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Was war. Was wird.

Im Sinne einer transparenten wie vernetzten Gesellschaft wünscht Hal Faber schöne Feiertage. Und will kurz vor Weihnachten anregen, sich aus Distanz mit dem Krimskrams von Hard- und Software zu befassen, aus dem der tägliche Strom der Nachrichten besteht.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war, die Weihnachtsedition.

Das Jahr geht zu Ende und dieses Ende fühlt sich in vieler Hinsicht so an wie das Ende einer Ära beim Personal Computing. Es ist an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen, wo wir stehen und wohin die Reise geht. Für diejenigen von uns, die in dieser Branche seit den frühen Tagen der Personal Computer-Revolution Mitte der siebziger Jahre dabei sind, war es eine ganz wundervolle Zeit gewesen, eine "Belle Époque" der IT mit geradezu unglaublichen Innovationen. Wir waren Zeugen von erstaunlichen technologischen Durchbrüchen, wir zapften Kraftfelder an, an deren Existenz wir nicht im Traume gedacht hatten, wir erlebten Situationen von nahezu metaphysisch fühlbaren Wundern, als wir die ungeheure Macht des Informationszeitalters spürten, das uns in das 21. Jahrhundert katapultierte.

Einige Leute verdienten in diesem Umbruch eine Menge Geld.

Aber was ist aus der ursprünglichen Vision geworden, die mit dem PC kam? Dass er die Menschheit befreit, dass er Gleichheit für alle Rassen, alle Glaubensrichtungen, Minoritäten und Klassen bringt – und sogar hilft, aussterbende Spezies zu retten. Das war unser Heiliger Gral. Ich denke, es ist an der Zeit, einmal zu schauen, wie nah wir diesen Zielen gekommen sind.

Was ist von diesem Traum übrig geblieben, was wurde verwirklicht und was ist schlicht Folklore, von denen in die Welt gesetzt, die am meisten dran verdienen konnten? Bei kaltem Tageslicht gesehen mag der Ansatz eine Illusion gewesen sein, zu glauben, dass der PC alle Probleme der Gesellschaft lösen kann. Ein Mythos, von den Begründern dieser Branche ausgestreut, die wohl hofften, dass es so sein könnte, aber ansonsten gut damit leben konnten, wenn nichts dergleichen passierte. Ich habe meinen Anteil daran gehabt, den PC als magische Lösung für alle Probleme zu proklamieren, als Werkzeug, dass die Regierung dezentralisiert und eine demokratische Gesellschaft schafft mit vielen unterschiedlichen Sichtweisen und einem freien Austausch aller Ideen unter Allen.

Gewiss, in einigen Dingen hat der PC die Demokratie verbessert. Man kann online diskutieren und digitale Kampagnen um politische Ziele führen, man kann Politiker anschreiben. Aber im Großen und Ganzen sieht das Bild nicht so rosig aus. Einer der schädlichen Effekte der PC-Revolution ist die schlichte Tatsache, dass PCs eher etwas für die Wohlhabenden denn für die Habenichtse sind. Die Kluft zwischen arm und reich, zwischen den Begüterten und den Benachteiligten ist größer geworden, nicht kleiner. Anstelle die Standesunterschiede zu zerstören, hat der PC ein neues Kasten-System geschaffen, basierend auf dem privilegierten Datenzugriff. Er hat eine Art Berliner Mauer aus Drähten geschaffen, die die informationstechnisch Verarmten ausgrenzt. Was die Gleichberechtigung angeht, vergesst es. Und Gleichheit? Das mag vielleicht der Markenname irgendeiner Firma in Korea sein, ist aber definitiv nicht die Beschreibung des Status Quo in der heutigen Informationsgesellschaft.

Der PC wird heute benutzt, um die Privatsphäre der Bürger auszuhöhlen. In einigen Firmen sind Überwachungsprogramme auf den Rechnern installiert, die jeden Tastendruck registrieren. Wer E-Mail schreibt, ist einfach zu überwachen. In Ausweisen sind Mikrochips versteckt. Gegen die Möglichkeit, sich mit dem PC zu informieren, spricht die Tatsache, dass 70 Prozent aller Erwachsenen sich auf das Fernsehen als einzige Informationsquelle verlassen.

Meine eigene Beteiligung an der PC Revolution datiert auf das Jahr 1974. In Albuquerque in New Mexico erlebte ich hautnah die Entstehung des ersten kommerziell verfügbaren Personal Computers, des Altair PC von MITS. Ich war damals für die Werbung und die technische Dokumentation bei MITS zuständig.

Ich würde mich nicht gerade als ein Ex-Hippie bezeichnen, aber meine politischen Grundeinstellungen sind wesentlich durch die politischen und sozialen Ereignisse der 60er und 70er geprägt worden. Ich protestierte gegen den Krieg in Vietnam und war in Wounded Knee dabei. Eine politische Idee, die mich in dieser unruhigen Periode wirklich elektrifizierte, war etwas, dass partizipatorische Demokratie (participatory democracy) genannt wurde. Die Philosophie hinter dieser Idee war so etwas wie der Rahmen, in dem die Organisation Students for a Democratic Society in Port Huron (Michigan) gegründet wurde.

Partizipatorische Demokratie erweitert das Konzept der repräsentativen Demokratie um einen wichtigen Schritt: Es verlangt in einem ungleich stärkeren Maße die aktive Beteiligung aller Bürger an der Regierung. Einfach gesagt, wie es auch im Gründungsdokument des SDS steht, haben alle Bürger das Recht und die Verantwortung, eine aktive Rolle bei allen politischen Entscheidungen einer Regierung bei Fragen mitzuwirken, die ihr Leben betreffen.

Während ich 1975 bei MITS arbeitete, hatte ich die Gelegenheit, eine kleine Messe für Personal Computer zu besuchen, die an der Universität von Kalifornien in Berkeley stattfand. Diese frühe Form einer PC-Messe wurde von der People's Computer Company gesponsert, die als eine der ersten Altair-Computer bestellte. Ich erinnere mich, dass Bill Gates' Basic auf den Rechnern lief.

Ich entdeckte, dass wir einen gemeinsamen Geist teilten. Die Leute glaubten auch an die Prinzipien der partizipatorischen Demokratie. In einer plötzlichen Einsicht wurde mir klar, dass eines der Probleme bei der partizipatorischen Demokratie in den 60ern schlicht die Tatsache war, dass die Technologie noch nicht in der Lage war, diese Form der Bürgerbeteiligung in einem größeren Maßstab umzusetzen. Es gab schlicht keine Möglichkeit, wie eine große Masse von Leuten in einen effektiven Dialog miteinander treten konnte. Es war wohl möglich, auf lokaler Ebene etwa in einer Ortsgruppe des SDS eine Versammlung abzuhalten, doch im größeren Maßstab funktionierte das nicht. Zu ihrem Nachteil endeten die frühen Versuche in partizipatorischer Demokratie in endlosen Treffen, auf denen wenig erreicht wurde.

Auf der besagten PC-Messe sah ich das Potenzial des PC als interaktives Kommunikations-Werkzeug. Modems und Netzwerke könnten die partizipatorische Demokratie der Zukunft verwirklichen. Die Menschen könnten alle wichtigen Fragen online diskutieren und auf einer breiten Beteiligung ihre Entscheidungen fällen. Heureka!

In Berkeley spürte ich eine neue Form der Solidarität. Ich schaute mich um und sah, dass viele der Computerpioniere der ersten Generation dieselbe Vision hatten, unter ihnen Lee Felsenstein, Steve Jobs und Steve Wozniak, Jim Warren und Dan Bricklin. Wir alle waren waschechte Vertreter der 60er Jahre.

Andere teilten unsere Visionen. Sie waren keine Linken oder gar Gegenkultur-Freaks. Es waren Konservative darunter, mit Ansichten hart an der Grenze zum Libertarismus, und auch eine Gruppe von ultrarechten Republikanern, die die Freiheit des Individuums frenetisch verteidigten.

Die Vision entstand fast zeitgleich in all diesen Gruppen. Der PC war das Werkzeug, das wir suchten, um unsere Gesellschaft demokratischer gestalten zu können. Er würde uns zumindest helfen können, einige unserer Träume für eine bessere Gesellschaft verwirklichen zu können.

Wo sind all die Hacker hin, wo sind sie geblieben? Was ist passiert? Wir sind vom Erfolg des PC überrollt worden, sind bequem geworden und fordern nur noch mehr Rechenleistung. Konnektivität ist der große Sammelruf. Dort, wo es wirklich darauf ankommt, unsere Freiheiten zu verteidigen, ehe die Welt in eine große Dunkelheit abtaucht, müssen wir uns als Netzwerk aktiv verbinden. Ansonsten werden all die Kabel zu Schlingen werden, die um unsere Hälse hängen.

Wir brauchen eine neue Bürgerbewegung. Mein Wunsch für das kommende Jahr ist, dass all diejenigen, die wirklich an das Potenzial des PC glauben, wieder aktiv werden und sich einmischen. Wir müssen raus aus den Sesseln und das Feld verteidigen. Wenn wir es diesmal nicht tun, werden wir alle, die die große Vision des Personal Computing teilen, vollkommen desillusioniert dastehen. Wir werden alte Männer und Frauen werden, die sich bitter über ihr Scheitern beklagen. Die Schlacht für die PC-Freiheit wird dann vielleicht als eine weitere dieser edlen, gescheiterten Versuche verbucht werden, ähnlich wie das Engagement im Spanischen Bürgerkrieg in den 30er Jahren. Die PC-Industrie wird dann der Automobilbranche ähneln oder dem Fernsehen und uns alles andere als Befreiung bringen.

Die Pioniere der Fernsehtechnik glaubten, dass Fernsehen die Massen befreien wird, dass die Menschen dank Fernsehen gebildeter und kultivierter über Themen wie Theateraufführungen und Debatten sprechen werden, die ihnen früher vorenthalten wurden. "Eine Stadt, ein Fernsehsender", lautete die ursprüngliche Devise. An Sendernetze dachte niemand. Dieselbe Idee beflügelte auch die Computerpioniere: "Eine Person, ein Computer". Wir haben niemals daran gedacht, dass vernetzte Computer den persönlichen Computer in der Weise ersetzen könnten, wie dies bei den Netzen der Fernsehsender passierte, die nur noch senden, was dem dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Intelligenz des Zuschauers entspricht, einen großen Einheitsbrei.

Beim Vernetzen der Computer können wir in dieselbe Falle laufen. Anstelle dem Einzelnen alle Freiheiten zu geben, sich an Gruppendiskussionen und Entscheidungen zu beteiligen, kann die Vernetzung eine Zentralmacht hervorbringen, die unser Leben kontrolliert und jede einzelne Bewegung aufzeichnet.

Was wird.

Zu den Waffen! Auf die Barrikaden! Wir sind wieder da, auch wenn es viele noch nicht merken. Ein neuer Kampf steht bevor, der rund um die Rechner ausgetragen wird. Wer ist Computer-hip?

Wir müssen unsere Augen öffnen. Es ist schon sehr enttäuschend, all diese Möglichkeiten zur Online-Kommunikation zu sehen und zu beobachten, wie limitiert die Nutzung ist, wie wenig Aktivisten und Initiativen dabei sind. Es müssen hunderte von politischen Gruppen aller Art dabei sein, von der Friedensbewgung über die Umweltschützer bis zu den Kämpfern für die Rechte von Minderheiten. Jede dieser Gruppen muss ohne Probleme von Interessierten gefunden werden können, damit sie sich weltweit im Kampf für ihr Ziel zusammenschließen können. Wo früher Aktivisten vereinzelt waren, können sie online weltweit zusammenfinden und zu einer Kraft werden. Online sollte es spielend einfach sein, ein Programm und eine Strategie zu entwickeln und Aktionen zu planen, mit denen die Visionen in die Welt gelangen.

Der PC kann ein Werkzeug dafür sein. Er wird es allerdings nicht, wenn wir nicht einige radikale Schritte unternehmen. Es braucht einige hunderttausend Leute, die diesen Text gelesen haben und zu handeln beginnen, die politische Fragen online zu stellen. Für jede Frage, jedes Aktionsprogramme muss es Gruppen geben, die einfach online zu finden sind, die Informationen verteilen und denen man sich anschließen kann.

Eine Warnung: Wenn ich die neue Form demokratischer Teilhabe per PC fordere, dann fordere ich keinesfalls die Beschlussfassung per PC und schon gar nicht Wahlen per Computer. Das wird vielleicht einmal möglich sein, ist aber nicht trivial und sollte gut durchdacht werden, Alles, was ich derzeit fordere, ist der Einsatz von Personal Computern bei der Organisation und Koordinierung von sozialen Aktionen durch engagierte Menschen.

Es ist dringender denn je, dass auch die Politik diesen Einsatz der Personal Computer mitmacht. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem es für einen Politiker wichtiger ist, mit den Wählern in Online-Konferenzen zu debattieren, als in irgendeiner Fernsehshow oder in der Wahlwerbesendung aufzutreten.

Ich setze meine Stimme auf den aufgeklärten Nutzer des Personal Computers. Ich dränge Sie, dies auch zu tun. Wenn wir Online nicht zusammenkommen, dann ist das Ende wirklich nah, ob PC oder kein PC. Die Demokratie ist in Gefahr zusammenzubrechen. Das ist etwas, das uns interessieren müsste.

Dieser Text ist eine gekürzte Übersetzung des Aufrufes "The Participatory PC" von David Bunnell, hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors. Er erschien genau vor 25 Jahren in der Zeitschrift PC World. Mit diesem Text will die kleine Wochenschau in Vorgriff auf Weihnachten die Anregung geben, sich aus der Distanz mit all dem Krimskrams von Hard- und Software zu befassen, aus dem der tägliche Strom der Nachrichten besteht. Im Sinne einer transparenten wie vernetzten Gesellschaft wünsche ich allen Lesern schöne Feiertage. (jk)