Grüner Polizeikongress: Kritik an "massiver Ausweitung polizeilicher Befugnisse"

Während Juristen vor einer "unkontrollierten Exekutive" warnten, beklagten Vetreter der Polizei den hohen Personalaufwand, den die Überwachung der sozialen Netzwerke mit sich bringe.

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Von
  • Detlef Borchers

In Hamburg trafen sich Innenpolitiker der Grünen und Vertreter der polizeikritischen Bewegung, um über "Sicherheit und Strafverfolgung im digitalen Zeitalter" zu diskutieren. Was vor einem Jahr als alternativer Polizeikongress in kleinem Rahmen begann, hat sich nunmehr zum Grünen Polizeikongress mit einem vollen Tagungsprogramm entwickelt.

Juristen und Polizisten stritten in Hamburg um eine "unkontrollierte Exekutive" und den hohen Personalaufwand bei der Internet-Überwachung.

(Bild: Detlef Borchers)

Der vom Grünen Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht veranstaltete Kongress sollte für jeden Interessierten etwas bieten. Es gab sowohl juristische Grundsatzreferate wie technisch-praktische Vorträge etwa zur Fahndung auf Facebook im bundesdeutschen Pilotprojekt in Niedersachsen oder zur Aufklärung eines Hacker-Angriffes mittels funktionierender Vorratsdatenspeicherung in Frankreich. Diese praktische Perspektive machte den von "Grünen Polizeibeamten" besuchten Kongress interessant. Es sei in vielen Fällen ungeklärt, wie polizeiliche Maßnahmen aus der analogen Welt in der digitalen abgebildet werden, erklärte Gastgeber Jan Philipp Albrecht zur Eröffung. Man müsse untersuchen, ob es gesetzgeberischer Klarstellung bedürfe. Der Kongress habe den Anspruch, die Grüne Politik zur inneren Sicherheit zu entwickeln, die Grünen Standpunkte zu klären und einen "nachhaltigen Impuls für die Grüne Programmatik der kommenden Jahre" zu setzen. Albrecht selbst forderte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa offen patroullierende Beamte im Internet.

Zum Auftakt des Kongresses stimmten die Keynotes von zwei Juristen auf den Tag ein. Dennis Bock von der Universität Kiel und Tobias Singelnstein von der FU Berlin betonten beide, dass es keine hundertprozentige Erfassung aller Straftaten geben könne. Bock kritisierte die "medial aufgeheizten Lagebilder" zur Kriminalität im Internet, gegenüber denen der Begriff der Freiheitsrechte zunehmend verblasse. Singelnstein fragte, ob die massive Ausweitung der polizeilichen Befugnisse in den letzten 20 Jahren nicht habe eine unkontrollierte Exekutive entstehen lassen, in der die Eröffnung von Hauptverfahren gegenüber Maßnahmen mit hoher Eingriffsintensität (zum Beispiel Funkzellenabfrage ganzer Stadtteile) an Bedeutung verloren habe. Er forderte eine stärkere Verankerung des Richtervorbehaltes mit entsprechenden Ressourcen samt einem Verbot von unterschriftsreifen "Formulierungshilfen" durch die Ermittler. Das brachte in der anschließenden Diskussion den Hambuger Generalstaatsanwalt von Sell auf den Plan. Man möge nicht die Polizei kritisieren, sondern die Gerichte, die Beschlüsse erlassen haben: "Bitte zeigen Sie mit den Fingern auf mich."

In mehreren anschließenden Workshops spielte die Vorratsdatenspeicherung und die Alternative "Quick Freeze" eine wichtige Rolle. Praktiker beklagten, dass ihnen ein "grundlegendes Ermittlungsinstrument" fehle. Deutlich wurde auch, dass die Polizeiarbeit im digitalen Zeitalter erhebliche personelle Ressourcen benötigt. So muss die Facebook-Fahndungsseite des LKA Niedersachsen rund um die Uhr an allen sieben Tagen überwacht werden, um schnell reagieren zu können. Selbst wenn diese Überwachung in der Nachtschicht nur ein weiterer Bildschirm im Lagezentrum bedeute, der beobachtet werden muss, müssten im Hintergrund "Social Media-Spezialisten" im Bereitschaftsdienst verfügbar sein, erklärte Matthias Behnke, Leiter der Spezialeinheiten des Landeskriminalamtes. Eskalationen wie die Bildung eines "virtuellen Lynchmobs" auf Facebook könnten sonst schnell ins reale Leben überschwappen, wie die traurigen Erfahrungen von Emden zeigten.

Zum Schluss des Grünen Polizeikongresses sprachen Spitzenvertreter der drei Gewerkschaftsorganisationen zu den Grünen, auch dies ein Novum der Veranstaltung. Bernhard Witthaut (GdP) beklagte die Bezahlung der Polizei, die dazu führe, dass fähige Informatiker sich andere Stellen in der Wirtschaft suchen. Er forderte eine neue Befugnisnorm für Online-Durchsuchungen in der Strafprozessordnung und hoffte für die Zukunft, dass IT-Instrumente wie das in den USA erprobte Predictive Profiling auch in Deutschland zum Einsatz kommen. Rainer Wendt (DPolG) mahnte die Grünen an, sich in den Bundesländern zur Polizei zu bekennen, in denen sie in der Regierungsverantwortung stehen. Wer sich dem dringend notwendigen Instument der Vorratsdatenspeicherung verweigere, müssen sich auch zur Nicht-Fahndung im digitalen Raum bekennen. BDK-Pressesprecher Bernd Carstensen forderte eine grundsätzliche Neubehandlung der beweiskräftigen Dokumentation digitaler Kommunikation durch die IT-geprägte Gesellschaft und generell eine bessere IT-Ausbildung der Kriminalisten. Die Innenpolitikerin Antje Möller, Grünes Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, sprach sich zum Abschluss des Kongresses gegenüber den Gewerkschaften dafür aus, das Thema Vorratsdatenspeicherung aufzuarbeiten und neu diskutieren zu wollen. (hag)