Tief im Westen: Ambulanz für Online-Süchtige in Bochum eröffnet

Mehr als eine halbe Million Menschen sollen in Deutschland abhängig von Online-Spielen, Cybersex oder sozialen Netzwerken sein. Im Ruhrgebiet verspricht eine neue Medienambulanz therapeutische Hilfe.

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Wer mit Internet- oder Computersucht zu kämpfen hat, kann seit Montag in der Spezialambulanz an einer NRW-Universitätsklinik psychotherapeutische Hilfe bekommen. Deutschlandweit sollen laut dem Bericht der Bundesdrogenbeauftragten vom Mai 2012 rund 560.000 Menschen ein pathologisches Nutzungsverhalten bei Online-Spielen, Cybersex, sozialen Netzwerken und ähnlichem aufweisen. Doch Hilfe für Betroffene sei im Ruhrgebiet nach wie vor rar, sagte Bert te Wildt, Leiter der neuen Medienambulanz an der Bochumer Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums. Bundesweit gibt es ähnliche Einrichtungen in Berlin, Hamburg, Köln oder Hannover.

Mit regelmäßigen Sprechstunden und einem gruppentherapeutischen Angebot sollten den Patienten "jenseits der virtuellen Welt Wege in ein erfülltes Leben in der konkreten Realität" aufgezeigt werden, sagte der Experte bei der Vorstellung. Die Behandlung beruht unter anderem auf dem Auslöschen des Reizes: Es wird bewusst eine Situation herbeigeführt, die die Internetsucht weckt; dann müssen die Patienten aber dem Drang widerstehen, bis der Reiz nachlässt.

Die Gruppentherapie sei bei alledem nur ein Anfang: Um dauerhaft einen kontrollierten Umgang mit dem Internet zu erlernen, bedürfe es meist langjähriger psychologischer Begleitung, weiß der Suchtmediziner. Die Erfolgsquoten dabei sind ernüchternd. Nach Erfahrungen der ähnlich arbeitenden Internet-Ambulanz aus Mainz erreichen gerade einmal 50 Prozent der Teilnehmer die Rückkehr zu einem normalen Umgang mit dem Rechner – Rückfallquoten ähnlich wie bei Alkoholikern.

Bislang ist der Begriff einer "Internet-Sucht" hochgradig umstritten. Von der Weltgesundheitsorganisation wurde er noch nicht als Verhaltenssucht anerkannt, in die Entwürfe zur fünften Auflage des Standardwerks Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) hat er auch keinen Eingang gefunden. Therapeuten wie Bert te Wildt drängen jedoch darauf. Dass insbesondere Computer-Rollenspiele mit massenhaft online-vernetzten Teilnehmern abhängig machen können, sei inzwischen belegt: "Wir müssen uns in Forschung, Behandlung und Diagnostik darauf einstellen, dass die Zahl von Internetabhängigen steigen wird", mahnte te Wildt.

(Mit Material von dpa) / (axk)