Das Attest-Urteil und die Folgen

Das Attest-Urteil des Bundesarbeitsgerichts sorgte tagelang für Schlagzeilen. Dabei haben die Richter doch nur bereits bestehende Vorgaben bestätigt.

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Von
  • Marzena Sicking

Das Bundesarbeitsgericht hat bestätigt, dass Arbeitgeber bereits am ersten Krankheitstag ein ärztliches Attest von ihren Mitarbeitern verlangen dürfen. Überraschend war daran aber eigentlich nur das große Medienecho. Ob und welche arbeitsrechtlichen Folgen tatsächlich zu erwarten sind, erklärt Rechtsanwalt Alexander Bredereck.

Der Arbeitgeber darf schon am ersten Tag der Krankmeldung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen. Das hat vor kurzem das Bundesarbeitsgericht (Aktenzeichen: 5 AZR 886/11) entschieden. Das Urteil wurde in der Presse vielfach kommentiert. Ist es wirklich so richtungsweisend?

Alexander Bredereck, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

(Bild: Alexander Bredereck)

Alexander Bredereck arbeitet seit 1999 als Rechtsanwalt und seit 2005 als Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Bredereck Willkomm Rechtsanwälte in Berlin. Er ist Vorstand der Verbraucherzentrale Brandenburg e.V. sowie Mitglied im Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte e.V. und Mitglied im Arbeitskreis Arbeitsrecht im Berliner Anwaltsverein e.V. Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Fachanwalt für Arbeitsrecht ist die Vertretung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Kündigungsschutzprozessen.

Bredereck: Eher nicht. Das Bundesarbeitsgericht hat (ebenso wie schon die Vorinstanzen) § 5 Abs. 1 S. 3 Entgeltfortzahlungsgesetz zitiert. Dort heißt es ausdrücklich, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung auch schon vor Ablauf von drei Kalendertagen zu verlangen. Was soll das anderes heißen, als dass er sie bereits am ersten Tag verlangen kann?

Warum dann die ganze Aufregung?

Bredereck: Sicherlich hängt die besondere Aufmerksamkeit der Medien auch mit der Aktualität des Themas während der Erkältungssaison zusammen. Viele Arbeitnehmer sitzen zuhause und überlegen, ob sie sich mit dem Schnupfen noch in die Firma schleppen oder lieber über dem Dampfbad zuhause schnell kurieren. Man will da nichts falsch machen. Außerdem hat das Urteil schon klargestellt, dass der Arbeitgeber in seiner Entscheidung völlig frei ist. Das heißt er muss nicht extra begründen, wenn er bei einem bestimmten Mitarbeiter ausnahmsweise das Attest schon früher haben will, während er sich bei anderen Mitarbeitern mit einer Vorlage am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit begnügt.

Wie verhält man sich denn nun im Falle einer Erkrankung richtig?

Bredereck: Unabhängig von der Frage der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, den Arbeitgeber im Falle einer Erkrankung unverzüglich die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen.

Was heißt das konkret?

Bredereck: Wer morgens merkt, dass es ihm nicht gut geht, sollte noch vor Arbeitsbeginn in der Firma angerufen, bzw. eine Mail senden und mitteilen, dass er arbeitsunfähig ist. Soweit möglich sollten auch Angaben zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit gemacht werden. Aus meiner Sicht versteht sich das schon aus dem normalen betrieblichen Miteinander. Schließlich müssen meistens Arbeitskollegen einspringen und da ist es doch schon im Sinne der Kollegialität wichtig, diesen so schnell wie möglich Bescheid zu geben.

Das reicht?

Bredereck: Man sollte sich hier an die betrieblichen Gepflogenheiten halten. Wenn das Arbeitsverhältnis bereits angespannt ist, wenn man z.B. damit rechnet, dass der Chef eine Verfehlung als Anlass für eine Kündigung nehmen könnte, ist besondere Vorsicht geboten. In diesem Fall sollte man die unverzügliche Meldung der Arbeitsunfähigkeit im Streitfall auch beweisen können. Da kann es hilfreich sein, die Ehefrau oder einen anderen Zeugen anrufen zu lassen.

Und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss nun generell am ersten Tag vorgelegt werden?

Bredereck: Nein. Wann die Vorlage erfolgen muss, richtet sich zunächst nach dem Arbeitsvertrag. Findet sich dort keine Regelung, ist der Arbeitnehmer gesetzlich verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Hat der Arbeitgeber eine frühere Vorlage verlangt, sollte man diesem Verlangen aber unbedingt nachkommen.

Welche Folgen müssen Arbeitnehmer befürchten, die gegen ihre Verpflichtung zur unverzüglichen Krankmeldung, bzw. zu Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verstoßen?

Bredereck: Der Arbeitgeber kann die Erfüllung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung verweigern, solange der Arbeitnehmer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Außerdem ist auch eine Abmahnung denkbar, im Falle der Wiederholung sogar eine (fristlose) Kündigung.

Wird das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in der Praxis große Veränderungen bewirken?

Bredereck: Damit rechne ich nicht. Viele Arbeitgeber wollen ihre Arbeitnehmer ja gar nicht bereits am ersten Krankheitstag zum Arzt schicken. Ärzte schreiben meistens gleich für mehrere Tage arbeitsunfähig. Typische Erkältungskrankheiten sind aber oft nicht so schwer, dass man nicht schon nach ein oder zwei Tagen wieder arbeiten könnte. Viele Arbeitnehmer gehen dann statt zum Arzt, doch lieber wieder zur Arbeit. Möglicherweise werden die Arbeitgeber bei den typischen Montags, bzw. Freitags-Krankheiten, ebenso wie bei den Brückentags-Krankheiten genauer hinsehen und bereits am ersten Tag der Erkrankung von den Betroffenen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen. Dass sie das dürfen, hat das Bundesarbeitsgericht nun eindeutig klargestellt. (masi)