Chip simuliert Lunge

Harvard-Biologen arbeiten an einem neuartigen System, das in einigen Jahren Tierversuche überflüssig machen könnte.

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Von
  • Susan Young

Harvard-Biologen arbeiten an einem neuartigen System, das in einigen Jahren Tierversuche überflüssig machen könnte.

Forscher am Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering an der Harvard University haben eine neuartige künstliche Lunge entwickelt, mit der sich lebensbedrohliche Krankheiten simulieren lassen. Das System steckt in einem einzelnen Chip, der sogar mehr Möglichkeiten bieten soll als Tierversuche.

Das Verfahren wurde im Rahmen einer neuen Studie demonstriert, die erstmals aussagekräftig zeigte, dass sich solche Chips nutzen lassen, um Medikamentenkandidaten zu testen. Am Wyss Institute sind ebenfalls Testkits zur Simulation von Magen, Herz und Niere in Arbeit.

Der Lungen-Chip besteht aus einem durchsichtigen und flexiblen Polymerblock, der ungefähr so groß ist wie ein Daumen. Er wird von zwei kleinen Kanälen perforiert, die durch eine dünne Membran voneinander getrennt sind. Luft fließt durch einen der beiden Kanäle, der mit menschlichen Lungenzellen ausgekleidet ist. Eine nährstoffreiche Flüssigkeit, die als Blutersatzstoff arbeitet, fließt durch den anderen Kanal, dessen Wand mit Blutgefäßzellen besetzt ist. Um den Atemvorgang zu simulieren, wird ein Vakuum angelegt, das die Kanäle so bewegt, wie sich menschliches Lungengewebe mit jedem Atemzug erweitern und zusammenziehen würde.

Die Studie, die von Dongeun Huh geleitet wurde, konzentrierte sich auf die Untersuchung von Lungenödemen, einer Krankheit, bei sich die Lunge langsam mit Flüssigkeit und Blutgerinnseln füllt. Es kann durch Herzprobleme sowie durch Nebenwirkungen häufig verwendeter Krebsmedikamente ausgelöst werden. Letzteren Fall wollten die Forscher simulieren. Dazu injizierten sie den Wirkstoff zunächst in den Blutgefäß-ähnlichen Kanal. Sie stellten fest, dass Flüssigkeit und Blutplasmaproteine durch die Membran in den Luftkanal übertraten, ähnlich wie dies im echten Organ der Fall wäre.

Dies führte zu zwei überraschenden Erkenntnissen, sagt die Co-Autorin der Studie, Geraldine Hamilton, die ebenfalls am Wyss Institute arbeitet. So habe sich gezeigt, dass das Immunsystem, das auf dem Chip nicht nachgebildet wurde, gar nicht notwendig war, um das Lungenödem auszulösen – das hatte man zuvor nicht erwartet. Zweitens zeigte sich, dass das Vakuumsystem, dass die Atmung simulierte, das Problem noch verstärkte.

Die Forscher zeigten auch, dass ein Medikamentenkandidat von GlaxoSmithKine zumindest auf dem Chip verhindern konnte, dass Flüssigkeit und Blutgerinnsel in den Atembereich eindrangen. GSK war an der Studie beteiligt und konnte in einer separaten Untersuchung zeigen, dass der Wirkstoff bei Mäusen mit Herzproblemen die Gefahr von Lungenödemen senkte – was wiederum half, die Funktionsweise der Chip-Lunge zu verifizieren. "Natürlich werden auch noch in vielen Jahren Versuchstiere eingesetzt", meint Hamilton, "aber dieses Verfahren bringt uns einen Schritt näher, Alternativen zu finden".

Es gibt allerdings noch Skeptiker. Organ-Chips fehlen beispielsweise die Umweltbedingungen, die im Körper vorherrschen – etwa beim Hormonhaushalt und anderen molekularen Signalen, die ständig im Organismus zirkulieren, sagt Michael Hayward von der Biotechnikfirma Taconic. Der Forscher, der selbst an neuen Tiermodellen für menschliche Krankheiten arbeitet, meint, dass die meisten Krankheiten viele Organe betreffen. Entsprechend wichtig sei es, zu verstehen, wie diese miteinander interagieren. Einzelne Organ-Chips reichten da nicht.

Forscherin Hamilton räumt ein, dass sowohl die Industrie als auch die zuständigen Gesundheitsbehörden zunächst eine genaue Validierung der Technik benötigen. Es gebe aber zahlreiche Vorteile. "Nicht nur konnten wir klinische Reaktionen des Körpers nachbilden, wir fanden sogar etwas Neues heraus. Das zeigt, welche Auswirkungen solche Chips für die Medikamentenentwicklung in Zukunft haben könnten."

Die Bedenken, die Hayward und andere Kritiker haben, könnten eines Tages durch einen neuen Ansatz ausgeräumt werden: wenn es gelingt, den ganzen Körper zu simulieren – oder zumindest wichtige Teile davon. "Das ist unser ultimatives Ziel, auch wenn es ein hohes Risiko darstellt. Dann könnte man Organe miteinander kombinieren und so der kompletten menschlichen Körperreaktion einen Schritt näher kommen", sagt Hamilton. (bsc)