Wie baut man ein Gehirn, Herr Kurzweil?

Der Futurist Ray Kurzweil über sein neuestes Buch, die Geschwindigkeit des Fortschritts und die Hoffnung auf ewiges Leben.

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Der Futurist Ray Kurzweil über sein neuestes Buch, die Geschwindigkeit des Fortschritts und die Hoffnung auf ewiges Leben.

TR: Herr Kurzweil, eine Ihrer Kernthesen ist, dass sich der technische Fortschritt immer weiter beschleunigt. Wenn wir uns nun aber beispielsweise Smartphones ansehen, dann beruht das Betriebssystem dieser Geräte auf Unix, einer Technologie aus den 60er-Jahren. Wo ist da der Fortschritt?

Ray Kurzweil: Es macht keinen Sinn, eine Technologie neu zu erfinden, die gut funktioniert. Außerdem haben wir als User mit dem Unix direkt doch gar nichts zu tun. Es gibt aber eine Menge zusätzlicher Schichten, die zwischen uns und Unix liegen. Die ermöglichen uns, mit dem Smartphone zu sprechen, Fragen zu stellen, auf das Wissen der Welt zuzugreifen und so weiter. Nichts davon konnte man mit dem alten Unix in den 1960er- Jahren machen.

Wir ergänzen mehr und mehr dieser neuen Fähigkeiten. Das ist wie beim menschlichen Gehirn. Im Wesentlichen haben wir immer noch das Gehirn, das wir von unseren Reptilien-Verwandten übernommen haben. Aber wir haben den Neokortex dazubekommen. Das eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten.

Das heißt, Sie begreifen den technischen Fortschritt als Evolution?

Nun, die technische Revolution ist eine Fortsetzung der biologischen Evolution. Die Biologie hat eine Spezies hervorgebracht, die Technologie erschaffen kann. Eine Spezies, die nun in der Lage ist, das Geheimnis der biologischen Intelligenz zu lüften und dieses Wissen zu nutzen, um ihre eigenen Fähigkeiten zu erweitern.

Sie sagen, der Fortschritt wird immer schneller, weil die uns zur Verfügung stehende Menge an Informationen ständig zunimmt. Es gibt aber Wissenschaftler, die genau das für ein Problem halten.

Wir müssen Technologie verwenden, um diese Informations-Explosion zu bändigen. Wenn wir nicht in der Lage wären, alle diese Informationen zu speichern und auf eine intelligente Art und Weise zu durchsuchen, könnten wir sie nicht nutzen.

In Ihrem neuen Buch geht es darum, vom Gehirn zu lernen, um bessere Computer zu bauen. In Lausanne will Henry Markram im Blue Brain Project das menschliche Gehirn mit einem konventionellen Computer simulieren. Halten Sie das für möglich?

Ich habe mit Henry Markram diskutiert, und ich denke, dass sein System ein ganz wesentliches Problem hat: Mit ihm lässt sich die Fähigkeit zu lernen nicht simulieren.

Eines der wesentlichen Elemente menschlicher Intelligenz ist die Fähigkeit des Neokortex, also des entwicklungsgeschichtlich jüngsten Teils der Großhirnrinde, Informationen hierarchisch zu organisieren. Der Neokortex kann Fakten abstrahieren, dann die abstrahierten Fakten noch einmal abstrahieren und so weiter. Diesen Prozess muss das Gehirn durchmachen, um Intelligenz auszubilden. Ein Neugeborenes kann ja auch nicht sofort eine intelligente Unterhaltung mit Ihnen führen, obwohl die Basis, das Gehirn, schon vorhanden ist. (wst)