Was war. Was wird.
Die eine regiert unmerklich und der andere mit Bild, BamS und Glotze, resümiert Hal Faber, hechelt von Wahlkrampf zu Wahlkrampf und arbeitet sich an Petitionsappellen ab. Dabei staunt er nicht schlecht über die Politprofieinkünfte.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** In einer fernen Zukunft werden Sprachforscher, sofern es noch Sprachforscher und die deutsche Sprache gibt, das Wort "unmerklich" auf die Regierungszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel zurückführen, auf ihre Politik möglichst kleiner möglichst unbemerkter Schritte. Ähnlich wird es bei den Gipfeln aussehen, jenen hektischen Treffen dynamischer Leute, bei denen möglichst wenig verändert wird. Man nehme nur den Elektromobilitäts-Gipfel, auf dem sich genau nichts durchgesetzt hat, auch nicht die Forderung der Autobauer nach der Aufbauprämie E. Ähnlich sieht es beim E-Government aus. OK, es gibt ein "auf den Weg gebrachtes" E-Government-Gesetz, das bald so enden wird wie Googles "Auf gut Glück!" – mit einer einzigen Fehlermeldung. Die Verwaltung soll "breit" modernisiert, De-Mail soll eingeführt, der 2 Jahre alte "neue" Personalausweis soll unterstützt werden. Kleiner Realitätscheck gefällig? Da haben wir, nigelnagelneu eingeführt, die De-Mail. Und seit dieser Woche, Stichtag 1. Oktober 2012, die Version 1.9 der Ausweis-App, die man bei De-Mail braucht, um in das hohe Authentifizierungs-Niveau zu kommen. Vielleicht ist unter uns Heise-Lesern der Hinweis unnötig, dass die neue App-Version nicht mit der neuen De-Mail kann, schließlich kennen wir alle Bananen-Software. Warum sollten Vater Staat und Mutti Merkel bei der Auftragsvergabe fürs E-Government Firmen nehmen, die fehlerfreie Software ausliefern, die obendrein sparsam mit den Ressourcen umgeht? Sehr schön auch die neueste Beurteilung des gemeinen Bürgers, den man erst erziehen muss für den richtigen Umgang mit der De-Mail. Langzeitspeicherung von wichtigen De-Mail-Briefen für 10 Jahre und länger? Ja bitte, aber komplett mit der Erklärung der Langzeitspeicherung mit Übersignatur, wir sind schließlich in Deutschland.
*** Bundeskanzler Schröder regierte bekanntlich mit "Bild, BamS und Glotze", der nötige Link entfällt hier aus Gründen der Pietät. Kanzlerkandidat Steinbrück läuft sich gerade mit der Bild warm und verkündete, seine Nebeneinkünfte genauer aufzuschlüsseln als: "Vortrag 1, 2010, Stufe 3, Vortrag 2, 2010, Stufe 3, Vortrag 3, 2010, Stufe 3, Vortrag 4, 2010, Stufe 3, Vortrag 5, 2010, Stufe 3, Vortrag 6, 2010, Stufe 3, Vortrag 7, 2011, Stufe 3, Vortrag 8, 2011, Stufe 3", macht mindestens 49.000 Euro beim London Speaker Bureau. Für die FAZ hat Steinbrück damit dem in Utopia lebenden grölenden Intelligenzpöbel nachgegeben, womit sicher nicht der Auftritt heute in der Talk-Show von Günter Jauch gemeint ist. Noch verquerer ist die "Süddeutsche" mit dem Satz: Er ist schon deshalb kaum zu korrumpieren, weil er seit Jahren Abgeordneter der Opposition ist. Der soll uns wohl wie Transparency International daran erinnern, dass in Deutschland die Bestechung von Abgeordneten keine Straftat ist. Nun ist aber Ruhe in der Kiste! Einen habe ich noch: "Ich glaube, dass es Transparenz nur in Diktaturen gibt", diese Kriegsandrohung gegen jedwedes Transparenzgesetz soll offenbar die Peersphäre als den Kernbereich peerlicher Lebensführung schützen, doch das Porzellan wird noch lange scheppern.
*** Wie ist es eigentlich um die Einnahmen des Wahlkämpfers Chavez bestellt? Beim Bau der langsamsten Internetverbindung nach Kuba soll Geld in großem Stil veruntreut worden sein. Vetternwirtschaft und Petrodollars kennzeichnen den lateinamerikanischen Weg zum Sozialismus. In Kuba, wo gerade die bekannten Blogger Yoani Sánchez und Agustin Diaz im Vorfeld eines Prozesses festgenommen wurden, sind nicht die Einnahmen der Politiker das Problem. Das sind eher die Einnahmen der kubanischen Ärzte, die in Venezuela arbeiten. Dafür bekommt Kuba 4 Milliarden US-Dollar im Jahr. Gegenkandidat Henrique Capriles will nur 800 Millionen zahlen. Die Zurückhaltung à la mode de Steinbrück zählt übrigens nicht, schließlich wird in Venezuela via Twitter regiert. Beim anderen Wahlkampf soll Obama wegen der Höhenluft in Denver gepatzt haben, erklärte Al Gore, der mit dem High Performance Computing Act als einer der Väter des Internets gilt.
*** Ehe bei uns wieder gewählt wird, Stuttgart mal außen vor gelassen, gibt es verschiedene Dinge zu tun. Gefühlte 100 Mal lief in dieser Woche der Appell durch Klein-Kleckernetzdorf, doch bitte diese Petition gegen das Leistungsschutzrecht mitzuzeichnen. Dem schlecht gemachten Pfandrecht für zukunftsscheue Verleger steht zwar eine ähnlich schlechte Petition gegenüber, aber da müssen wir wohl wirklich durch. Müssen wir wirklich? Ich habe da meine Zweifel, nicht nur, weil das Leistungsschutzrecht ein Walversprechen ist. Die Argumentation mit den Netzsperren als vergleichbares Anliegen ist schief, der geplante Leistungsschutz ist nur für einen sehr kleinen Teil der digital Natives interessant. Erst recht ist es für die außerdigitalen Bürger uninteressant, die in einer Rateshow schon daran scheitern, Sascha Lobo zu erkennen. Der sich als "Opinion Leader" des Netzes voll hinter die Petition gestellt hat. Eine vertane Chance ist übrigens keine Niederlage; es liegt jetzt an den Bundestags-Abgeordneten die vollmundig verkündete Stümperei zu stoppen. Aber ach, vergurkt und schwammig eine gute Figur machen, dass ist schon ein Kunststück.
Was wird.
Am Dienstag startet auf der Frankfurter Buchmesse der ambitionierte Versuch der Verlage, Bücher auf den Markt zu bringen, die einen Inhalt haben und nicht nur substanzloses Geschwafel. Ausgerechnet die Süddeutsche, die seit Wochen in einer Artikelreihe vor den furchtbaren Schäden warnt, die das Internet hinterlässt, hat ihre "zehn Verbote" (nur auf Papier) veröffentlicht, was nicht veröffentlicht werden soll. Darunter sind Verbote, all diese langweiligen Internet-Bücher zu unterlassen, die eine Bedeutungshalbwertszeit von ein paar Tagen haben. "Lasst also das Internet in Ruhe! Es hat euch nichts getan." Um im schönsten Klappentextsprech zu waschzetteln: Ein gutes, ein notwendiges Verbot.
Aber halt! Hallo! Ein Buch ist natürlich von diesem Verdikt ausgenommen. Angela Merkel Bundeskanzlerin, Berlin, monatlich, Stufe 3 hat ein schwergewichtiges Buch herausgegeben, in dem ein ebenso angeheuerter wie atemloser Journalist einen gehetzten Blick hinter die Kulissen des Spektakels namens Zukunftsdialog wirft. Zur Buchmesse erscheint diese seltsame Endlosreportage als "enhanced eBook" mit den Biographien der 130 Experten, die in 18 Arbeitsgruppen nach "dem großen Wurf für Deutschland" suchten. Zahlreiche Videos von Merkels Bürgergesprächen beim Zukunftsdialog sind auch drin im enhanced eBook. Und dazu ist ein aufregender Blick hinter die Kulissen des Bundeskanzleramtes angekündigt. Erfahren wir endlich, wie möglichst kleine Schritte geübt werden? Gibt es vielleicht einen location based Krimi als Zugabe? Tod in der Bundeswaschmaschine? (ps)