Klärungsbedarf bei Medikamenten

Die Vorschriften für Arzneimittel im Abwasser werden verschärft. Aber nur zwei Verfahren sind so ausgereift, dass sie Abhilfe schaffen könnten.

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Von
  • Susanne Donner

Die Vorschriften für Arzneimittel im Abwasser werden verschärft. Aber nur zwei Verfahren sind so ausgereift, dass sie Abhilfe schaffen könnten.

Ein großer Schluck Wasser spült das Schmerzmittel in den Magen. Eine halbe Stunde später scheint das Leid aus der Welt geschafft. Aber: Zwei Drittel der Medikamentenmenge scheidet der Mensch aus. Bei 30 000 Tonnen verkauften Arzneien pro Jahr in Deutschland summiert sich das zu einem gewaltigen Problem. Denn die zunehmende Medikamentenfracht steht im Verdacht, Lebewesen zu schädigen: Das Schmerzmittel Diclofenac beispielsweise schlägt auf die Nieren von Fischen. Männliche Fische bilden unter dem Einfluss weiblicher Hormone Dottereiweiße, wie sie sonst nur die Weibchen produzieren. Meeresschnecken reagieren teils empfindlich auf die rund 3000 zugelassenen Arzneistoffe. Außerdem können Antibiotikareste Krankheitserreger resistent machen.

Ende Januar 2012 hat die EU deshalb vorgeschlagen, drei besonders kritische Arzneistoffe in Gewässern künftig zu überwachen – und die Wirkstoffe gegebenenfalls zu entfernen: das Schmerzmittel Diclofenac, Ethinylestradiol aus der Antibabypille und Estradiol gegen Wechseljahrsbeschwerden.

In der Schweiz laufen sogar bereit konkrete Planungen, um die Medikamente aus dem Abwasser zu entfernen. Laut Schweizer Bundesamt für Umwelt sind zwei Verfahren praktikabel: die Behandlung mit Ozon und mit Aktivkohle. "Sie sind gegenwärtig am geeignetsten und kostengünstigsten", urteilt Umweltchemikerin Christa McArdell vom eidgenössischen Wasserforschungsinstitut Eawag bei Zürich. Mit beiden Techniken wird schon heute Trinkwasser aufbereitet. Aber erst in jüngster Zeit erproben Forscher sie im großtechnischen Maßstab auch in Kläranlagen. Im Rahmen des EU-Projekt PILLS ließen Wissenschaftler beispielsweise für die Abwässer des Gelsenkirchener Krankenhauses eines der modernsten Klärwerke Europas errichten. Die vom Essener Wasserwirtschaftsunternehmen Emschergenossenschaft für zwei Millionen Euro gebaute Anlage kann in zehn verschiedenen Konstellationen betrieben werden. Getestet wurden bisher zwei: ein Membranbioreaktor in Kombination mit Ozon sowie in Kombination mit Aktivkohle.

Der Membranbioreaktor ist die moderne Version der biologischen Abwasserbehandlung. Bakterien zersetzen die organischen Stoffe. Zugleich wird das Nass durch eine Membran mit mikrometergroßen Poren gedrückt, um Schwebstoffe zu entfernen. Das gasförmige Ozon bricht die chemische Struktur der Arzneien auf. Aktivkohle dagegen bindet Medikamente und ermöglicht, sie auszufiltern.

Im September stellte das Forscherteam die Ergebnisse des acht Millionen Euro schweren Vorhabens vor: "Über alle Medikamentenrückstände gemittelt, vermindern beide Verfahren die Belastung um rund 80 Prozent", zieht Projektkoordinator Issa Nafo von der Emschergenossenschaft Bilanz.

Beide Verfahren haben allerdings Nachteile: Die Kohle muss mit dem Klärschlamm entsorgt werden. "Weil sie mit Schadstoffen beladen ist, kann man sie nicht auf den Acker ausfahren. Wir verbrennen sie, was teuer ist", erzählt Nafo. Die Ozonbehandlung demgegenüber verbraucht zwar weniger Energie als die Reinigung mit Aktivkohle. Dafür aber reagieren die Arzneien mit Ozon zu neuen Stoffen, von denen niemand weiß, wie sie auf Mensch und Umwelt wirken.

Eine Reihe von Projekten versucht nun, Licht ins Dunkel zu bringen. So zweigte das Team des Chemikers Torsten Schmidt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wasserforschung an einer Kläranlage mit Ozoneinheit Abwasser ab. Schmidt und seine Kollegen setzen verschiedene Zellen, Algen, Wasserlinsen, Wasserflöhe, die Eier des Zebrabärblings, die Zwergdeckelschnecke und den Glanzwurm dem Wasser aus. Noch laufen die Untersuchungen. Bisher geschah "nichts Dramatisches", meint Schmidt. Er will dennoch keine Entwarnung geben.

Ohnehin dürfte noch einige Zeit vergehen, bis die Verfahren Alltag in Klärwerken werden. Der Grund sind ihre hohen Kosten. Um rund 100 der 750 Klärwerke in der Schweiz entsprechend aufzurüsten, wären voraussichtlich 1,2 Milliarden Euro nötig. Die angeschlossenen Einwohner müssten dafür jährlich neun Schweizer Franken berappen, rechnet das Bundesamt für Umwelt vor. Im Gegenzug würden in ihren Seen und Flüssen dann aber nur noch halb so viel Medikamente schwimmen. (bsc)