Schöner leben

Mit der zunehmenden Verbreitung mobiler Geräte dürften auch Augmented-Reality-Anwendungen bald kein Nischendasein mehr fristen. Auf metaios Hausmesse insideAR berichteten internationale Firmen über Erfahrungen mit eigenen Projekten. Neue Techniken sollen AR-Anwendungen weiter den Weg ebnen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Christian Geiger
  • Sven Pagel
Inhaltsverzeichnis

Das Leben ist eine Baustelle; digitale Produkte wie Software erweisen sich manchmal sogar als permanente Großbaustelle. metaio, eins der marktführenden Unternehmen im Bereich Augmented Reality (AR), zeigte Anfang Oktober auf der hauseigenen insideAR-Konferenz, dass die von den Münchnern entwickelte AR-Basistechnik jedoch längst dem Stadium des Prototyps entwachsen ist und weltweit kommerziell eingesetzt wird. Die alljährlich organisierte Konferenz dient vor allem als Treffpunkt für AR-Entwickler und Anwender aus Bereichen wie Marketing, Sales oder Publishing. Über 500 Interessierte fanden in diesem Jahr den Weg in die bayrische Hauptstadt.

metaio selbst nutzt die Konferenz, um Besuchern besonders erfolgreiche Referenzprojekte zu präsentieren und neue Versionen der eigenen AR-Produktpalette vorzustellen. Zusätzlich diskutieren Entwickler, Ingenieure und Marketingspezialisten die neuesten Entwicklungen und die mögliche Zukunft der AR-Technik.

In diesem Jahr stand das Treffen unter dem Motto "Architecture for the Augmented City". Die Münchner verstehen darunter, dass zahlreiche Dienste im städtischen Umfeld durch Augmented Reality mit hoher Genauigkeit angeboten werden können. Während existierende Ansätze lediglich das ungenaue GPS- oder Kompasssignal des Smartphones nutzen, um zum Beispiel die Restaurants in der Nähe anzuzeigen oder die nächste Sehenswürdigkeit zu empfehlen, will metaio durch unterschiedliche neue Ansätze die Genauigkeit des Tracking weiter verbessern. So erlaubt das metaio-eigene 3D-Feature-Tracking eine bessere Erkennung von Gebäuden und anderen Objekten der Umgebung, da es eine Schwerkraft-Erweiterung besitzt (siehe dazu das Video bei YouTube; diese und weitere URLs sind unter "Alle Links" zu finden).

Durch die Sensoren des beobachtenden Smartphones weiß die Bilderkennung genau, wo unten ist, und kann dies zur Stabilisierung des Tracking nutzen. Zudem will die Firma in Zukunft weitere globale Informationen über Gebäude und ganze Stadtteile über einen Referenzserver bereitstellen, sodass abhängig von der Netzverbindung dem Endgerät Referenzdaten in unterschiedlicher Güte zur Bildanalyse und Augmentierung zur Verfügung stehen.

Um im freien Raum eine hohe Nutzungsqualität zu bieten, ist eine echtzeitnahe Verarbeitung im AR-Browser notwendig. Mit der SLAM-Technik (Simultaneous Localization and Mapping) gelang metaio hier ein großer Schritt nach vorne. SLAM basiert auf dem bereits veröffentlichten 3D-Tracking des SDK. Das System lernt dabei Texturinformationen im Raum und schätzt über die Bewegung der Kamera mit der Zeit deren Tiefe. Das daraus erwachsende 3D-Modell wird nach und nach erweitert und kann sofort für Anwendungen oder als Input für ein 3D-Tracking genutzt werden. SLAM kann zwar die relativen Dimensionen von Punkten im Raum erfassen, allerdings nicht die absoluten Größenangaben in Metern bestimmen.

metaio will dieses Vorhaben insofern technisch unterstützen, als es zukünftig die gesamte Produktpalette auf einer gemeinsamen Codebasis realisieren wird. Dabei ist es unerheblich, ob Entwickler Inhalte mit der Webtechnik junaio, AR-Autorenwerkzeugen oder direkt mit dem SDK für Smartphones oder Desktop-Rechner erstellen. Nach eigenen Aussagen konnte das Unternehmen die Genauigkeit des markerlosen 2D- und 3D-Tracking um mehr als 50 Prozent verbessern. Hierfür hat metaio ein weitverbreitetes Testdatenset verwendet, das es bereits 2009 auf der ISMAR, der international wichtigsten AR-Konferenz, publizierte.

So basiert auch junaio, die frei verfügbare AR-Browser-Applikation für iOS- und Android-Smartphones, auf metaios SDK. Die neue Version 4.5 bietet neben verbesserter Benutzerschnittstelle eine Anbindung an Cloud-Dienste und Facebook und unterstützt SLAM. Außerdem hat der Hersteller die visuelle Suche verbessert. Der Benutzer muss nun nicht mehr entscheiden, wann er ein zu identifizierendes Bild zum Server schickt. Stattdessen analysiert die Suchfunktion das Kamerabild kontinuierlich und gleicht es mit der Datenbank ab. Sobald der Server ein Bild in der Datenbank gefunden hat, erscheint der zugeordnete Content im Browser. Der Client verschickt die Bilder codiert, sodass die Privatsphäre des Anwenders geschützt bleibt. Die Erkennung funktioniert nicht nur für Bilder, sondern auch für nicht-planare Objekte, die zuvor mit der Toolbox eingelernt wurden.

Das ursprünglich für das Erstellen von junaio-Inhalten entwickelte Autorensystem Creator hat der Hersteller in der Version 2.0 den speziellen Anforderungen des Publishings angepasst. Das Werkzeug erlaubt das Entwickeln von AR-Inhalten für Magazine und Kataloge und bietet hierfür speziell adaptierte Tracking-Methoden für Druckseiten, einen integrierten Magazinmanager und ein angepasstes Benutzer-Interface. Damit sind keine Programmierkenntnisse mehr erforderlich, wenn man augmentierte Bücher, Zeitschriften oder Kataloge entwickeln will.

Der AR Engineer bietet für die hohen Ansprüche industrieller Kunden detaillierte Speziallösungen. Seine Entwicklung erfolgt vorerst unabhängig von der gemeinsamen Codebasis des SDK. In der neuen Version 5.0 bietet metaio neue Kalibrierungsmethoden für die exakte Einstellung der Kameras, sodass die Hand-Augen-Kalibrierung der Kamera auf dem Messarm nun direkt aus dem AR Engineer heraus erfolgen kann. Damit sind Augmentierungen in hoher Präzision direkt an Werkstücken möglich, zum Beispiel im Automobilbereich (siehe Abbildung 1).

Neue Kalibrierungsmethoden ermöglichen
Augmentierungen in hoher Präzision (Abb. 1).

(Bild: Sven Pagel)

Mit den neuen Softwareversionen der verschiedenen Produkte möchte das Unternehmen die unterschiedlichen Nutzungsszenarien beim AR-Einsatz und möglichst auch den Austausch zwischen verschiedenen Plattformen unterstützen. Eine plattformunabhängige Erstellung der notwendigen Inhalte soll dabei über die AREL (Augmented Reality Experience Language) erfolgen. Die auf HTML5 und JavaScript aufbauende Auszeichungssprache stellt einen wichtigen Schritt hinsichtlich einer allgemein gültigen Beschreibung für AR-Inhalte dar. Fraglich ist allerdings noch, ob sich AREL gegen andere Standardisierungsversuche wie ARML (Augmented Reality Markup Language) durchsetzen kann.

Die insideAR-Veranstaltung war gut besucht, und insbesondere skandinavische Firmen berichteten über erfolgreiche AR-Projekte. Bereits seit Längerem bietet Lego mit der Digital Box in allen Lego Stores einen virtuellen Blick in die angebotenen Legokästen an. Hält man die Box seiner Wahl vor ein spezielles Terminal, erscheint auf der Verpackung das vollständige, animierte virtuelle Modell. Ikea macht AR-Inhalte nun auf den Tablet-PCs in den Wohnzimmern erlebbar, wenn man sich den neuen Katalog der Schweden anschaut. Im Katalog finden sich augmentierte Inhalte auf 42 Seiten, über 20 Prozent der Inhalte bieten Zusatzinformationen, zum Beispiel 3D im digitalen Layer. Maria Ekberg Brännström, globale Katalogverantwortliche des Möbelherstellers, bestätigt in einem Vortrag den besonderen Nutzen der AR-Applikation im neuen Produktkatalog. Laut Brännström halten sich die Konsumenten mit durchschnittlich acht Minuten deutlich länger in dieser AR-Anwendung auf als bei anderen AR-Diensten, für die metaio eine Bechmark-Zeit von drei Minuten nennt. Mit 211 Millionen gedruckten Exemplaren in 43 Ländern erreicht dieser Katalog und damit die AR-Technik einen globalen Massenmarkt. Die App wurde bis dato 5 Millionen Mal heruntergeladen.

Seit der Ankündigung von Googles Glasses werden digitale Brillen mit Spannung erwartet, in der Hoffnung, dass dieser Technik nun endlich der Durchbruch gelingt. Auf den Baustellen dieser Welt können sie bereits Realität werden. Die AR-Brillen des US-Herstellers Vuzix blenden für Bauingenieure Zusatzinformationen zur Baustelle in die Brille ein und stellen beispielsweise noch unfertige Abschnitte augmentiert dar. Vuzix bietet sowohl optische See-Through-Displays (M2000AR) als auch digitale Video-Displays (Star 1200 XL) an, jeweils zum Preis von 4699 Euro.

Doch auch die Konsumgüterindustrie bleibt weiterhin ein zentraler Motor für AR-Anwendungen. ProjectiveAR von Extend3D lässt Sportschuhe mit den drei Streifen in unterschiedlichen Farbkombinationen erscheinen. Den Käufern soll diese Studie den Entscheidungsprozess erleichtern. Mitsubishi Electric setzt Augmented Reality im Service und im Verkauf ein. Die 500 Vertriebsmitarbeiter in den USA können ihren Kunden mit Papiermarkern die Positionierung von Klimaanlagen schon während der Pre-Sales-Beratung vorstellen. Die Service-Anwendung ähnelt aus der Automobilindustrie bekannten Applikationen.

Münchens Innenstadt kann zukünftig der Nabel einer augmentierten Welt werden. Hier testet metaio Anwendungen, die Stadtentwicklung und Architektur mit Augmented Reality verbinden. Bis zur komplett augmentierten Stadt ist es jedoch noch ein weiter Weg. Nicht umsonst hat die Firma 2014 zum Jahr der augmentierten Realität ausgerufen. Durch die freie Verfügbarkeit von metaios AR-Werkzeugen können interessierte Entwickler den Weg bis dahin mitgestalten und die Entwicklungsumgebung für eigene innovative AR-Ansätze in ihren jeweiligen Branchen nutzen.

In der augmentierten Stadt weisen AR-Anwendungen
Smartphone-Nutzern den Weg (Abb. 2).

(Bild: Sven Pagel)

Das SDK steht als Vollversion kostenlos zum Download und für das Publishing eigener Apps (inklusive aller Features) zur Verfügung. Bei Verwendung der kostenlosen Version erscheint in der Applikation jeweils ein firmeneigenes Wasserzeichen. Für dessen Entfernung bietet der Hersteller die sogenannte Custom Branding Option an. Dabei wird einmalig eine Lizenzgebühr von 4950 Euro (2D-Tracking) beziehungsweise 19 900 Euro (für 3D-Tracking) fällig. Der Kunde kann dann eine unlimitierte Anzahl an Apps ohne Wasserzeichen veröffentlichen.

Alle Links: www.ix.de/ix1211010 (ka)