Internetexperte Huston gegen EU-Rettungsschirm für Telcos

Einen Schlag gegen die Netzneutralität befürchten die Mitglieder der europäischen Adressverwaltung RIPE. Zum Auftakt des 65. Treffens in Amsterdam teilte APNIC-Chefwissenschaftler Geoff Huston hart gegen die "Telcos" aus.

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Von
  • Monika Ermert

Einen Schlag gegen die Netzneutralität über den Umweg Vereinte Nationen und Internationale Fernmeldeunion (ITU) befürchten die Mitglieder der europäischen Adressverwaltung RIPE. Zum Auftakt des 65. Treffens in Amsterdam antwortete APNIC-Chefwissenschaftler Geoff Huston in ungewöhnlich scharfer Form auf Forderungen des Europäischen Telecom-Verbandes ETNO. In seiner Präsentation kritisierte er den Vorschlag, Datenverkehr nach einem Verursacherprinzip abzurechnen und dies mit einer Abstufung nach "Quality of Service" (QoS) zu begründen.

Die ETNO hatte bei der ITU die Zulassung unterschiedlicher Servicelevels und ein "Sender Pays"-Prinzip als Regeln für den zur Novelle anstehenden Vertrag über internationale Kommunikation (ITR) angeregt. Die Telekommunikationsunternehmen wollen künftig neben den Entgelten von den Nutzern auch von großen Plattformen oder Inhalteanbietern kassieren, nach eigenen Angaben, um in eine bessere Infrastruktur investieren zu können. Die Kosten könnten jedoch am Ende auch den Kunden aufgebürdet werden, fürchten Kritiker.

"Hier geht es nicht um Technologie, es geht ganz allein um Geld und mehr Kontrolle", wetterte Huston. "Die Telcos probieren, ob sich da nicht ein regulatorischer Impuls gegen die bösen Inhalteanbieter anstoßen lässt, die sich einfach weigern, ihnen etwas vom in der Garage verdienten Geld abzugeben, und sie wollen die Regulierer auf ihre Seite ziehen." Auf diese Weise versuchten die TK-Unternehmen das Versagen der eigenen Geschäftskonzepte zu kompensieren. Das Konzept laute schlicht, bevor man wegen mieser Business-Pläne pleite gehe, müsse man bloß nach Brüssel gehen, "die retten dich, frag die Griechen", wetterte Huston. Dabei gebe es durchaus Telecomanbieter die florierten, Free in Frankreich sei ein Beispiel im Gegensatz zur schwerfälligen France Télécom.

Den Nutzen von QoS-Differenzierungen, den der Generalsekretär der ITU. Hamadoun Touré in seinem aktuellen Berichtsentwurf zum World Telecom Policy Forum 2013 schon einmal unterstrich, stellte Huston rigoros in Frage. "QoS ist einfach Mist", so Huston. "Es widerspricht allem, was wir darüber gelernt haben, wie IP effektiv eingesetzt werden kann.“ Keine gesonderten Auszeichnungen von Paketen, keine Kontrollstellen in den Netzen, einfach mehr Bandbreite lautet sein simples Rezept. "Wenn du dir keine besseren Netze leisten kannst, ändere dein Geschäftsmodell."

Sogar mit der Klage der Entwicklungsländer, die sich über das Ungleichgewicht von Datenverkehr und die für sie damit entstehenden Kosten beschweren, ging Huston hart ins Gericht. Tatsache sei, dass die USA ihren technologischen Vorsprung und auch die geographisch günstige Lage wirtschaftlich nutze. Der Australier bezeichnete die Ausgleichszahlungen, die via ITU im Bereich der Telefonie an die Entwicklungsländer gegangen seien als falsch verstandene Entwicklungshilfe. Statt effektiver Märkte wären dadurch Abhängigkeiten entstanden.

Während Huston von den beim RIPE vertretenen Internet Service Providern viel Applaus erntete, geht die Diskussion über die ETNO-Vorschläge in die nächste Runde. Während Bürgerrechtsorganisationen wie La Quadrature du Net vor einem Ende der Netzneutralität warnten und die Haltung der EU verdammten, ging ETNO ebenfalls mit einer Entgegnung auf die Kritik der Internet Society und anderer in die Offensive.

Das Bundesministerium für Wirtschaft teilte auf Anfrage von heise online mit, der "komplexe ETNO-Vorschlag wird zur Zeit in mehreren europäischen Ländern politisch diskutiert und geprüft". Dies geschehe sowohl auf Regierungsebene als auch im parlamentarischen Raum: "Die Diskussion in Deutschland ist zur Zeit noch nicht abgeschlossen." Am Donnerstag werde sie bei einem Gespräch mit Vertretern interessierter Kreise fortgesetzt. (axk)