Magischer Finger statt Touchscreen

Kanadische Wissenschaftler wollen aus nahezu jeder Fläche eine Nutzerschnittstelle für Tablets und Smartphones machen.

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Kanadische Wissenschaftler wollen aus nahezu jeder Fläche eine Nutzerschnittstelle für Tablets und Smartphones machen.

Mittlerweile kommt kaum mehr ein tragbares elektronisches Gerät ohne Touchscreen aus: Egal ob Smartphone, Tablet oder die neuen Windows-8-Laptops, Hardware will berührt werden. Dabei lassen sich die populären Fingergesten vom Wischen über das Antippen bis zum Spreizen aber stets nur in einem abgegrenzten Bereich durchführen – jenen Oberflächen, hinter denen sich kapazitive Sensoren befinden. Diese stecken meistens direkt im Bildschirm, was bedeutet, dass der Nutzer bei der Bedienung stets einen Teil des Displays verdeckt.

Ein Team aus Computerwissenschaftlern der University of Toronto und der University of Alberta haben nun ein Gerät entwickelt, mit dem sich aus jeder Oberfläche eine berührungsempfindliche Bedienschnittstelle machen lassen soll. Der sogenannte Magic Finger besteht aus einer Minikamera, die die Umgebung erfasst – sie analysiert, auf welchen Gegenstand das Zeigeorgan gerade weist.

Beispiel zweier berührungsempfindlicher Flächen: Der Magic Finger erkennt das "Star Trek"-Logo ebenso wie die Nylon-Haut des Rucksacks.

(Bild: U Toronto / U Alberta / Autodesk)

Bis zu 32 verschiedene Oberflächentexturen kann das System mit einer Genauigkeit von 98,9 Prozent unterscheiden, sagen die Forscher – sei es nun ein Schreibtisch, ein Stück Papier, ein Nylon-Stoff oder die Haut eines Menschen. Außerdem lässt sich der Magic Finger als Computermaus-Ersatz nutzen. Dazu muss man das fingerhutartige Gerät, das auf den Zeigefinger gesteckt wird, nur auf einer ebenen Fläche wie einem Schreibtisch verwenden.

Die Wissenschaftler, die zusammen mit dem Softwarekonzern Autodesk an der Idee arbeiten, haben mittlerweile verschiedene Anwendungsszenarien für ihre Erfindung entwickelt. Ein Träger des Systems könnte beispielsweise auf einen für den Magic Finger optimierten grafischen Code in einer Zeitschrift tippen, um mit seinem Smartphone nähere Informationen abzurufen – ähnlich wie bei den per Handy-Kamera auslesbaren QR-Codes, nur wesentlich einfacher und vor allem schneller.

Magic-Finger-Prototyp: Noch ist das System relativ unhandlich.

(Bild: U Toronto / U Alberta / Autodesk)

Fängt in einer Besprechung plötzlich das Tablet an zu läuten, weil ein Skype-Anruf hereinkommt, reicht die Berührung der Tasche, in der das Gerät steckt, um die Störung abzustellen. Will ein Nutzer eine Präsentation von einem Computer auf einen anderen senden, muss er nur beide Geräte hintereinander berühren und die Übertragung startet.

Bei Autodesk erhofft man sich auch eine Anbindung an die professionelle CAD-Software der Firma. Nutzer könnten beispielsweise künftig direkt mit Bauplänen aus Papier interagieren, ohne diese einscannen zu müssen. Autodesk-Technologe Shaan Hurley meint, dass sich daraus faszinierende Möglichkeiten ergeben. "Man stelle sich vor, man könnte Texturen, Materialien und Beleuchtung eines 3D-Modells durch die Verwendung eines Fingers auf jeder beliebigen Oberfläche verändern."

Das Team um den Computerwissenschaftler Xing-Dong Yang nennt ihre Technik "Always-Available Input" – ein Eingabemedium, das dem Nutzer stets uneingeschränkt zur Verfügung steht. Das Prototypsystem besteht neben der Kamera, einer LED-Beleuchtung und einer Optik nur noch aus einem Sensor, der den Lichtfluss misst. Allerdings ist die Hardware bislang nicht miniaturisiert, sie ist zudem mittels Kabel an einen Steuerrechner angebunden.

Innerer Aufbau: Kamera, Sensor, Optik und LED zur Beleuchtung.

(Bild: U Toronto / U Alberta / Autodesk)

Einer Verkleinerung steht aber wenig im Web. Integriert werden soll außerdem noch ein Bluetooth-Modul, mit dem eine direkte Verbindung zwischen Magic Finger, Smartphones, Tablets oder Laptops hergestellt wird. An das Tragen des "Fingerhuts" sollte man sich recht schnell gewöhnen.

Wie der Alltagseinsatz der Technik aussehen könnte, wollen die Forscher nun als nächstes ergründen. Dazu stehen Usertests an. Ähnlich wie bei frühen Touchscreens lässt sich derzeit noch gar nicht sagen, wie der Magic Finger in der Praxis eingesetzt werden könnte – die erwähnten Anwendungsszenarien sind erst der Anfang und in der Praxis noch wenig erprobt. Die Idee hat als "Always-Available"-Schnittstelle aber viel Charme, finden Beobachter. (bsc)