Sushi mit Kunststoff

Der Tsunami hat ein neues Problem auf Japans Speisekarte geschwemmt: Plastik im Fisch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling

Der Tsunami hat ein neues Problem auf Japans Speisekarte geschwemmt: Plastik im Fisch.

Die Globalisierung hat auch ihr Gutes, wenn man so will. Selbst bei meinem aktuellen Besuch in Deutschland kann ich japanisches Fernsehen verfolgen. Und so fiel mir kürzlich ein Feature über Plastikmüll im Meer auf, das das japanische Gegenstück zu ARD und ZDF, NHK, zeigte. Anlass war mal wieder der Tsunami, der am 11. März 2011 zahllose Ortschaften entlang eines 350 Kilometer langen Küstenstreifens in Nordost-Japan weggerissen hat. Genauestens verfolgen und berechnen die Forscher seitdem, wie der Müll erst nach Kalifornien und von dort zurück nach Hawaii trieb.

Container waren unter dem Treibgut und auch Holz. Aber zu den Dauerschwimmern gehören natürlich die Plastikmassen. Und das ist ein Problem, erklärt uns NHK. Denn es landet möglicherweise auf dem Umweg über die Nahrungskette – Gott behüte – in unserem Sushi oder in anderen Fischgerichten.

Das Problem ist nicht neu, doch die Tragweite war sowohl räumlich wie auch ökologisch und gesundheitlich auch mir nicht voll bewusst. Eine Gefahr ist natürlich, dass sich Meerestiere in der fälschlichen Annahme, es handele sich um schmackhafte Kost, ein Stück aus dem herumtreibenden Plastik herausbeißen oder auf anderen Wegen kleine Bruchstücke schlucken. NHK präsentierte eindrucksvolle Bilder über den Bauchinhalt verendeter Fische und Vögel.

Hässlich waren auch Aufnahmen von Stränden, an denen man vor lauter Plastik den Sand nicht mehr sehen kann. Aber das größere Problem ist dem Bericht zufolge, dass sich Plastik anders als härtere Materialien rasch pulverisiert und damit selbst von Plankton aufgenommen wird und so in die Nahrungskette gelangt.Und als ob das noch nicht reichen würde, scheint das Plastikpulver auch noch Schwermetalle in Umlauf zu bringen und besonders gut mit DDT und polychlorierten Biphenylen zu reagieren.

Keine angenehme Vorstellung, besonders in Japan nicht. Denn wir essen gerne Thunfisch, der als Jäger am oberen Ende der Futterkette im Zweifel problematische Stoffe konzentriert. Und wie ich diese fiesen Chemikalien kenne, lagern sie sich wahrscheinlich am liebsten in Fett an. Dies ist eine besonders eklige Vorstellung, denn die fettesten Stücke des Fisches sind roh allein als Sashimi oder auf Reis als Sushi auch die leckersten.

Noch dümmer ist, dass wir uns anders als bei der Atomkatastrophe nicht damit trösten können, dass der schmackhafte Blauflossenthun fern von Japans Gestaden im Nordatlantik oder dem Mittelmeer überfischt wird. Radioaktive Nukleide aus Fukushima schaffen es allenfalls in homoöpathischen Dosen dorthin, Plastik hingegen ist überall. Dafür sorgen schon die großen Strömungswirbel, die nicht nur im Nord-, sondern auch im Südpazifik, im Nord- und Südatlantik und im indischen Ozean den Müll kreisen lassen.

Handeln scheint also Not zu tun. Es gibt offenbar auch mehrere Gruppen, die auf dieses Problem hinweisen und Spenden einsammeln. Aber ich bin ein wenig ratlos, wie man es beheben kann. Wir leben in einer Plastikgesellschaft. Selbst unsere Kleidung hat sie erobert, und das nicht nur mit Nylonstrümpfen, sondern auch mit hippen Fleece-Pullovern. Sogar mit dem Abwasser der Waschmaschine werden Plastikteile in die Umwelt geschwemmt.

Selbst die Internet-Seite der Umweltgruppe "Plastic Free Ocean" erschöpft sich weitgehend in Appellen, es mögen sich bitte Materialforscher, Biochemiker und Mediziner zusammentun, um nach Lösungen für Recycling und Müllmanagement zu suchen – und das öffentliche Bewusstsein zu schärfen, weniger Plastik zu verwenden und mehr zu recyceln. Wenn dies der Stand der Diskussion ist, befürchte ich, dass wir langfristig mit Kunststoff in Sushi leben müssen. (bsc)