Freunde auf Rädern

Telepräsenzroboter erobern jeden Lebensbereich: Sie retten Menschenleben in Krankenhäusern, sparen Flugkosten bei internationalen Konferenzen und bringen entfernt voneinander wohnende Familienmitglieder zusammen.

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Von
  • Boris Hänßler

Telepräsenzroboter erobern jeden Lebensbereich: Sie retten Menschenleben in Krankenhäusern, sparen Flugkosten bei internationalen Konferenzen und bringen entfernt voneinander wohnende Familienmitglieder zusammen.

Es ist kurz nach Mitternacht. Ich sitze in meinem Bonner Büro, müde nach einem anstrengenden Arbeitstag, und warte mit Headset vor dem Rechner auf Bill Murvihill. Der Business Adviser des Start-ups Anybots ist mit mir zu einem Meeting verabredet – über 9000 Kilometer entfernt an seinem Sitz in Santa Clara, Kalifornien. Ich installiere ein Plug-in, logge mich auf der Webseite von Anybots ein – und schon bin ich pünktlich 15 Uhr Ortszeit in Murvihills Versuchsraum. Vertreten werde ich dort von Anybots’ erster Kreation: einem Telepräsenzroboter namens QB mit zwei Glupschaugen und einem grauen Hut.

Darin steckt ein Display, das mein Konterfei zeigt, von meiner Webcam übertragen. Doch niemand da drüben schaut zurück. Über eine Fünf-Megapixel-Kamera in QBs Kopf sehe ich mich vor Ort um: von Murvihill keine Spur. Ich befinde mich auf einer Teststrecke – „meine“ Kameraaugen erkennen Tipps zur Steuerung auf den Plakaten an der Wand: Über die Pfeiltasten kann ich mich in alle vier Himmelsrichtungen bewegen, über die SHIFT-Taste wechsle ich auf eine nach unten gerichtete Kamera und sehe deren Schwarz-Weiß-Übertragung des Bodens. Mein Roboter brummt – so laut, dass ich den Kopfhörer herunterregle. Das Geräusch wird von drei im QB installierten Mikrofonen aufgenommen. Mein Avatar ist für einen Roboter sehr schnell – er fährt auf zwei Rädern bis zu 5,6 Kilometer pro Stunde. In seiner Basis steckt ein Rechner mit einem LIDAR-basierten Hinderniserkennungssystem. Der Laser im Bodenteil misst die Abstände zu Hindernissen, und ich werde vor einem Zusammenstoß automatisch langsamer. Trotzdem, wenn ich nicht aufpasse, kann ich gegen die Wand fahren. Oder eine angelehnte Tür aufstoßen. Das Gewicht meines Avatars ist dafür mit 16 Kilogramm durchaus ausreichend.

QB zeigt, dass selbst bis vor Kurzem noch als futuristisch anmutende Anwendungen inzwischen marktreif sind. „Die Prognosen sind vielversprechend“, sagt Gudrun Litzenberger von der Statistikabteilung des Industrieverbands International Federation of Robotics (IFR). Der Verband erfasst Telepräsenzroboter allerdings bislang nur unter „Assistenzsysteme für Ältere und Behinderte“. „2011 haben wir in der Gruppe insgesamt gut 150 Roboter auf dem Markt gezählt, ein Teil davon waren bereits Telepräsenzroboter“, sagt Litzenberger. „Wir schätzen, dass sich der Verkauf zwischen 2012 und 2015 auf knapp 5000 Stück erhöhen wird.“ Neben dem Office- und Pflegebereich finden sie nun auch in Krankenhäusern, beim Militär, in der Gebäude-überwachung und technischen Inspektion ihr Einsatzgebiet.

Innerhalb dieser Palette ist QB ein Highend-Produkt – mit noch ein paar Kinderkrankheiten. Nachdem ich ein paar Minuten über das Testgelände von Anybots gerollt bin, sehe ich durch zwei Schränke hindurch einen Mann auf mich zukommen. Bill begrüßt mich. Ich grüße zurück. Er kann mich nicht hören, obwohl im QB Lautsprecher installiert sind. Eine komische Situation – er redet, ich sehe ihn, aber kann ihm nichts sagen. Er weiß nicht, ob ich ihn höre. Ein Chatmodul wäre hilfreich. Die Webcam ist schuld, merke ich nach einigem Ausprobieren. Ich habe versäumt, im Anybot-Portal den Ton auf das Headset zu legen. Als ich das mache, stürzt mein Rechner komplett ab. Ich bin nicht mehr in Kalifornien. Hoffentlich wartet Bill auf mich.

Trotz solcher Schwierigkeiten haben bisher 70 Kunden QB geordert. In erster Linie handelt es sich dabei um große Unternehmen und Universitäten, die das System weiterentwickeln wollen. Immerhin 10000 Dollar kostet das Exemplar, ein stolzer Preis, selbst auf dem Markt für Telepräsenzroboter. Deshalb wird QB, so faszinierend seine Fähigkeiten auch sein mögen, vorerst ein Nischenprodukt bleiben. (grh)