EU-Parlament schränkt Strafrechtssanktionen zum Schutz geistigen Eigentums ein

Das EU-Parlament will das Strafrecht nicht auf private Urheberrechtsverletzer angewandt wissen. Kritiker fürchten trotzdem eine Kriminalisierung des Filesharing durch die EU.

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Von
  • Monika Ermert

Das EU-Parlament in Straßburg hat sich heute in erster Lesung mehrheitlich für eine EU-Richtlinie zu strafrechtlichen Sanktionen zum Schutz geistigen Eigentums (IPRED2) ausgesprochen. Allerdings wurde der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag in mehreren Punkten zurückgestutzt. Urheberrechtsverletzungen, die im persönlichen und nicht auf Gewinn abzielenden Bereich vorkommen, wurden beispielsweise von Strafrechtssanktionen ausgeschlossen. Patente sollen anders als bei den 2004 verabschiedeten zivilrechtlichen Maßnahmen (IPRED1) nicht erfasst werden. Im mehrheitlich beschlossenen Positivkatalog der von den Strafrechtsmaßnahmen erfassten geistigen Eigentumsrechte ist neben dem klassischen Urheberrecht auch der Schutz von Datenbanken, Halbleitertopographien, Markenrechten- und Geschmacksmusterrechten, geographischen Herkunftsbezeichnungen respektive Firmennamen eingeschlossen.

Bei der Free Software Foundation ist man trotz der Einschränkungen nicht beruhigt über die möglichen Effekte der geplanten Richtlinie, die hohe Geld- und Gefängnisstrafen für Verletzer geistiger Eigentumsrechte vorsieht – im Parlament wurde vor allem gegen die Fälschung von Arzneimitteln gewettert. "Wir hatten allerdings auf eine stärkere Einschränkung bei den Tatbeständen Beihilfe und Anstiftung gehofft," sagte Ciaran O'Riordan von der Free Software Foundation Europe unmittelbar nach der Abstimmung. Dadurch könnten Dritte, auch Provider, erneut in die Verantwortung genommen werden, fürchten die Kritiker. Auch bei der Einschränkung hinsichtlich der Verletzung durch Privatnutzer bleibt O'Riordan skeptisch: Streng ausgelegt könnte etwa der Tausch von urheberrechtlich geschütztem Material unter Freunden als nicht mehr schlicht persönliche Nutzung definiert werden. Auch beim Reverse Engineering von Software sei man in einer "Grauzone".

"In der vorliegenden Form nach wie vor eine Katastrophe" ist das Gesetz nach Ansicht von Julian Finn vom Netzwerk Freies Wissen/Fairsharing Network. "Begriffe wie 'Piraterie' und 'gewerbliche Nutzung' sind nach wie vor nicht ausreichend definiert," kritisierte Finn. Wie O'Riordan sieht auch er das Damoklesschwert des Strafrechts über Filesharern baumeln.

Auf jugendliche Filesharer haben es viele Parlamentarier aber nach ihren Aussagen gerade nicht abgesehen. Das betonten verschiedene Redner bereits in der Debatte am Montagabend. Vielmehr geht es laut dem federführenden Berichterstatter Nicola Zingaretti um Piraterie in großem Stil, insbesondere in der Verbindung mit organisierter Kriminalität. Einen Änderungsantrag, der im Richtlinientext explizit auf die organisierte Kriminalität und besonders schwerwiegende Fälle verweisen sollte, wurde allerdings am heutigen Mittwoch in Straßburg nicht angenommen. Man hoffe letztlich auf die nationalen Parlamente für eine klare Präzisierung und Einschränkung der Reichweite, erklärte Finn.

Die Kritiker hoffen überdies nach wie vor, dass der Ministerrat sich gegen die Richtlinie ausspricht, liefert sie doch einen Präzedenzfall für die Anwendung des Strafrechts durch die EU. Die Regierungsvertreter könnten hier, so die Hoffnung der Kritiker, nationale Souveränität reklamieren. Überdies sieht O'Riordan bei der zweiten Lesung durchaus bessere Chancen für einen von den Grünen eingebrachten Antrag, der die Notwendigkeit der Richtlinie komplett infrage stellt. Die Idee, dass man auf eine EU-weite Harmonisiserung von Strafen gegen Verletzer geistiger Eigentumsrechte verzichten könne, habe erst in den letzten Tagen vor der heutigen Abstimmung noch Raum gewonnen, meint O'Riordan. Die Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wollen für diese Sichtweise bis zur zweiten Lesung weiter werben.

Malte Spitz vom Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin schloss sich der Kritik der NGOs mit Blick auf die Gefahr einer Kriminalisierung privater Filesharer an. "Während in Berlin gerade noch über die erste Richtlinie verhandelt wird, hat sich das Europaparlament heute fatalerweise dem Lobbydruck gebeugt und der zweiten Richtlinie zur strafrechtlichen Durchsetzbarkeit von geistigen Eigentumsrechtsverletzungen zugestimmt", kritisierte Spitz. Gleichzeitig sei die Regelung ein klarer Angriff auf den IT-Standort Europa, da Dritte durch die Richtlinie strafrechtlich verfolgt und haftbar gemacht werden könnten.

Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Monika Ermert) / (jk)