichen Zwecken" gestattet ist. Überprüfbar ist dies für die Händler freilich kaum.

Da kaum jemand diese AGB zur Kenntnis nimmt, könnte es sogar zu Lizenzrechtsverletzungen kommen, wenn ein Käufer ein E-Book für den gewerblichen Einsatz erwirbt. Sind die AGB wirksam, etwa weil sie nicht überraschend und damit – zumindest nach deutschem Recht – rechtskräftig sind, hat der Käufer eben nur ein Recht zur privaten Nutzung erworben. Aus umsatzsteuerlicher Sicht ist es für Apple, Amazon & Co. in diesen Fällen von Vorteil, dass diese an sich lizenzrechtliche Bestimmung in ihren AGB auch bei der Vermeidung steuerlicher Probleme hilft.

Es besteht kein Zweifel, dass der geringe Steuersatz für Luxemburg einen Wettbewerbsvorteil als Standort für den Vertrieb von E-Books bringt. Auch keine Frage, dass dies den anderen EU-Staaten ein Dorn im Auge ist. Aus diesem Grund hat die EU-Kommission ein sogenanntes EU-Vertragverletzungsverfahren gegen Luxemburg und Frankreich eingeleitet. Sie sieht hier eine Verletzung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Diese erlaubt zwar in bestimmten Fällen eine geringere Besteuerung. Eine Ermäßigung soll aber nur bei der "Lieferung von Büchern" greifen. Jetzt geht es um die Frage, ob der Onlinevertrieb von E-Books unter diesen Ausnahmetatbestand fällt. Laut EU-Kommission ist der Fall eindeutig, "E-Books stehen nicht auf der Liste", sagt eine Sprecherin. Ob die betroffenen Länder noch vor der geplanten Systemänderung im Umsatzsteuerrecht zum 1. 1. 2015 von ihrer Politik in diesem Punkt abweichen werden oder eine Verurteilung der beiden nun verklagten Staaten erfolgt, ist fraglich.

In letzter Zeit werden vereinzelte Stimmen für eine allgemeine geringere Umsatzbesteuerung von E-Books laut. Außer in Frankreich und Luxemburg gibt es bislang keine Ermäßigung auf den Vertrieb von E-Books, wohl aber für den Vertrieb von klassischen Büchern. In manchen Ländern sind die Steuern für Zeitschriften und Zeitungen sogar noch geringer als bei Büchern und E-Books. Bislang ist allerdings nicht erkennbar, dass Verlage ihre Onlineausgaben aus Luxemburg heraus anbieten. Denn dort gilt für Zeitschriften und Zeitungen ein Steuersatz von drei Prozent. Ein Vertrieb aus Belgien oder dem Vereinigten Königreich heraus würde sogar zu einer "Nullsteuer" führen.

Gegner führen an, dass es zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen kann, denn der Begriff des "E-Books" ist nicht klar und eindeutig definiert. Gegebenenfalls fallen auch Datenbanken und dergleichen darunter. In Zeiten klammer Finanzkassen ist allerdings eher davon auszugehen, dass sich Steuerermäßigungen auf E-Books nicht in noch mehr Ländern verbreiten. Vermutlich wird im Gegenteil auch der außergerichtliche Druck auf Luxemburg und Frankreich noch zunehmen.

Auch ohne den besonderen Umsatzsteuervorteil für E-Books ist ein Vertrieb anderer elektronischer Waren und Dienstleistungen an Privatkunden aus Luxemburg heraus allein aus steuerlicher Sicht lukrativ. Der Standardsteuersatz dort beträgt "nur" 15 Prozent. Hiervon profitieren zunächst die Händler, denn sie wollen oft den Endkundenpreis nicht an die verschiedenen Steuersätze anpassen.

Gerade bei typischen Preisen wie "x,99 Euro" kann es aus verkaufspsychologischen Gründen kaum Erhöhungen um ein paar Prozent wegen höherer Steuersätze geben. Muss vom Endkundenpreis aber nur eine Steuer in Höhe von 15 und nicht 19 oder mehr Prozent abgezogen werden, verbleibt eine umso höhere Marge. Auch die Zulieferer von Produkten und Dienstleistungen haben einen Vorteil. Häufig berechnet sich ihre Umsatzbeteiligung vom Nettoerlös, also dem Endkundenpreis abzüglich der Umsatzsteuer.

Mit einer Umstellung des Mehrwertsteuersystems in der Europäischen Union ab dem Jahr 2015 endet diese Möglichkeit der steuerlichen Gestaltung. Dann nämlich wird auch bei Käufern elektronischer Waren und Dienstleistungen die Umsatzsteuer dort fällig, wo der Endverbraucher seinen Sitz hat. Es gilt dann für elektronisch erbrachte Leistungen das sogenannte Empfängerortprinzip, das bereits heute für gewerbliche Kunden gilt.

In der EU ansässige Unternehmen sind schon seit einiger Zeit davon befreit, Umsatzsteuer auf elektronische Waren und Dienstleistungen zu erheben, die in Drittländer ausgeführt werden, also in alle nicht der EU angehörigen Staaten. Umgekehrt müssen Anbieter aus Drittländern genau wie EU-Anbieter Umsatzsteuer erheben und abführen, wenn sie an private Endkunden in der EU liefern. Hierzu müssen sie sich aber in dem betreffenden EU-Staat, in dem die Kunden ansässig sind, registrieren lassen.

Alternativ können sie sich im Sinne eines "One-Stop-Shop" nach einem bestimmten Verfahren bei nur einer Stelle in der EU für alle ihre Exporte umsatzsteuerlich registrieren lassen. In Deutschland ist dies das Bundeszentralamt für Steuern. Es vergibt dem Nicht-EU-Unternehmer eine EU-Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.

Die Registrierung muss vor Aufnahme des Vertriebs erfolgt sein. Danach müssen jährlich die Umsätze mit elektronisch erbrachten Leistungen wie Software- Downloads, Musik, Onlinespiele et cetera dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) gemeldet und abgeführt werden. Da die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, finden sich Regelungsbeispiele dazu auf den Webseiten des BZSt.

Dies gilt bislang aber nur im Bereich des elektronischen Handels mit Privatpersonen. Für nicht in der EU ansässige Unternehmen, die Waren oder Dienstleistungen in die EU einführen, wurde hingegen bereits 2003 eine Pflicht zur Abfuhr von Einfuhrumsatzsteuer eingeführt. Diese Pflicht greift sowohl bei elektronisch erbrachten wie sonstigen Waren und Dienstleistungen. Es gilt jeweils der Steuersatz am Sitz des Leistungsempfängers.

Mit diesem System hat die EU die auf Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vereinbarten Steuerprinzipien umgesetzt. Im Bereich des elektronischen Handels soll danach die Besteuerung im Staat des Verbrauchs stattfinden. Die OECD hatte auch vorgeschlagen, die Registrierungspflicht für nichtansässige Anbieter von elektronischen Leistungen bei einer zentralen Stelle einzuführen.

Damit sich die Einhaltung von Umsatzsteuerpflichten überprüfen lässt, muss jeder Unternehmer innerhalb der EU eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer – kurz USt-IdNr. – besitzen. Zur verbesserten Überwachung der Einhaltung von Steuerpflichten muss nach deutschem Recht auf jeder Rechnung entweder diese USt-IdNr. oder die allgemeine Steuernummer des Leistung erbringenden Unternehmers angegeben sein. Um Missbrauch vorzubeugen, geben viele vornehmlich die USt-IdNr. an. Sie zählt außerdem zu den Pflichtangaben des Impressums auf gewerblichen Webseiten. Im gewerblichen Verkehr müssen bei Lieferungen innerhalb der EU sowohl die USt-IdNr. des Erbringers als auch die des Empfängers der Leistung auf der Rechnung angegeben sein.

Die Identifikationsnummern lassen sich anhand der ersten beiden Buchstaben auf das jeweilige EU-Land des Unternehmenssitzes beziehen. "DE" steht für Deutschland, "AT" für Österreich et cetera.

Einerseits ist ein grenzüberschreitender elektronischer Handel heutzutage eine Selbstverständlichkeit, andererseits gelten bislang im Umsatzsteuerrecht rechtliche Besonderheiten, die Händlern und Anbietern bei entsprechender Vertriebsorganisation einen finanziellen Vorteil verschaffen können. Für E-Books beispielsweise werden bei Auslieferung an Nichtunternehmer nur drei Prozent Umsatzsteuer fällig, wenn der Anbieter in Luxemburg sitzt. Aber auch andere elektronische Dienstleistungen unterliegen bislang dem Mehrwertsteuersatz am Standort des Anbieters. Dies führt zu einer Spanne zwischen 0 und 25 Prozent Besteuerung in den verschiedenen EU-Staaten, die sich unmittelbar auf die Marge auswirken kann.

Mit Beginn des Jahres 2015 wird eine Verzerrung des Wettbewerbs innerhalb der EU gestoppt. Dann nämlich greift im Vertrieb an Privatkunden der Grundsatz, dass auch für elektronisch erbrachte Dienstleistungen die Mehrwertsteuer im Land des Kunden anfällt. Da bisher der Standort des Anbieters maßgeblich ist, sind etliche Anbieter in Luxemburg registriert, denn dort gilt – auch abseits von E-Books & Co. – ein geringer Mehrwertsteuersatz.

Anbieter außerhalb der EU müssen sich für den Vertrieb an Endkunden in der EU zu umsatzsteuerlichen Zwecken registrieren lassen und die fällige Steuer abführen. Nur dann sind sie auch entsprechend zum Vorsteuerabzug berechtigt. Wenn sie es nicht tun, ist das ein wesentlicher Wettbewerbsnachteil für EU-ansässige Unternehmen – gleich, ob sich das Mehrwertsteuersystem 2015 in der EU ändern wird oder nicht. Denn wie beispielsweise im Datenschutzrecht endet die Möglichkeit für eine effektive Kontrolle an der Landes- beziehungsweise EU-Grenze.

Der Autor Tobias Haar, LL.M., ist Syndikusanwalt und Rechtsanwalt mit Schwerpunkt IT-Recht. / (ur)
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