Im Einklang mit der Natur

Japan ist ein Hightechland. Nur merkt man in der Wohnwirklichkeit davon im Winter wenig, weil die Isolierung erst seit wenigen Jahren Einzug in die Häuser gehalten hat.

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Von
  • Martin Kölling

Japan ist ein Hightechland. Nur merkt man in der Wohnwirklichkeit davon im Winter wenig, weil die Isolierung erst seit wenigen Jahren Einzug in die Häuser gehalten hat.

Für mich hat das berühmte Schlagwort vom "Leben im Einklang mit der Natur" einen faden Beigeschmack. Denn meine Wohnwirklichkeit in Japan erinnert mich immer wieder daran, dass dies keine Freude ist. Im langen Sommer verwandelt sich die Wohnung in einen Dauerbackofen, weil wir für mehr als 90 Tagen über dreißig Grad im Schatten haben. Und im Winter bedeutet das Fehlen einer Zentralheizung, dass wir mehrere Monate lang frieren. Natürlich könnte ich mit meiner Klimaanlage die Wohnung im Sommer permanent auf angenehme Werte herunterkühlen und im Winter auf wenigstens 18 Grad aufheizen. Doch regt sich da erstens mein ökologisches Gewissen, das zweitens die Regierung seit der Atomkatastrophe von Fukushima mit ihren Stromspar-Appellen noch verstärkt.

Der Grund ist einfach: Ich wohne zwar seit diesem Mai schon in einem relativ neuen Apartment-Block, gebaut 1994. Aber selbst bei mir ist die 20 Zentimeter dicke Betonwand wohl erdbebensicher, aber nicht isoliert. Ökologisch ein noch größerer Alptraum sind die Fenster: Erstens sind sie einfach verglast. Zweitens haben sie Alu-Rahmen (extrem guter Wärmeleiter). Drittens sind sie undicht. Bei der Balkontür in der Küche habe ich gerade festgestellt, dass ich durch die vermeintliche Gummiabdichtung nach draußen schauen kann.

Für mich bedeutet dies ein Dilemma: Ich will nicht im Einklang mit der Natur schwitzen oder frieren, aber dennoch ressourcenschonend leben. Doch scheue ich mich, die Klimaanlage anzuwerfen, weil ich je nach Jahreszeit erderwärmungsfreundlich die Außenwelt mitkühle oder -heize. Die Lösung sind für die Bewohner der ostasiatischen Eilande in der Regel Kompromisse, die auch für Deutschland einige Lernanreize bereit halten.

Der Sommer-Kompromiss: Diesen Sommer habe ich nur einen Raum gekühlt, und das meist auch nur nachts, damit ich erholsam schlafen konnte. Tagsüber folgte ich der "Super Cool Biz"-Kampagne der Regierung, die für Privathaushalte die "Cool Share"-Unterkampagne beinhaltete. Unter dem Motto "Cool Share" hat uns die Regierung aufgerufen, besonders während der Mittagszeit die Klimaanlagen daheim auszuschalten und ohnehin gekühlte Räume aufzusuchen, zum Beispiel Cafés, Büchereien, Kulturzentren. Damit sollte die Spitzenlast gesenkt werden, um auch ohne Atomstrom ohne Stromausfälle übersommern zu können. Es hat geklappt.

Der Winter-Kompromiss: Vorweg, die Methode Wal, also einige Extra-Zentimeter Fett, hat sich nicht bewährt. Ansonsten wird nicht die ganze Wohnung, sondern wenn es hochkommt, nur ein Raum zur Zeit geheizt. Heutzutage beliebt sind Klimaanlagen, aber auch Öl- oder Gasbrenner, die Wärme und Abgase in den Raum abgeben. "Ohne Luftaustausch besteht Todesgefahr", las ich eben im Kaufhaus auf einem Gasofen. Ich bevorzuge daher Wärmeinseln: den Raum unter dem kniehohen Kotatsu-Tisch zum Beispiel, der mit einer Decke unter der Tischplatte die Wärme unter dem Tisch fest- und damit die Beine warmhält. Oder die elektrische Heizdecke, die ich mir beim Arbeiten um die Beine wickele. Oben rum hilft das Zwiebelprinzip mit mehreren Lagen Fleece, Baumwolle oder einer wattierten Jacke. Merke: Eine gut beheizte Wohnung ist kein Menschenrecht. Man kann auch gut gekühlt überleben. Und für Journalisten hat dieser Lebensstil zudem den Vorteil, dass auch in der Hitze des Deadline-Drucks der Kopf immer schön kühl bleibt.

Allerdings lernen auch die Japaner, dass es anders geht. Dass man Häuser isolieren und damit nicht nur Kühl- und Heizkosten sparen kann, sondern auch das Schwitzen oder Frieren. Viele gehobene Einfamilienhäuser werben mit Doppelverglasung und Glaswolle in den Holzwänden. Ich würde mir allerdings bisher kein solch neumodisches Haus kaufen, denn die meisten Baufirmen beherrschen die Bauphysik noch nicht. Die Häuser sind nicht winddicht, Wärmebrücken und damit Kondensation in den Holzwänden an der Tagesordnung – mit unangenehmen Folgen: Schimmel ist selbst in vielen neugebauten Eigenheimen ein Mitbewohner.

Als ich ein Neubaugebiet in Osaka besuchte, auf dem Panasonic eine Ökohaus-Mustersiedlung errichtet, petzten mir die Manager von Panasonics Fertighausfirma PanaHome, dass bei den Neubauten einer renommierten Fertighausfirma auf dem Gelände teilweise schon die Isolierung in der Wand nach unten gerutscht sei. Probleme dieser Art scheinen kein Einzelfall zu sein: Ein deutscher Bauberater erzählte, dass er zu einer Notfallberatung gerufen wurden, weil bei neu gebauten Einfamilienhäusern schon vor dem Einzug der neuen Besitzer die Wände feucht waren..

Überhaupt öko: In Japan werden "Zero-Emission-Häuser" angepriesen. Dies bedeutet nicht etwa, dass sie keine Energie verbrauchen, sondern ihren Energiebedarf möglichst selber produzieren. Als ich den Baufachleuten vom Konzept des deutschen Passivhauses erzählte, schrieben sie auf einmal ganz interessiert mit. Dass man Häuser so bauen kann, dass sie zu einem großen Teil von Sonne und der Körperwärme der Bewohner geheizt werden, war ihnen offenbar neu. Kein Wunder. Das erste Passiv-Haus nach annähernd deutscher Norm (das allerdings nicht ganz unumstritten ist) wurde erst vor ein paar Jahren von der Architektin Miwa Mori gebaut (Video).

So richtig verbreitet hat sich die Nachricht bis heute noch nicht. Aber das könnte sich nach der Atomkatastrophe ändern. Auch die Experten in den Ministerien haben inzwischen erkannt, dass sie die Atomenergie nicht allein durch erneuerbare Energieträger ersetzen können, sondern zusätzlich eine der wichtigsten "Energiequellen" genutzt werden muss: das Energie einsparen. (bsc)