Das letzte Refugium

Von kuriosen Ausnahmen abgesehen, waren gedruckte Bücher bisher werbefrei. Auf E-Readern könnten bezahlte Anzeigen bald zum Alltag gehören – und mit ihnen neue Probleme.

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Von
  • Peter Glaser

Von kuriosen Ausnahmen abgesehen, waren gedruckte Bücher bisher werbefrei. Auf E-Readern könnten bezahlte Anzeigen bald zum Alltag gehören – und mit ihnen neue Probleme.

Im Frühsommer begann Amazon, Werbekunden für sein neues "Kindle Fire"-Tablet zu suchen. Wie das amerikanische Fachmagazin "Advertising Age" berichtete, gehen die Preise für einen Werbeslot auf dem Bildschirmschoner des Kindle Fire bei 600.000 Dollar los. Das ist viel Geld für Werbung in einem digitalen Buch.

Amazon-Boss Jeff Bezos macht kein großes Geheimnis daraus, dass er Bücher gern am liebsten fast umsonst verkaufen würde. Die Zukunft sieht er in Werbung in den Büchern – zum Unbehagen vieler Leser und auch von Verlegern, deren Standardverträge den Autoren garantieren, dass in ihren Werken keine Werbung erscheint.

Werbung in Büchern gab es in den Sechziger- und Siebzigerjahren als Kuriosum in rororo-Taschenbüchern, meist in Gestalt von Anzeigen für solide Bundesschatzbriefe und Kommunalobligationen (wobei der Werbetext Bezug auf den Inhalt des Buchs nahm). Wenn heute von Verlagskrise die Rede ist, sind zumeist nicht Buchverlage gemeint, sondern Zeitungsverlage, vor allem amerikanische, deren Werbeumsätze in den letzten Jahren durch die unendlich große Werbefläche Internet stark zurückgegangen sind (US-Medien finanzieren sich in bedeutend höherem Maß über Werbung als europäische).

Mit diesen dramatischen Folgen des digitalen Wandels hatte die Buchbranche bisher kaum zu tun. Aus einem Produkt ohne Anzeigen können keine Anzeigen abwandern. Dass sich das zu ändern beginnt, wurde erstmals deutlich, als Google 2004 begann, unter der Bezeichnung "Google Books" Millionen von Büchern aus Bibliotheksbeständen zu digitalisieren. Projekte zur Buchdigitalisierung gibt es schon lange. Das bekannteste ist das bereits 1971 begonnene Project Gutenberg, für das ehrenamtliche Mitarbeiter inzwischen mehr als 25.000 Werke eingelesen haben, deren Urheberrechte abgelaufen sind.

Darüber, dass das Weltwissen digitalisiert werden soll, herrscht Konsens; nicht aber in der Frage, wie. Google behandelte seine Buchdigitalisierung wie ein Betriebsgeheimnis. Tatsächlich stellte sich heraus, dass für "Google Books" alle Bücher aus den Beständen an dem Projekt beteiligter Biblioteken eingescannt wurden, auch wenn Google die Rechte daran nicht besaß. 2005 wurde das Unternehmen deshalb von amerikanischen Autoren und Verlegern verklagt, die Klage ist nach wie vor anhängig. In einem Kompromissvorschlag, dem sogenannten Google Book Settlement, wurde den Autoren für die digitale Nutzung unter anderem eine Beteiligung an Werbeeinnahmen eingeräumt.

Google verdient sein Geld nach wie vor größtenteils mit der Platzierung von Kleinanzeigen am Bildschirm. Zugespitzt könnte man sagen: Die Firma ist nicht interessiert an dem, was ein Buch zum Kulturträger macht, nämlich dessen Inhalt, sondern an dem leeren Randstreifen – um seine Kleinanzeigen einzublenden. So verwandelt sich ein Kulturträger in einen Werbeträger. Und Amazon ist bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das folgt.

So bietet etwa der in Madrid beheimatete Bücher-Streaming-Dienst 24symbols seinen Nutzern kostenlos Zugriff auf digitale Bücher in der Cloud – dafür wird in die Texte Werbung eingeblendet. Auch wenn die Unterbrechungen im Textfluss schon bei digitalen Zeitungsartikeln manchmal bis nah an die Unlesbarkeit führen, beißen Verleger und Autoren mangels alternativer Erlösmodelle zunehmend in den sauren Advertising-Apfel. Es geht auch weiterhin reklamefrei – gegen Bezahlung. Auf den neuen Tablets von Amazon lässt sich die Werbung, die sowohl auf dem Sperrbildschirm als auch auf dem Homescreen erscheinen kann, für 15 Dollar wieder abstellen. (bsc)