Schäuble: Deutschland gehört "zu den sichersten Ländern der Welt"

Der Bundesinnenminister freut sich bei der Vorlage der Polizeilichen Kriminalstatistik über "stetig steigende Aufklärungsquote bei konstanter bis tendenziell rückläufiger Straftatenzahl". Nicht alle Fachleute sind sich aber in der Beurteilung einig.

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Von
  • Richard Sietmann
  • Detlef Borchers

Die polizeilich registrierte Kriminalität in der Bundesrepublik ist mit insgesamt 6.304.223 erfassten Straftaten im vergangenen Jahr um 1,4 Prozent im Vergleich zu 2005 erneut zurückgegangen, und gleichzeitig die Aufklärungsquote von 55,0 auf 55,4 Prozent nochmals leicht angestiegen. Für Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sind diese Zahlen ein Beweis dafür, "dass Deutschland zu den sichersten Ländern der Welt gehört", wie er heute bei der gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Konferenz der Länderinnenminister, Berlins Innensenator Erhart Körting, vorgelegten neuen Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2006 erklärte. Fragen, warum er dennoch neue Befugnisse wie beispielsweise zur heimlichen Online-Durchsuchung privater PCs anstrebe, wiegelte Schäuble jedoch ab – so viele neue Befugnisse wolle er doch gar nicht, allerdings müsse man auch der technischen Entwicklung Rechnung tragen. Polizeiverbände wie der Bund deutscher Kriminalbeamter oder die Gewerkschaft der Polizei meldeten zudem Zweifel an der Aussagefähigkeit der Statistik an.

Die Zahl der deutschen Tatverdächtigen sei um 0,8 Prozent, die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen um 3,2 Prozent gesunken. Rückläufig haben sich auch die Zahl der Diebstahlsdelikte (-4,6 Prozent) und besonders der KFZ-Diebstahl (-16,0 Prozent) entwickelt. Dagegen sind wie bereits im Vorjahr (+11,5 Prozent) die Zahl der Online-Betrügereien mit 8,8 Prozent weiter angestiegen. Ausweislich der Kriminalstatistik ist die registrierte Computerkriminalität 2006 insgesamt aber um 4,9 Prozent auf 59.149 Fälle ebenfalls gesunken. Dies ist nach den Erkenntnissen der Statistiker des Bundeskriminalamtes vor allem auf den Rückgang des Scheckkartenbetrugs um 15 Prozent auf 27.347 gemeldete Fälle zurückzuführen. Beim Computerbetrug im engeren Sinne, also der unter Paragraph 263a des Strafgesetzbuches fallenden Manipulation von Rechnern, Programmen und Daten in betrügerischer Absicht, war indes ein Anstieg um 2,1 Prozent auf 16.211 Fälle zu verzeichnen. Bei der privaten Software-Piraterie registrierten die Polizeien einen Rückgang um 28 Prozent von 2.667 auf 1.920 Fälle, bei der gewerbsmäßigen Software-Piraterie hingegen einen Anstieg um 14,1 Prozent von 637 auf 727 erfasste Fälle.

Bei den mehr als 160.000 registrierten Straftaten, die 2006 mit dem "Tatmittel Internet" begangen wurden, handelte es sich zu 82,6 Prozent weit überwiegend um Betrugsdelikte, Urheberrechtsdelikte machten 6,8 Prozent und die Verbreitung pornografischer Inhalte einen Anteil von 3,6 Prozent aus. Rund 86.000 Internet-Straftaten fielen in die Kategorie des Warenbetrugs, wie etwa des Verkaufs minderwertiger Waren als Qualitätsprodukte, dem nicht erfolgten Versand der angebotenen Artikel nach geleisteter Vorauszahlung oder dem Ausbleiben der Zahlung nach erfolgter Lieferung.

Als bedenkliche Entwicklung kommentierten Körting wie Schäuble die Zunahme der Gewaltdelikte und insbesondere den Anstieg der einfachen Körperverletzungsdelikte bei Jugendlichen (+2,7 Prozent) und Heranwachsenden (+4,6 Prozent). Um herauszufinden, ob die Gewalt unter Jugendlichen weiter ansteigen wird und wo die Gründe für die Jugendgewalt liegen, hat das Bundesinnenministerium eine Dunkelfelderhebung zur Jugendkriminalität unter dem Titel "Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter" in Auftrag gegeben. Befragt wurden 50.000 Jugendliche, die Auswertung erfolgt am Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. unter Leitung des Kriminologen Christian Pfeiffer, der Computerspiele als Motor jugendlicher Gewaltanwendung ausmacht.

Berlins Innensenator Körting nutzte die Gelegenheit, in diesem Zusammenhang auf die Kampagne "Online kaufen – mit Verstand" hinzuweisen, mit dem die Polizeiliche Kriminalprävention des Bundes und der Länder in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft Internet-Nutzer über Grundregeln zum sicheren Online-Handel informiert. Er könne sich vorstellen, "mit besserer Prävention in Zukunft zu besseren Zahlen zu kommen", erklärte Körting, gestand aber gleichzeitig, dass er mit naiven Shoppern, die mit Vorauszahlungen Schnäppchen erwerben wollten, nur "begrenztes Mitleid" habe. Angaben zur Höhe der gesamten Schadenssumme konnten Schäuble und Körting bei der Vorlage der Kriminalitätsstatistik nicht machen.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eher eine Arbeitsbilanz der Polizei und lässt nur bedingt Aussagen über die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung zu, weil sie naturgemäß das Dunkelfeld nicht erfasst und die registrierten Fallzahlen von der Anzeigebereitschaft in den einzelnen Deliktbereichen abhängt. Selbst als Arbeitsbilanz bezieht sie sich auch ausschließlich auf strafrechtlich relevante Tatbestände und enthält keine Angaben zur präventiven Tätigkeit wie beispielsweise zur Zahl oder Effizienz verdachts- und anlassunabhängiger Kontrollen durch die Polizeibehörden.

Nicht alle Fachleute sind sich denn auch in der Beurteilung der Kriminalitätsstatistik einig. Kritisch äußerte sich der Bundesverband deutscher Kriminalbeamter. Der Verbandsvorsitzende Kurt Jansen bemängelte die Aussagekraft der vorgelegten Zahlen. So fehlten bei den Angaben der deutschen Tatverdächtigen Hinweise zum Migrationshintergrund der Täter, der wichtig sei. Der Rückgang der Drogenkriminalität sei lediglich Ausdruck dafür, dass die Drogenfahndung rückläufig sei, und die tatsächliche Dimension der Internetkriminalität werde verharmlost. Jansen forderte eine erhebliche Verstärkung der Polizei im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, um Internet-Bedrohungen wirklich bekämpfen zu können.

Auch Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei forderte unter Berufung auf die neue Kriminalstatistik eine Verstärkung der Polizeiarbeit im Internet, besonders bei der Aufdeckung der Kinderpornographie: "Diese Ermittlungsarbeit stellt hohe Anforderungen an das technische Verständnis und verlangt eine gefestigte Persönlichkeit. Der wachsende Berg von zu durchsuchenden Festplatten hat schon zu harscher Kritik überlasteter Beamter geführt", erklärte Freiberg. Zuletzt gab es Kritik am Einsatz privater Dienstleister bei der Aufarbeitung von Festplatten. Insgesamt kritisierte Freiberg, dass sich die Politik im Glanz polizeilicher Leistungsbereitschaft sonne, während gleichzeitig weiter Personalabbau betrieben werde. (Richard Sietmann / Detlef Borchers) / (jk)