"Software-Patente schaden"

Nahezu alle großen IT-Unternehmen sind in Gerichtsverfahren um Patentrechte verwickelt. Innovationsforscher Dietmar Harhoff von der Ludwig-Maximilians-Universität München fordert mehr Strenge bei der Patentvergabe.

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  • Robert Thielicke

Nahezu alle großen IT-Unternehmen sind in Gerichtsverfahren um Patentrechte verwickelt. Innovationsforscher Dietmar Harhoff von der Ludwig-Maximilians-Universität München fordert mehr Strenge bei der Patentvergabe.

Dietmar Harhoff ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Vorsitzender der "Expertenkommission Forschung und Innovation" der Bundesregierung.

Technology Review: Missbrauchen die Unternehmen ihre Exklusivrechte?

Dietmar Harhoff: Es wäre falsch, den Unternehmen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Wenn das Patentsystem es erlaubt, selbst marginale Erfindungen schützen zu lassen, werden Unternehmen im Wettbewerb dazu getrieben, das auch auszunutzen. Patente erfüllen dann den beabsichtigten Zweck, die Förderung von Forschung und Entwicklung, nicht mehr. Gerade in den USA hindern sie Wettbewerber an der ganz normalen Ausübung ihres Geschäfts. Die Gewährung von Patenten sollte daher stärker eingeschränkt werden. Es ist nicht einzusehen, dass IT-Unternehmen sich Entwicklungen schützen lassen können, zu denen jeder halbwegs Fachkundige mit ein bisschen Nachdenken und ohne große Investitionen in der Lage ist.

TR: Sie tun so, als würden Software-Patente im WG-Wohnzimmer entstehen...

Harhoff: Natürlich gibt es in Softwareform gefasste Erfindungen, die das Ergebnis umfangreicher Forschung sind. Der MP3-Standard für die Komprimierung von Musikstücken gehört dazu. Leider ist für die Patentämter die Grenze nicht einfach zu ziehen zwischen einem lockeren Schnellschuss und einer echten Erfindung.

TR: Lieber ein gutes Patent zu wenig als hundert schlechte zu viel?

Harhoff: Ich würde diesen Nachteil in Kauf nehmen, wenn das Gesamtsystem sonst zu großem wirtschaftlichen Schaden führt. In den USA nutzen Firmen Software-Patente oft gar nicht mehr für die Produktentwicklung, sondern als Drohinstrument. Verhandlungen laufen nach dem Motto: Gibst du mir keine Lizenz, hänge ich dir eine immens teure Patentklage an.

Um sich dagegen zu wappnen, errichten die Firmen Verteidigungswälle. Facebook etwa besaß bis vergangenen Oktober nur eine Handvoll Patente. Mittlerweile hat das Unternehmen bei IBM und anderen IT-Firmen groß eingekauft. Mit diesem Arsenal verteidigt es sich nun gegen die Yahoo-Klage. Von den zehn Patenten, um die es geht, sind nur zwei ursprünglich bei Facebook entstanden.

TR: Mittlerweile handeln sogar Hedgefonds mit Patenten.

Harhoff: Gegen dieses Geschäftsmodell habe ich im Prinzip nichts, weil mit ihm ein Markt für Technologie entsteht. Die Grundbedingung ist jedoch, dass die Lizenzen wirkliche technische Fortschritte schützen. Aber die zehn Schutzrechte, die Facebook nun gegen Yahoo aufbietet, sind ziemlich schwach. Europas Patentämter haben lediglich eines davon akzeptiert – und das auch nur mit Einschränkungen. Yahoo konnte von 50 US-Patenten, die sie in Europa eintragen lassen wollten, nur 15 durchbringen. Die europäische und die deutsche Patenterteilung sind deutlich strenger als jene in den USA.

TR: Aber die Kämpfe nehmen doch auch hierzulande zu.

Harhoff: Das ist tatsächlich neu. Die große Frage ist daher, ob wir nicht auch in Europa zu viele Patente erteilen. Bisher galt Deutschland als guter Standort, auch wegen seines gut entwickelten und ausgewogenen Patentstreitsystems. Wir haben ein effizientes Verfahren. Die Kosten betragen nur einen Bruchteil derjenigen in den USA. Sie liegen im Schnitt bei etwa 100000 Euro, in den USA schnell im Millionenbereich.

TR: Aber streitet man bei niedrigen Kosten nicht umso lieber?

Harhoff: Nicht unbedingt. In den USA muss jede Partei für ihre Ausgaben selbst aufkommen. Kläger können also auch bei geringer Erfolgsaussicht dem Konkurrenten großen finanziellen Schaden zufügen und dann einen guten Vergleich erzielen. Hierzulande dagegen bekommt der Gewinner seine Kosten von der Gegenseite erstattet, zumindest in Höhe der üblichen Gebührensätze.

TR: Warum wächst die Klagewelle hierzulande dann?

Harhoff: Zum einen schlüpfen immer wieder schwache Erfindungen durch die Kontrolle. Zum anderen schauen Unternehmen sich an, wo ihre Konkurrenten am verwundbarsten sind. Wenn ein Unternehmen von Deutschland aus ganz Europa beliefert, macht beispielsweise eine einstweilige Verfügung das europaweite Geschäft kaputt. Microsoft sah durch die Patentklage von Motorola für sich diese Gefahr und verlegte kürzlich seine Auslieferungszentrale in die Niederlande. Der Schritt ist außergewöhnlich und sollte zu denken geben. Selbst außerhalb der Computerbranche kenne ich keinen anderen Fall, in dem ein Unternehmen seine Produktion oder Logistik wegen Patentstreitigkeiten in ein anderes europäisches Land verlegt hat. (rot)