IT-Mittelstand: Money makes the world go round

Den Nationalen IT-Gipfel vergangene Woche in Essen nutzten wieder zahlreiche Verbände, Organisationen und Interessensgruppen, um Ihre Themen in den Vordergrund zu rücken. Ein Dauerbrenner: Das Thema Finanzierung und Kapital, diesmal vor allem für Gründer und KMUs. Ohne Moos nix los. Aber ist Geldbeschaffung wirklich das Problem?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lieber Dr. Oliver Grün, Softwareunternehmer aus Aachen und Vorstandsvorsitzender des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMI),

Softwareunternehmer und Verbandschef Oliver Grün

(Bild: Grün Software)

in der vergangenen Woche fand wieder der Nationale IT-Gipfel statt und nach Angaben des Branchenverbands Bitkom war er ein "großer Erfolg". Warum, ist mir zwar nicht ganz klar, aber wenn der Bitkom das so sagt, wird es schon stimmen. Wie bei solchen Veranstaltungen mit großer Medienpräsenz üblich, nutzten zahlreiche Verbände, Organisationen und Interessengruppen diesen Anlass, um sich zu Wort zu melden. Meistens mit irgendwelchen Forderungen an die Politik, was dringend zu tun sei. Oder um einfach ein bisschen Reklame für sich zu machen.

Wie zum Beispiel die mir bis dato unbekannte Firma m.o.v.e. hr GmbH, die sich als Personalberater und Headhunter aus Hamburg zu erkennen gab. Unter Bezugnahme auf den IT-Gipfel verschickten die Hanseaten eine Pressemitteilung, in der sie für ihren "ganzheitlichen Persönlichkeitstest“ warben, der angeblich ein "erfolgreiches Instrument gegen den Fachkräftemangel“ sei. Netter Versuch, kann man sagen.

Unterhaltsam fand ich auch die Einlassung des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie). In seiner Meldung zum IT-Gipfel ging es – Überraschung! – um Cloud Computing. Wie sich das für einen der größten Industrieverbände gehört, operiert der BDI mit großen Zahlen. Bis zum Jahr 2020, erklärte BDI-Geschäftsführer Dieter Schweer, werde Cloud Computing "europaweit 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze und 250 Milliarden Euro zusätzliche Wertschöpfung“ ermöglichen. Da staunt man ja doch und fragt sich, woher der BDI das so genau weiß. Das verrät er uns nämlich nicht. Aber gut, das sind Details, die einen großen Geist nicht weiter irritieren sollten. Jedenfalls ist Schweer wie besoffen von Cloud Computing und schwärmt davon, dass "Cloud Computing zur Grundlage für Wachstum und Wohlstand in Europa werden“ kann. Hoffentlich vor allem erst mal für Südeuropa, nicht wahr? Denn dort kann man ein bisschen "Wachstum und Wohlstand" gerade gut gebrauchen. Der BDI wäre natürlich nicht der BDI, wenn er diese euphorischen Aussichten nicht auch mit ein paar Forderungen an die Politik verbinden würde. In diesem Fall vor allem der "flächendeckende Ausbau des schnellen Internets“ (Breitbandnetz auch für strukturschwache Regionen) sowie die Etablierung einer europäischen Datenschutzverordnung.

Natürlich meldete sich, wie gesagt, auch der Bitkom zu Wort. Verbandspräsident Prof. Dieter Kempf forderte einmal mehr Informatikunterrricht als Pflichtfach an den Schulen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Außerdem lehnte Kempf die Frauenquote als untaugliches Instrument ab.

Aufgefallen ist mir auch die Stellungnahme eines anderen Verbandes, nämlich des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMI), dessen Präsident Sie sind, lieber Herr Dr. Grün. Der BITMI ist ja so etwas wie der Bitkom, nur eben für kleinere und mittelständische Unternehmen. Auch Sie legten im Rahmen des IT-Gipfels eine Forderung auf den Tisch, nämlich die – nochmals Überraschung! – nach einer "gezielten Förderung des IT-Mittelstand". Warum? Weil ohne dies die auch aus volkswirtschaftlichen Gründen wichtige Internationalisierung der mittelständischen Unternehmen nicht oder nur schwer möglich ist. "Der IT-Mittelstand ist mit knapp der Hälfte des in Deutschland erwirtschafteten IT-Umsatzes ein bedeutsamer und produktiver Wirtschaftsfaktor, der für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand am IT-Standort Deutschland sorgt“, erklärten Sie zur Untermauerung Ihrer Position. Allerdings vermissen Sie, dass diese Bedeutung des IT-Mittelstandes gerade von der Politik und auch der Großindustrie entsprechend gewürdigt werde. Völliges Unverständnis zeigten Sie auch für René Obermann, den Telekom-Chef, der coram publico auf dem IT-Gipfel behauptete, es fehle in Deutschland an Unternehmern. Hat Obermann das wirklich gesagt, lieber Herr Dr. Grün? Das ist natürlich völliger Unsinn, der auch nicht dadurch richtiger wird, dass er von einem Konzernmanager verbreitet wird. "Nicht nur die Mehrzahl der Arbeitsplätze, sondern auch etwa 85 Prozent aller IT-Ausbildungsplätze werden durch mittelständische IT-Unternehmen gestellt“, rufen Sie in Erinnerung.

Allerdings muss man eines sagen: Den Unternehmern und vor allem auch den Unternehmensgründern wird es in Deutschland nicht leicht gemacht. Vor allem der hohe bürokratische Aufwand, der von den Firmen zu betreiben ist, um allen rechtlichen Formalitäten zu genügen, ist enorm. Daher fordert der BITMI von der Politik weiterhin Maßnahmen zum Bürokratieabbau.

Auch das Thema Finanzierung ist wichtig, nicht nur bei Unternehmensgründungen, aber vor allem auch da. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem Gründer und langjährigen Vorstandsvorsitzenden der Firma PC-Ware (vor vier Jahren von der Raiffeisen Informatik übernommen und heute unter dem Namen Comparex firmierend), Prof. Knut Löschke. Der hat einen Lehrauftrag an der HTWK Leipzig und trichtert seinen Studenten immer ein, die drei wichtigsten Dinge bei der Gründung und Entwicklung eines Unternehmens seien 1. Geld, 2. Geld und 3. Geld. Auch Bitkom-Chef Kempf schlägt in diese Kerbe. Der Bitkom hatte zum IT-Gipfel eine umfassende Studie zur Gründungstätigkeit im IT- und Internet-Sektor vorgestellt. Eines der Ergebnisse: Bankkredite, Beteiligungskapital und öffentliche Zuschüsse spielen derzeit bei der Finanzierung von Startups kaum eine Rolle. Schon im Gründungsjahr muss fast die Hälfte des Finanzbedarfs durch Umsatzerlöse aus der eigenen Geschäftstätigkeit gedeckt werden, ein Drittel kommt direkt von den Gründern selbst. Aber: "Mit dem Sparbuch der Gründer kann man kein Google und kein Facebook aufbauen“, sagte Kempf. Es gehe nicht um große staatliche Förderprogramme, aber Investitionen privater Geldgeber in junge IT-Unternehmen dürften nicht unnötig steuerlich belastet werden, meinte Kempf.

Ein bisschen irritiert hat mich in diesem Zusammenhang allerdings das Ergebnis einer Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young. Die hat nämlich herausgefunden, dass 83 Prozent (!) der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland Fördermittel nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie die Voraussetzungen dafür erfüllen würden. Der hohe zeitliche und bürokratische Aufwand spielt als Begründung zwar auch eine Rolle, aber immerhin zwei Drittel der Firmen gab an, diese Mittel nicht (mehr) zu benötigen. Die Mehrheit der Unternehmen hält es daher auch nicht für erforderlich, die Förderpolitik neu auszurichten.

Insofern bin ich wirklich ein bisschen verwirrt, lieber Herr Dr. Grün. Ist Geldbeschaffung wirklich das Problem des IT-Mittelstands?

Beste Grüße!

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale ()