Britische "Big Brother"-Videoüberwachung in der Kritik

Der britische Datenschutzbeauftragte hat den Einbau von Lautsprechern und Mikrophonen in Überwachungskameras als zu weitgehend abgelehnt. US-Forscher basteln derweil an "respektvollen" elektronischen Augen.

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Der britische Datenschutzbeauftragte Richard Thomas hat den Einbau von Lautsprechern und Mikrophonen in Überwachungskameras als nicht mehr akzeptabel bezeichnet. Der oberste Hüter der Privatsphäre der Briten lehnte es bei einer Anhörung Anfang der Woche im Innenausschuss des britischen Parlaments zum Thema Überwachungsgesellschaft insbesondere ab, dass Videokameras mit Abhörmöglichkeiten aufgerüstet werden. Auch bei Pilotprojekten zur Ausstattung der elektronischen Augen mit Lautsprechern zur Bekämpfung "asozialen Verhaltens" zeigte er sich skeptisch: "Das dürfte zu weit gehen", erklärte Thomas. "Wir begrüßen diesen Ansatz definitiv nicht."

Die britische Stadt Middlesbrough hat seit Mitte vergangenen Jahres 20 ihrer rund 160 Überwachungskameras mit Sprechanlagen ausgestattet. Andere Bezirke Großbritanniens wollen nachziehen. Insgesamt sind bereits rund 4,2 Millionen Überwachungskameras im Vereinigten Königreich im öffentlichen Raum installiert – im Durchschnitt also eine für 14 Bürger. Thomas zufolge gibt es aber nach wie vor Zweifel an der Effizienz des massierten Einsatzes von CCTV (Closed Circuit Television). Es sei nicht nachgewiesen, dass sich dadurch Straftaten verhindern oder aufklären lassen würden. Man müsse daher stärker prüfen, ob die häufig von der Bevölkerung gewünschten Überwachungskameras tatsächlich eine "verhältnismäßige" Antwort auf soziale Probleme in einem Stadtviertel seien. Auf jeden Fall müssten die Bürger etwa mit einer markierten Straßenkarte im Web besser darüber informiert werden, wo die elektronischen Augen aufgestellt würden. Mini-Kameras dürften auf keinen Fall heimlich etwa auf Straßenlaternen versteckt werden.

Dem Vorsitzenden des Innenausschusses, John Denham, brachte Thomas zuwenig Beispiele für Menschen, deren Leben durch CCTV und den zunehmenden Datenaustausch zwischen Behörden negativ beeinträchtigt worden seien. Der Datenschutzbeauftragte hatte unter anderem auf einen Fall in der südenglischen Stadt Essex verwiesen, wo Überwachungsaufnahmen eines zum Selbstmord bereiten Mannes im Fernsehen als Beispiel der positiven Wirkung von CCTV gezeigt wurden. Dieses Vorgehen hatte jüngst auch ein Komitee des Europarates in einem Bericht über massive Grundrechtseinschränkungen durch die um sich greifende Videoüberwachung kritisiert. Thomas will nun einen Verhaltenskodex für den Einsatz von CCTV und zum innerbehördlichen Datentransfer ausarbeiten. Er warnte, dass ein "Klima der Angst" in Großbritannien entstehen könnte, wenn exzessive Überwachungsmaßnahmen nicht zurückgefahren würden.

Der Datenschutzbeauftragte charakterisierte Großbritannien jüngst unzweifelhaft als Überwachungsgesellschaft. In einem Nachbericht (PDF-Datei) zu einer internationalen Datenschutzkonferenz im November verweist sein Büro nun darauf, dass die öffentliche Debatte rund um Überwachung verbessert und mit mehr Argumenten unterfüttert werden müsse. Oft erleichtere ein Mangel an demokratischer Beteiligung, dass übermäßige und unkontrollierbare Bespitzelungsmaßnahmen eingeführt würden. Regierungen stünde daher mehr Transparenz, der Einbezug von Experten und ein "nicht-paternalistischer Ansatz" in der Innenpolitik gut zu Gesicht. Der Graben zwischen Experten, die sich der Überwachung teilweise mit Hilfe technischer Mittel entziehen könnten, und den in dieser Beziehung unbeschlagenen Bürgern dürfe ferner in der digitalen Gesellschaft nicht noch größer werden.

Diesen letzten Gedanken hat sich auch ein Forscherteam der University of California in Berkeley im Rahmen des US-Förderprogramms Team for Research in Ubiquitous Secure Technology (TRUST) zu eigen gemacht. Wie das Magazin Technology Review berichtet, arbeiten die Wissenschaftler an "respektvollen Kameras". Diese sollen die Gesichter von Leuten, die von einem elektronischen Auge erfasst werden, automatisch abdecken und somit die Personen unkenntlich machen. Für die Strafverfolgung sollen die digitalen Masken in bestimmten Fällen gelüftet werden können. Bisher funktioniert das System aber nur, wenn die Überwachten auffällige Markierungsobjekte für die Kamera-Erkennung wie bunte Hüte tragen. Bürgerrechtler sehen in dem Ansatz, den technischen Datenschutz schon im Design von Überwachungstechnik zu verankern, dennoch einen Schritt in die richtige Richtung. (Stefan Krempl) / (vbr)