Heinz Nixdorf Museumsforum zeigt Hollerithmaschine

In Paderborn ist seit heute der originalgetreue funktionsfähige Nachbau einer Hollerithmaschine aus dem Jahr 1890 zu sehen.

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Von
  • Detlef Borchers

Pantograph

Das Paderborner Heinz Nixdorf Museumsforum (HNF) hat heute den originalgetreuen funktionsfähigen Nachbau einer Hollerithmaschine aus dem Jahr 1890 zur öffentlichen Besichtigung in einer kleinen Sonderschau zur Lochkartentechnik freigegeben. Neben der eigentlichen Tabelliermaschine mit Kontaktpresse und Zähluhren wird die Installation mit einer elektrischen Vorsortiermaschine und dem Pantographenlocher zum Lochen der Karten gezeigt.

Streng genommen ist die Paderborner Hollerithmaschine kein kompletter Nachbau: Der originale Holzkorpus stammt aus einem Lager der IBM, doch die gesamte Elektrik wie Mechanik, die Spulen, Relais und Zähluhren der Tabelliermaschine mussten vom HNF-Restaurator Bernhard Fromme rekonstruiert werden. Zur Eröffnung der Sonderschau zeigte eine Mitarbeiterin des HNF in der Kleidung damaliger Farbrikarbeiterinnen, wie an der Tabelliermaschine gearbeitet wurde. Parallel dazu gibt es einen Lehrfilm, der zeigt, wie Frauen die Fragebögen der Volkszähler mit dem Pantographen auf Lochkarten übertrugen.

Frühe Datenverabeitungs-Fachkraft mit Hollerithmaschine

Zur ersten elektronischen Volkszählung im Jahre 1890 wurden 62 Millionen Lochkarten produziert, die von 43 Hollerithmaschinen ausgewertet wurden. So konnte die Volkszählung innerhalb von vier Monaten abgeschlossen werden. Davor brauchte das US-Censusbüro sieben Jahre für die Auswertung. Das wichtigste Resultat der Zählung: statt der geschätzten 75 Millionen lebten nur nur 62.622.250 Menschen in den USA.

Ganz originalgetreu ist der Nachbau übrigens nicht: Schutzbestimmungen verbieten heute das Quecksilberbad, in das die unter Spannung stehenden Stifte der Kontaktpresse eintauchten, wenn sie durch ein Loch der Datenkarte fielen. Dabei wurde der Stromkreis geschlossen, der das zugehörige Zählwerk veranlasste, eine Position weiter zu rücken. Wovon die Maschinen in der hellen Museumshalle keinen Eindruck vermitteln können, sind die höllischen Arbeitsbedingungen der Frauen, die an den Hollerithmaschinen in einer Achtstundenschicht mit vier kurzen Pausen arbeiteten. Über der Quecksilberwanne sitzend inhalierten sie Dämpfe und Papierstaub bei der harten Arbeit. Alle vier Sekunden musste eine Karte eingelesen und danach in den Vor-Sortierer gesteckt werden. Sortiert wurde damals nach Rasse und Geschlecht – die entsprechende Klappe öffnete sich elektrisch. Die besten Arbeiterinnen kamen auf eine "Lesegeschwindigkeit" von 3,4 Sekunden pro Karte. Um Verschnaufpausen zu bekommen, pusteten die Frauen mitunter Papierstaub in die Quecksilberschale, damit der Strom gestört wurde. Dann musste der Maschineneinrichter kommen und die Schale neu befüllen. Das verdreckte Quecksilber wurde häufig einfach auf den Boden geschüttet.

Verdrahtung der Zähler, Rückseite

Mit der US-amerikanischen Volkszählung von 1890 begann der Siegeszug der Lochkarte. Nach den USA führten Russland, Österreich und Norwegen ihre Volkszählungen mit Hollerithmaschinen durch. Die von Hollerith gegründete "Computing Tabulating Recording Company" (CTR) vermietete die Locher, Maschinen und Sortierkästen, verkaufte aber die aus "Spezialkarton" gefertigten Lochkarten zu stolzen Preisen. Bis zum 1. Weltkrieg durften die Karten nur in den USA gedruckt werden, danach stieg der Bedarf in der Großindustrie dermaßen an, dass auch im Ausland gedruckt werden durfte. 1924 ging aus Holleriths Firma die IBM hervor.

Ihre 1910 in Deutschland gegründete Tochtergesellschaft hieß Dehomag (Deutsche Hollerith Maschinen-Gesellschaft). Sie entwickelte eigenständig Sortierverfahren und Verbesserungen, die sie patentieren ließ. Für die Volkszählung in Dänemark 1913 entwickelte sie beispielsweise einen Dreibürstensortierer, der beim Durchlauf aller 2,5 Millionen Einwohner in einem Lauf die drei Sonderklassen der Abnormalen "bezüglich Gebrechen, Religion und des Militärverhältnisses" aussortierte.

Die ursprüngliche Hollerith-Lochkarte hatte 45 Spalten und 12 Zeilen. 1928 stellte man von runden auf eckige Löcher um, sodass 60 oder 80 Spalten und 10 Zeilen möglich waren. Diese Karten wurden in Deutschland erstmals 1933 bei der preußischen Volks- und Berufszählung und dann bei der Volkszählung von 1939 eingesetzt. In Spalte 22 stand die Zahl 3 für "jüd.mos.isr" – die Selektion der Juden konnte beginnen. (Detlef Borchers) / (anw)