Gemüse am Tropf

Sie werden extrem kontrolliert aufgezogen, sind sehr sauber und (fast) garantiert schadstofffrei: hydroponische Salatköpfe aus Japan. Müssen wir unsere Definition von Bio-Gemüse ändern?

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Von
  • Martin Kölling

Sie werden extrem kontrolliert aufgezogen, sind sehr sauber und (fast) garantiert schadstofffrei: hydroponische Salatköpfe aus Japan. Müssen wir unsere Definition von Bio-Gemüse ändern?

Die Folgen der Tsunami-Katastrophe verhelfen in Japan einer neuen Technik zum Durchbruch: Gemüse aus der Fabrik. Im Küstenort Rikuzentakata stehen mehrere Kuppelzelte wie Ufos in einem Gebiet, dessen Böden am 11. März 2011 die riesige Wasserwand versalzen hat. In ihnen werden Salatköpfe hydroponisch erzeugt. Das heißt, sie wachsen nicht mehr in Mutter Erde, sondern in einer Nährlösung. Und dies besonders effizient wie eindrucksvoll automatisiert.

Jede der kreisrunden Kunststoffbauten hat einen Durchmesser von ungefähr 30 Metern. In der Mitte liegt die moderne Form des Hydrokultur-Hochbeets: ein Donut-ähnlicher Pool. In der Mitte ist ein Loch, von dem aus Plastikleitrinnen wie Sonnenstrahlen bis zum anderen Poolrand ausgehen. In die Rinnen werden die Setzlinge gesetzt. Und mit jedem Tag wandern sie nährstoffreiches Wasser schlürfend einen Tick zum Rand hin, werden größer und größer, bis sie am äußeren Rand eingesammelt, verpackt und verschifft werden. Etwa vierhundert Köpfe spuckt so ein Karussell aus.

In Japan wird mit Hochdruck daran geforscht, möglichst viele andere Gemüsesorten ebenfalls am Tropf zu kultivieren. Denn sie ermöglichen mehrere Dinge, auf die es in Japan besonders ankommt.

  • Eine einheitliche Form: Ich bin immer wieder von den Möhren überrascht, die in Japan soldatisch-einheitlich in idealtypischer Möhrenform daherkommen. Krumme Karotten habe ich noch nicht im Supermarkt gesehen. Dank extrem gleichmäßiger Bedingungen wachsen sie fast gleich. Dies wiederum reduziert den Ausschuss, ein Thema, das auch in Japan wichtig ist.
  • Ein perfekter Zustand: Da der Salat geschützt aufwächst, werden die Blätter weder von Raupen angeknabbert noch von Wind und Regen zerzaust. Und wieder reduziert sich der Müll und erhöht sich die Ausbeute pro eingesetztem Setzling.
  • Extreme Sauberkeit: Da knirschen keine Erde, Käfer oder anderes Getier zwischen den Zähnen. Der Salat kann auch ohne gründliche Wäsche verzehrt werden – aus einem naheliegenden Grund: Er wächst nicht in der Erde heran.
  • Bio: Und schadstofffrei wie unbehandelt ist das Grünzeug auch noch. Bei altmodisch erzeugtem Gemüse aus dem Beet kann man sich da nicht immer sicher sein. Selbst wenn der Bauer nicht spritzt, schlagen sich möglicherweise doch Schwermetalle, Dioxine und andere Schadstoffe im Erdreich nieder.

In diesem Sinne sollte der Salatkopf aus Rikuzentakata oder anderes Gemüse aus der Fabrik zum Bio-Gemüse geadelt werden. Oder erhebt jemand Einspruch dagegen? (bsc)