Strom für die Welt

Mit Solarkraft gespeiste lokale Stromnetze könnten Millionen von Menschen in den ärmsten Gegenden der Welt erstmals Elektrizität bringen. Doch dafür müssen noch bedeutende technische und organisatorische Probleme gelöst werden.

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Von
  • Kevin Bullis

Mit Solarkraft gespeiste lokale Stromnetze könnten Millionen von Menschen in den ärmsten Gegenden der Welt erstmals Elektrizität bringen. Doch dafür müssen noch bedeutende technische und organisatorische Probleme gelöst werden.

Das Dorf Tanjung Batu Laut auf einer Insel vor der Küste des malaysischen Teils von Borneo scheint direkt aus einem Mangrovensumpf zu wachsen. Am Wasser drängen sich Häuser auf Stelzen, gebaut aus altem Sperrholz, Wellblech und rostigem Maschendraht. Weiter im Landesinneren jedoch kommt man zu einer Rodung mit einer Anlage aus hundert Solarmodulen, die auf glänzenden neuen Metallrahmen montiert sind. Dicke Leitungen befördern Strom von den Modulen zu einem robusten Gebäude mit neuen Türen und Fenstern.

Es beherbergt das Kontrollzentrum für eine kleine Anlage, die seit zwei Jahren Strom für die 200 Bewohner des Dorfes produziert. Von Neonröhren beleuchtete Computer steuern den Energiefluss von den Solarmodulen – und von den als Absicherung installierten Dieselgeneratoren. Ein Teil des produzierten Stroms speichern große Blei-Säure-Batterien, der Rest wird sofort verteilt. Vor dem Bau der kleinen Anlage gab es für das Dorf keine verlässliche Versorgung, nur ein paar Familien verfügten über kleine Generatoren. Heute haben die Bewohner rund um die Uhr Strom – und der Bedarf wächst.

Anlagen wie die in Batu Laut – sogenannte hybride Mikrostromnetze – werden der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge eine entscheidende Rolle dabei spielen, bislang unversorgte Gebiete mit Strom zu beliefern. Eineinhalb Milliarden Menschen leben weltweit ohne Elektrizität, die meisten davon auf dem Land. Doch der Anschluss von abgelegenen Gebieten an das normale Stromnetz mit seinen großen, zentralen Kraftwerken ist in vielen Fällen sehr teuer, kann bis zu zehn Jahre dauern – und ist in manchen Fällen aus geologischen oder wirtschaftlichen Gründen gar nicht möglich. Hybride Mikronetze können die Lücke schließen, indem sie unterschiedliche Stromquellen vor Ort kombinieren. Zudem sind sie weitaus billiger zu bauen und leichter zu erweitern. Nach Schätzungen der IEA werden zwei Drittel der heute unversorgten Landbewohner künftigen Strom nur mithilfe von verteilten Quellen bekommen – entweder aus Mikronetzen oder von Anlagen für einzelne Häuser.

Die meisten Elektrogeräte, die sich die Einwohner von Batu Laut angeschafft haben, wirken im Dorfbild ungewohnt: etwa die auf vielen Wellblechdächern montierten Satellitenschüsseln oder die stromhungrigen Apparate in Häusern, deren Dächer durchhängen und deren Fenster einfach aus Löchern in der Hauswand bestehen. Die Palette reicht dabei vom Flachbildfernseher und Deckenventilator über Bügeleisen und Reiskocher bis hin zu Kühlschrank und Tiefkühltruhe, die Tag und Nacht Strom brauchen. Einen Kühlschrank hat auch die Ladenbesitzerin Tenggiri Bawal gekauft, um Obst, Getränke und andere Waren länger frisch halten zu können. Lächelnd blickt sie auf die vor ihrem Laden versammelten Kinder, die kühle Wassermelonen-Scheiben in ihren Händen halten, und sagt in gebrochenem Englisch: „Geschäft ist gut.“

Die Bedeutung von Strom für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung lässt sich kaum überbetonen. Kühlschränke halten Lebensmittel und Medikamente frisch, Ventilatoren machen heiße Klassenzimmer zu angenehmeren Orten. Mit Licht können Schüler auch abends lesen und Hausaufgaben erledigen. Eine stetige Stromversorgung kann auch die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen, oft zunächst in Form bescheidener Ansätze wie dem Laden von Bawal. Wenn Menschen dann mit solchen Geschäften Geld verdienen, können sie sich mehr Strom leisten und mutigere Projekte angehen. So kann es zu einem Zyklus von zunehmendem Wohlstand kommen, wie Ökonomen für viele Länder nachgewiesen haben: Langfristig bietet leicht verfügbarer, zuverlässiger und bezahlbarer Strom die Chance, dass ein robuster Fertigungssektor entsteht.

Einige der bislang größten und fortschrittlichsten Mikronetze wurden in Malaysia installiert, in dem große Gebiete aus dschungelbedeckten Bergen und abgelegenen Inseln bestehen. „Manche Teile des Landesinneren lassen sich nicht ans Stromnetz anschließen, weil es dort keine Straßen gibt. Also sind Mikronetze die einzige Lösung“, sagt Ramdan Baba, Leiter des Programms zur ländlichen Elektrifizierung in Malaysia. Das Land kann es sich leisten, als Pionier voranzugehen: Befeuert vom Öl- und Erdgasreichtum wächst seine Wirtschaft seit Jahren kräftig. (vsz)