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Was war. Was wird.

Die Winterkomödie. Ach, wäre es doch nur zum Lachen. Aber schon dem ollen Heine blieb das Lachen im Halse stecken, merkt Hal Faber an, der vor sich hin bibbert und auf die Hitze anlässlich der nächsten CeBIT wartet.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In der Schule in Mathematik war Trigonometrie ein tolles Fach zur Bestimmung der Höhe von Scheinriesen und Scheinengeln. Mit urtümlichen Geräten und Stangen ging es hinaus, die Höhe eines Kirchturms zu messen. Wobei es einfacher war, den Küster anzurufen und zu fragen, während man auf die Sesamstraße im Morgenfernsehen wartete. Ähnlich praktisch ist das heute mit dem Internet und der Treegonometrie für den perfekten Baumschmuck: Es gibt immer einen Weg, sich von der Technik noch abhängiger zu machen, auch zum bimmelnden Glühwein-Nachtfest. Was der olle Heine in Berlin notierte, gilt auch für die Hauptstadt von heute: "Wie in allen protestantischen Städten spielt hier Weihnachten die Hauptrolle in der großen Winterkomödie. Schon eine Woche vorher ist alles beschäftigt mit Einkauf von Weihnachtsgeschenken. Alle Modemagazine und Bijouterie- und Quincailleriehandlungen haben ihre schönsten Artikel – wie unsere Stutzer ihre gelehrten Kenntnisse – leuchtend ausgestellt; auf dem Schloßplatze stehen eine Menge hölzerner Buden mit Putz-, Haushaltung- und Spielsachen; und die beweglichen Berlinerinnen flattern, wie Schmetterlinge, von Laden zu Laden und kaufen und schwatzen und äugeln und zeigen ihren Geschmack und zeigen sich selber den lauschenden Anbetern."

*** Anlässlich solcher Weihnachtsfeierlichkeiten freuenh wir uns doch schon auf die nächste CeBIT, anlässlich derer uns Hitzewellen beschert werden, versprochen. Zu den weiteren absurden Erscheinungen dieser Tage gehört ein Comic-Adventskalender der digitalen Gesellschaft über die "Liga der Internetschurken". Nach Aussage von Digigesguru Markus Beckedahl ist er gezeichnet worden, um netzpolitische Probleme und Diskussion auch für Außenstehende verständlich zu machen. Öffnet man die Türchen, so taucht eine Geschichte auf, die nerdiger kaum sein könnte und nur für Digital Natives verständlich ist. Eine auf dem Kopf stehende Pyramide, deren Auge sich als Yan, Yet another Nerd, aufmacht, die Zombiekalypse zu bei der Elbvielunharmonie anlässlich des 29C3 zu bekämpfen, das muss nicht nur fahrplanmäßig entschlüsselt werden, 40 Jahre nach Illuminatus und 23 Jahre nach dem Tod von Karl Koch. Wie erklärt man den Witz, wenn Init und Daemon miteinander ins Bett steigen, wenn Drohnen fliegen und andere Drohnen infizieren?

*** Doch das sind nur Mäkeleien am Rande der großen Bedrohung und der schlimmen Weihnachtsgeschenke, die die Schurken des Internet in diesen friedlichen Zeiten verteilen. Wir lesen vom panzerköpfigen Agent ACTA, von dem schimärenhaften Bundestrojaner Troy, vom nanobegabten Unglück namens Deep Packet Inspection, den echsenartigen Abmahnanwälten und der von der alles entscheidenden dunklen "Erscheinung ANTI-NEUTRONS, der die Ausgeburt eines komplett kontrollsüchtigen und unfreien Internets ist". Hackers Anliegen ist nicht Peterchens Mondfahrt, soviel wird aus der unfrohen Weihnachtsgeschichte im Adventskalender klar. Doch wo ist die Rettung im Angesicht der Gefahr, in Unfreiheit abzusinken? Immerhin stößt die kritiklose Anbetung des Cypherpunks, wie sie von Julian Assange vorweihnachtlich vorgelesen wurde, bei einigen Nerds auf spitze Kritik des eilitären Gehabes. Andere, die die Werbeeinblendungen des Buches für Cryptophones unter die Lupe nahmen, finden nicht unbedingt ein freundliches Universum vor, das mit den Gesetzen der Mathematik und Physik die Verschlüsselung schützt.

*** Alles liefert, alles lacht, zauberhafte Weihnacht. Wer hätte schon gedacht, dass nicht ein Cryptophone oder sonst ein stromfressendes Königsphone, sondern ein rattenschickes Brett wie das Nokia 2110 anno 2012 zu einem späten Weihnachtsknüller werden könnte, der vor dem bösen Eurograbber schützt. Ersteigert von eBay aus dem kleinen Luxemburg natürlich, wo die Steuern wie auch bei Amazon so wunderbar verklappt werden können, dass der Steueranteil schlank und rank bleibt. 25 Millionen kaufen ihre Geschenke im Web, auf dass die in zweiter Reihe parkenden Lieferwagen zum Kollaps in den Städten führen: "So können Verbraucher auf den Geräten beispielsweise digitale Einkaufszettel und Rabatt-Coupons mitführen. Die Navigationssoftware ermöglicht es, Läden zu finden oder sich sogar im Geschäft besser zu orientieren. Mit Barcode-Scannern können Produktinformationen abgerufen werden" und huschhusch geht es nach Haus zu den Preisvergleichern. Wie schön, dass dies mit einem alten 2110 alles nicht geht. Wir brauchen einfach mehr Rückschritt.

*** Apropos Rückschritt: Vor 40 Jahren fotografierte Harrison Schmitt, der letzte Mensch auf dem Mond, an Bord von Apollo 17 die Erde. Ausgerechnet das Bild, das am Ende einer ziemlich teuren Raumfahrtepoche entstand, wurde als Blue Marble zur Ikone der verletzlichen Erde. Im Jahre 1996 wurde das Museu de Arte Contemporânea de Niterói fertig, mit dem Oscar Niemeyer nach eigener spaßiger Interpretation eine "Fassung" für die Murmel konstruierte, in Form eines Raumschiffes, das jederzeit wieder abheben könnte. Nun ist der Betonwellenreiter gestorben, aber immer noch lebendiger als alle Kritik an seiner Architektur. Dazu passt der Unsquare Dance gegen den rechteckigen Terror, natürlich von Dave Brubeck. Oder muss es ein Bossa Nova sein?

Was wird.

Bekanntlich erhält Europa am Montag den Friedensnobelpreis. Drei Männer werden ihn in Empfang nehmen, auch das ist eine Aussage in einer Zeit, in der Nikolausgedichte Chancengleichheit anmahmen. Aber Europa und Frieden? Nicht nur für Amnesty International ist das ein schlechter Witz. Dieses Europa schiebt Menschen ab und blockiert seine Grenzen nach Afrika auf Kosten von vielen, vielen Menschenleben.

Aber vielleicht passt der Preis ja, in einem Jahr, in dem es einen chinesischen Nobelpreisträger Mo Yan gibt, der die Zensur in seiner Heimat ein notwendiges Übel nennt und mit den lästigen Sicherheitskontrollen auf Flughäfen vergleicht. Haha, da lachen wir alle gemeinsam über das Sicherheitstheater, ziehen die Schuhe wieder an und schnüren den Gürtel um die fetten Bäuche. Oder wer ist hier die Lachnummer? Abseits der norwegischen Zeremonien lohnt sich die Lektüre eines UN-Dokumentes über Terroristen, das die ach so harmlosen Flughafenkontrollen mit der Auswertung von Passagierlisten und mit Cookies verbindet, die bei der Nutzung von Facebook, Google, eBay und Paypal gespeichert werden. Wo war nochmal der schimärenhafte Troy? Hier taucht er auf, in der Empfehlung, bei mutmaßlichen Terroristen doch bitteschön deren Computer zu verwanzen.

*** Ja, diese Nachricht steht in der Rubrik "was wird": Der deutsche Verfassungsschutz ist von der Versammlung der Innenminister leider nicht abgeschafft worden. Er soll stattdessen neue tolle Dateien abspeichern und fortentwickeln, unter anderem ein Verzeichnis aller V-Leute. Eine absolut sinnlose Behörde soll reformiert werden, die in ihrer Trägheit und Blindheit an die drei Affen erinnert, die nichts hören, sehen oder sagen können. Nur ist die Zahl der Nichtskönner und Nichtshörer größer. Ab Januar 2013 wollen Beamte aus den Landesämtern des Verfassungsschutzes mit einem "umfassenden Beratungsangebot" auf deutsche Firmen zugehen und ihnen Hilfestellung im sogenannten Cyberkrieg offerieren, im direkten Gespräch. Vielleicht zeigen sie dufte Tricks wie den vom NPD-Funktionär, der bei der Linken Spitzel installieren sollte.

Halt, zu Chanukkah geziemt es sich, wie beim alten Heine zurückzutreten und dem Treiben zuzusehen: "Aber des Abends geht der Spaß erst recht los; dann sieht man unsere Holden oft mit der ganzen respektiven Familie, mit Vater, Mutter, Tante, Schwesterchen und Brüderchen, von einem Konditorladen nach dem andern wallfahrten, als wären es Passionsstationen. Dort zahlen die lieben Leutchen ihre zwei Kurantgroschen Entree und besehen sich con amore die 'Ausstellung', eine Menge Zucker- oder Drageepuppen, die, harmonisch nebeneinander aufgestellt, rings beleuchtet und von vier perspektivisch bemalten Wänden eingepfercht, ein hübsches Gemälde bilden. Der Hauptwitz ist nun, daß diese Zuckerpüppchen zuweilen wirkliche, allgemein bekannte Personen vorstellen. Ich habe eine Menge dieser Konditorladen mit durchgewandert, da ich nichts Ergötzlicheres kenne, als unbemerkt zuzuschauen, wie sich die Berlinerinnen freuen, wie diese gefühlvolle Busen vor Entzücken stürmisch wallen und wie diese naiven Seelen himmelhoch aufjauchzen: 'Ne, des is schene!" Zum Schluss ein Kaddish. (jk)