Das Unzahlungsmittel

Hilfe, ich fahre nach Deutschland, wo Fahrkartenautomaten und Geschäfte oft nicht einmal 50 Euro-Scheine annehmen. Warum geht es nicht genauso einfach wie in Japan?

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Von
  • Martin Kölling

Hilfe, ich fahre nach Deutschland, wo Fahrkartenautomaten und Geschäfte oft nicht einmal 50 Euro-Scheine annehmen. Warum geht es nicht genauso einfach wie in Japan?

Bitte stellen Sie sich für einen Moment meine Verzweiflung vor: Ich fahre nach Deutschland und habe als kleinsten Schein nur einen 50er in der Tasche. Wie soll ich damit am Morgen um sechs Uhr nur am Automaten meine Fahrkarte kaufen? Das letzte Mal wenigstens ging es nicht. Und auch das Wechseln wurde schwierig. Einige Ladenbesitzer haben mich scheel angeguckt und entweder den Kopf geschüttelt oder sich zum Nachbarsladen bemüht, um einen soooo großen Schein klein zu machen. Wo bin ich denn, habe ich mich gefragt. Warum akzeptieren Fahrkartenautomaten nicht alle gängigen Zahlungsmittel – oder wenigstens die bis 100 Euro?

Hier in Japan kenne ich das anders. Selbst eine 130-Yen-Karte (rund 1,30 Euro) kann ich selbstredend mit einem 10.000-Yen-Schein (rund 100 Euro) berappen. Der Automat gibt sowieso klaglos heraus. Und auch Geschäfte und Taxi-Fahrer wechseln, ohne den Kopf zu schütteln, zu murren oder zu fragen: "Hamses nich mal kleina?" Und warum sollten die japanischen Automaten und Geschäftsleute es auch nicht tun? Schließlich ist der 10.000er ein amtliches Zahlungsmittel.

Bis heute kann ich nur erahnen, warum das in Deutschland nicht klappt. Die Automaten immer gefüllt zu halten, kostet vielleicht zu viel Geld. Vielleicht sind die internen Rechenkreise der Maschinen auch nur zu langsam, um mit größeren Summen hantieren zu können. Ich erinnere mich mit Schrecken an meine Versuche, in Berlin Fahrkarten am Automaten zu kaufen. Selbst mit fertig abgezählten Geld hat es solange gedauert, dass ich Angst hatte, Wurzeln zu schlagen.

Oder ist das größte Problem in der Kundenkultur zu suchen? In Deutschland habe ich immer schön Danke gesagt, wenn mir eine Kassiererin Geld herausgab. Ich finde das auch grundsätzlich richtig, menschlich gesehen. Und die Erfahrung lehrt, das freundliches Verhalten meist auch ein Lächeln erntet – sogar in Berlin. Nur hat diese Sitte im Großen wohl zu der Vorstellung geführt, dass sich die Kunden dem Dienstleister anpassen müssen, nicht umgekehrt. Beschwere dich nicht, akzeptiere die Beschwernis, scheint mir die Grundeinstellung zu sein. Selbst in hochpreisigen Supermärkten habe ich gummiartige Rettiche in der Auslage gesehen. Warum verbieten wir uns, uns zu beschweren? Warum verbieten wir uns, auf mehr Annehmlichkeiten zu drängen?

Auch in Japan gibt es natürliche blinde Flecken im Kundendienst und kundenunfreundliche Regelungen. Ich erinnere mich noch an die Odyssee, einen Festnetzanschluss zu erwerben. Vor zwölf Jahren musste ich zuerst das Recht kaufen, ein Telefon zu haben, bevor ich den Anschluss selbst beantragen konnte. Und als in Japan lebender Ausländer brauchte ich bis Juli dieses Jahres ein spezielles Visum für die Wiedereinreise. Aber verglichen mit Deutschland fallen mir solche Hürden weniger auf, weil sie in meinem Alltag seltener zu finden sind als Fahrkarten- und Getränkeautomaten.

Ich erkläre mir das immer so: In Deutschland sagen wir: Der Kunde ist König, und so wird er auch behandelt – mit Weggucken, Wegducken und Verdrücken. Denn die Geschichte hat uns gelehrt, dass es Ungemach bedeutet, wenn der König ruft. Höhere Steuern oder Kriegsdienst zum Beispiel. In Japan gilt der Kunde als Schatz, den man mit aller Kraft heben will. Der Anbieter will den Kunden daher ja keine Unannehmlichkeiten machen, sondern möglichst wenige Steine zwischen Kaufimpuls und Kauf in den Weg legen. Und das gilt auch für Automaten. Ich rede Ihnen zu wirr? Fragen Sie mal Japan-Besucher über ihre Erfahrungen. Über unfreundlichen Kundendienst dürfte sich kaum jemand beschweren. (bsc)