Burnout in der IT-Branche

Mitarbeiter in der IT-Branche sind besonders gefährdet, einen Burn-Out zu erleiden. Eine Studie zeigt Gründe und Gegenmaßnahmen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Diplom-Ingenieur Tim Sturm hat im Rahmen seines Studiums "Supervision & Coaching" an der Donau-Universität Krems eine Studie über das tatsächliche Ausmaß der Burnout-Gefährdung in der IT-Branche durchgeführt. Mit Heise Resale sprach er über die Ergebnisse.

Für ihre Masterarbeit zum Thema "Burnout in der IT-Branche: Sind Reflexion, Coaching und Supervision wirksame Instrumente zur erfolgreichen Prävention?" haben Sie die Daten von 1.155 Arbeitnehmern aus der IT-Branche ausgewertet. Wieso haben Sie ausgerechnet die IT-Branche unter diesem Aspekt beleuchtet?

Sturm: Da ich 20 Jahre in der IT-Branche tätig war und selbst dabei in den Burnout geschlittert bin, hat mich dieses Thema besonders interessiert und so diente die Arbeit auch der Aufarbeitung meiner persönlichen Biographie.

Lange Zeit galt die IT-Branche mit ihrem angeblich überdurchschnittlich hohem Maß an Freiheit und Kreativität als Eldorado "guter Arbeit". Wie würden Sie die aktuelle Situation beschreiben?

Sturm: Leider ist diese als wirklich dramatisch einzuschätzen. 53% der IT-Beschäftigten sind Burnout-gefährdet, 13% davon weisen kritische, das heißt, unbedingt zu behandelnde Burnout-Symptomatik auf. Dabei scheint die Gefährdung in Deutschland noch höher als etwa in Österreich oder der Schweiz zu sein.

Überdies zeigt der Vergleich mit den Studien der Arbeiterkammern und Ärztekammer, dass IT-Beschäftigte wesentlich gefährdeter sind als etwa Arbeitnehmer im Gesundheitsbereich oder die ohnehin als sehr gefährdet eingestuften Ärzte. Sowohl die emotionale Erschöpfung als auch die zweite Burnout-Phase nach Christina Maslach, Depersonalisation und Zynismus, sind drastisch erhöht. Die persönliche Erfüllung ist bei IT-Kräften im guten Durchschnitt, was auf eine wirkliche Überzeugung von der Arbeit schließen lässt.

Tim Sturm ist Coach, Mediator, Organisationentwickler und Supervisor in Eugendorf bei Salzburg. Zuvor arbeitete er 20 Jahre in der IT-Branche als Application Designer, IT-Manager bei der Fachhochschule Salzburg und als IT-Architekt bei IBM.

Aber würden diese Erkenntnisse nicht 1:1 auch auf die Arbeitnehmer in anderen Branchen zutreffen? Leistungsverdichtung, der Mangel an Selbstbestimmung oder fehlende Anerkennung gibt es ja nicht nur im IT-Bereich.

Sturm: Auf den ersten Blick könnte man dies vermuten, aber ich sehe doch sehr spezifische Merkmale der Arbeit in der IT-Branche: Vor 20 Jahren hatte man noch oft die Eigenverantwortung für ein Projekt, alles war überschaubar. Heute ist man meist nur noch für ein kleines Modul zuständig. Somit fehlt das Erfolgserlebnis wie es etwa ein Arzt nach einer erfolgreichen Operation hat! Überdies sind die meisten IT-Projekte immens knapp bemessen, wodurch von Anfang an unnötiger Zeitdruck und Stress erzeugt wird. Die hohe Komplexität, geringste Fehlertoleranz und höchste Verfügbarkeit der Applikationen führen zu einer weiteren Belastung, wie sie in anderen Berufsfeldern kaum zu finden ist.

Das Thema "Burnout" war in den letzten Monaten in den Medien omnipräsent. Nun mehren sich auch kritische Stimmen. Vereinfacht ausgedrückt heiß es neuerdings: Wer angeblich einen "Burnout" hat, leidet in Wahrheit entweder an einer Depression – und die hat ihre Ursachen nicht unbedingt im Job – oder er ist mit seiner Tätigkeit einfach nur überfordert. Haben diese Kritiker vielleicht recht?

Sturm: Burnout ist eine äußerst komplexe und vielschichtige Lebenssituation. Selbst Forscher und Wissenschaftler sind sich über die genaue Symptombeschreibung und den Phasenverlauf uneinig. Die Pioniere der Burnout-Forschung, Herbert Freudenberger und Gail North, sehen die terminale Phase des Burnout als "Depression" und "völlige Erschöpfung". Die Symptome sind sehr ähnlich, Depression ist jedoch im ICD-10 im Gegensatz zu Burnout als Krankheit definiert. Aus meiner eigenen leidvollen Erfahrung würde ich Burnout es als "Gefühl völliger Entwurzelung aus dem Leben" beschreiben.

Haben Sie in Ihrer Studie auch eine Antwort auf die Frage gefunden, warum ein Mitarbeiter mit einem Burnout zusammenbricht, während ein anderer die gleiche Situation scheinbar mühelos meistert?

Sturm: Burnout ist ganzheitlich zu sehen. Zudem besteht ein starker Zusammenhang zwischen Burnout und Ausgewogenheit der fünf essentiellen Lebensbereiche – in der integrativen Supervision "Die Fünf Säulen der Identität" genannt. So lässt sich erklären, dass ein Mitarbeiter, der in einer erfüllten Beziehung lebt bzw. ein stabiles soziales Netzwerk, keine finanziellen Probleme hat, sich seines Handelns bewusst ist und dazu auch stehen kann, wesentlich geringer Burnout gefährdet ist als jemand, der all dies nicht aufweisen kann und sich aufarbeitet um die gleiche Situation zu meistern.

Sie stellen auch die Frage, ob Reflexion, Coaching und Supervision wirksame Instrumente zur erfolgreichen Prävention vor Burnout sind. Wie lautet ihre Antwort?

Sturm: Ein eindeutiges "Ja"! Je höher der Grad der Reflexion, desto besser das "Selbst-Bewusst-Sein" einer Person und desto geringer das Burnout-Risiko. Durch Inanspruchnahme von Coaching und Supervision kann das Burnout-Risiko um bis zu 30 % verringert werden.

Was genau bedeutet Coaching und Supervision eigentlich?

Sturm: Coaching und Supervision sind professionelle Beratungsmethoden zur individuell begleiteten beruflichen Reflexion durch einen professionell ausgebildeten Spezialisten. Beide Methoden bedienen sich denselben Techniken. Der Unterschied besteht speziell im Arbeitsumfeld. Leider werden diese Begriffe oft als "Psychokram" abgetan, dabei sind sie besonders wertvolle Instrumente zur Analyse des eigenen Handelns um aus vergangenen Situationen für die Zukunft zu lernen, z.B. durch Betrachten mit verschiedenen Blickwinkeln. Die Inanspruchnahme sollte selbstverständlich sein – nicht nur bei Managern und Sportlern. Warum reflektieren etwa Fußballer, Manager oder Skifahrer ihr Tun? Um aus Fehlern zu lernen, diese in Zukunft zu vermeiden und sich individuell zu verbessern.

Was ist aus Ihrer Sicht der beste Schutz gegen einen Burnout?

Sturm: Die Auswertungen zeigen, dass starke Fünf Säulen der Identität der beste Schutz vor Burnout sind und zwar auf jeder einzelnen Säule. Daher habe ich spezielle Workshops zur Arbeit an und Stärkung der Fünf Säulen entwickelt. Ebenso zeigte die regelmäßige Inanspruchnahme beruflicher Reflexion eine deutliche Verringerung des Burnout-Risikos.

Wie können Unternehmen Ihrer Meinung nach die MitarbeiterInnen unterstützen, Burnout zu vermeiden?

Sturm: Ich halte einen Aufklärungs- und Maßnahmenprozess für essentiell und fasse diesen unter dem Begriff "Burnout Management" zusammen:

  1. Eine kompetente Aufklärungskampagne, mit der Unternehmen und MitarbeiterInnen ein Basiswissen über Burnout vermittelt wird.
  2. Mechanismen zur Prävention, wie etwa Workshops zur Förderung des Selbst-Bewusstseins und der Selbstwahrnehmung.
  3. Ein gezieltes Informationsprogramm für Betroffene, KollegInnen und ManagerInnen um die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben nach längerer Abwesenheit konstruktiv und auf offener Basis zu gestalten.
  4. Notwendig erscheint ein Evaluierungssystem wie den Fragebogen meiner Arbeit, um gefährdete Personen zu identifizieren und diesen Hilfeleistungen anbieten zu können.

Zur Studie von Tim Sturm ist eine Management Summary sowie ein Online Fragebogen mit Sofortfeedback abrufbar. (gs)
(masi)