Hurra, wir gründen einen Staat!

Die Nation als Start-up: Das Seasteading Institute will neue Staaten auf hoher See gründen, weil jene an Land angeblich nicht mehr funktionieren. Soll es. Wer Gesellschaften führen will wie Unternehmen, wird eine gigantische Pleite erleben.

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Von
  • Robert Thielicke

Das Seasteading Institute will neue Staaten auf hoher See gründen, weil jene an Land angeblich nicht mehr funktionieren. Sollen sie. Menschen, die in Nationen nichts weiter als schlecht geführte Unternehmen sehen, kann man getrost ziehen lassen.

Es ist eine dieser großen Utopien aus den 60er und 70er Jahren: Gigantische schwimmende Städte auf dem Meer sollen den Menschen neuen Lebensraum bieten, wenn der Platz an Land nicht mehr ausreicht. Das schönste an diesen Utopien war, dass sie immer genau das blieben: Utopien. Mittlerweile allerdings hofft man bisweilen, sie mögen in Erfüllung gehen. Das Seasteading Institute hat sich ihre Verwirklichung auf die Fahnen geschrieben, und weil es gerade zu einer entsprechenden Konferenz geladen hatte, geistert die Idee wieder durch die Medien.

Ganz den Zeichen der Zeit gehorchend, ist aus der ehemals technischen Vision eine gesellschaftliche geworden. In der Zusammenfassung lautet sie: Macht euren Mist doch alleine. Eine Sehnsucht spricht daraus, den Staat inmitten gigantischer Schuldenkrisen, Rezessionen und gesellschaftlicher Zerreißproben einfach hinter sich zu lassen und noch einmal neu anzufangen. Staaten, so die Analyse, seien den Herausforderungen des schnelllebigen digitalen Zeitalters nicht mehr gewachsen, also müssen neue her. Der Treck nach Westen, er wird zum Treck aufs Meer.

Will jemand folgen? Wer die Bewegung anführt, ist immerhin klar: Zum einen ist da Patri Friedman, Enkel des Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman. Der traute dem Markt fast alles, dem Staat praktisch nichts zu. Nun will sein Nachkomme eine Gesellschaft schaffen, die zu den Theorien des Großvaters passt. Unterstützung hat er unter anderem gefunden in Peter Thiel, dem deutschstämmigen Großinvestor des Silicon Valley, reich geworden beispielsweise durch sein frühes Engagement bei Facebook. Thiel und Friedman sehen im Staat nichts weiter als ein Unternehmen und im Bürger demzufolge einen Kunden. Dieser sei grundlegend unzufrieden, und den Grund dafür haben die beiden auch schon ausgemacht: zu wenig Konkurrenz auf dem Markt der Nationen. Kaum jemand kann sich frei entscheiden, welchen Anbieter er wählt. Deshalb sollen künstliche Inseln wie Start-up-Nationen die Verhältnisse aufmischen. Wem sein Land nicht passt, nimmt sein Boot und dockt woanders an. Ein Kreuzfahrtschiff jedenfalls hat das Seasteading Institute bereits im Sommer gekauft, um es entsprechend umzubauen.

Es wird ein nettes Experiment. Eine Überraschung wird es nicht: Die neuen Staaten werden sein wie die alten. Es wird Diktaturen, Demokratien und Dynastien geben. Es wird Korruption geben, Bürokratie und Geldverschwendung. Warum auch sollte der Mensch auf hoher See ein Anderer sein als an Land. Er will Freiheit, manchmal auf Kosten der anderen. Er will Gerechtigkeit, zumindest für sich. Er will Arbeitsrechte und Sozialleistungen. Er will Kultur, die sich nicht rechnet. Er will sich sicher fühlen, auch wenn die Kosten dafür höher liegen als der wirtschaftliche Nutzen. Er will Heimat statt Nationenhopping. Kurz: Er will nicht nur Markt, sondern auch Staat. Was er nicht will: die Kündigung, wenn er zum Kostenfaktor geworden ist. (rot)