Hohle Klagen

„Wir wollten fliegende Autos – aber was wir bekamen, waren 140 Zeichen.“ Der mittlerweile geflügelte Satz des US-Wagniskapitalgebers Peter Thiel dient vielen als Beweis für ein sinnentleertes Innovationswesen. Wurde da nicht etwas vergessen?

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Robert Thielicke

„Wir wollten fliegende Autos – aber was wir bekamen, waren 140 Zeichen.“ Der mittlerweile geflügelte Satz des US-Wagniskapitalgebers Peter Thiel dient vielen als Beweis für ein sinnentleertes Innovationswesen. Wurde da nicht etwas vergessen?

Twitter, der mit eben jenen 140 Zeichen gemeinte Onlinedienst, mag wahrlich kein technologischer Durchbruch sein. Aber wer davon ausgehend klagt, heutige Innovationen gingen nicht die großen Probleme der Welt an, dem sei erstens gesagt: Einige der globalen Probleme sind heute technologisch gelöst. Der Haken ist, das die Lösung nicht dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Hunger: Wir haben Dünger – nur eben nicht dort, wo sich Landwirte von ihren mageren Böden nicht einmal selbst ernähren können. Infektionen: Wir haben Antibiotika – nur eben nicht dort, wo Kinder an einer Lungenentzündung sterben. Klimawandel: Wir haben Solarkraftwerke und Windräder – nur sind sie den meisten Menschen zu teuer.

Zweitens: Am ungelösten Rest arbeiten zahlreiche Forscher – sei es an billigen Stromspeichern oder besseren Krebstherapien. Zum Glück arbeiten sie nicht an Unterwasserstädten, Marskolonien oder anderen angeblich so großartigen Utopien aus den den 50er und 60er Jahren. Und zum Glück arbeiten sie auch nicht an fliegenden Autos. Denn die Frage sei erlaubt: Was für ein Problem hätten sie gelöst? Der Stau hätte sich von der Straße an die Start- und Landebahnen verlagert, die Parkplatzprobleme wären die gleichen geblieben. Dass die Vierrad-Flieger uns bis heute nicht zur Arbeit oder in den Urlaub befördern, hat einen einfachen Grund: Keiner will sie. Das zeigt sich spätestens jetzt, da es erste Modelle zu kaufen gibt: Schon von Ihnen gehört? Nein? Eben. Peter Thiel übrigens hat ebenfalls nicht sehr nachdrücklich in ihre Realisierung investiert. Er verdiente seine Milliarde lieber mit – Facebook.

Und damit sind wir beim dritten Punkt: Twitter mag von begrenztem Nutzen sein, seine technologische Grundlage ist es nicht. Das Internet und vor allem der damit verbundene digitale Datenaustausch ist ein durchaus revolutionärer Durchbruch. Auch Jahrzehnte nach der ersten Vernetzung zweier Computer sind die Konsequenzen nicht endgültig abzusehen, hat sich das Potenzial nicht voll entfaltet. Sicher ist nur: Was vielen als Spielerei vorkommt, ist in Wahrheit die Wirbelsäule der Zukunft. Sie ist so entscheidend wie die Eisenbahnlinien für den Beginn der industriellen Revolution. Ohne sie wird kein klimafreundliches Energiesystem funktionieren und keine ressourcenschonende industrielle Fertigung. Das Netz transportiert zwar keinen Stahl, aber es transportiert die Informationen darüber, wie er zu verarbeiten ist, was am Ende aus ihm entstehen soll und welcher Kunde es in dieser Form bestellt hat. Es kann Bedarf und Nachfrage ausbalancieren wie kein anderes Medium zuvor – von der privaten Dienstleistung bis hin zum Industrieprodukt.

Die heute so maßgeblichen Internetdienste wie Google oder Facebook mögen ein vorübergehendes Phänomen sein. Aber das, was sie tun, wird bleiben. Sie proben, wie sich Daten, die dezentral und vor allem in Unmengen erzeugte werden, verwalten und auswerten lassen, wie sich sich transportieren und verknüpfen lassen. Wer das Internet nur an daran misst, was auf dem Bildschirm erscheint, tut so, als wäre die Mondmission Apollo 11 nichts neues gewesen, weil an der Raketenspitze wenig überraschend die US-Fahne prangte. (rot)