Demokratie ist eine Frage der Rückkoppelung: Zum 100. Geburtstag von Georg Klaus

Am 28. Dezember 1912 wurde Georg Klaus geboren. Der Philosoph versuchte sich in der DDR an der Synthese von Marxismus und Kybernetik, bis er dabei mit den Interessen der Staatsführung kollidierte.

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Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 100 Jahren wurde der Philosoph und Kybernetiker Georg Klaus geboren. Als überzeugter Kommunist versuchte er sich in der DDR an der Synthese von Marxismus und Kybernetik. Mit seinen Schriften erreichte er, dass die Kybernetik Anfang der 60er Jahre kurzzeitig zu einer der Leitwissenschaften des Sozialismus erklärt wurde. Sie konnte sich freilich nicht durchsetzen, weil die von Klaus propagierten "Regelungs- und Rückkoppelungssysteme einer kompletten Demokratie" sich nicht mit dem Anspruch der Parteifunktionäre vertrugen, als Avantgarde die Gesellschaft zu steuern.

Georg Klaus wurde vor 100 Jahren in Nürnberg geboren und wuchs im Arbeitermilieu heran. Als Student der Mathematik wurde der zur Jugendzeit leidenschaftliche Schachspieler in der KPD aktiv, um als Mitglied des Arbeiterschachklubs Turnierspieler werden zu können. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er 1933 verhaftet, schwer gefoltert und wegen Hochverrats zu zweijähriger Einzelhaft und späterer Übernahme für drei Jahre in ein Konzentrationslager verurteilt. 1943 wurde er zum Kriegsdienst eingeteilt und so schwer verwundet, dass er bis zum Tode mit den Folgen dieser Verletzungen kämpfen musste.

Nach dem Krieg wurde Klaus SED-Funktionär und studierte in Jena unter dem angehenden Kybernetiker Max Bense, der ihn mit den Ideen von Norbert Wiener bekannt machte. Georg Klaus promovierte noch unter Bense 1948, gefolgt von einer philosophischen Habilitation im Jahre 1950. Klaus konnte Wieners Ideen zur Kybernetik im Kalten Krieg verbreiten, indem er Wieners Anti-Militarismus lobte.

1951 setzte er sich in der Schrift "Das maschinelle Gehirn" mit der Frage der damals im Entstehen begriffenen Forschung nach der künstlichen Intelligenz auseinander. Danach erschien 1957 seine Schrift "Elektronengehirn gegen menschliches Gehirn", in der er den Computer in seiner Bedeutung über die Atomenergie stellte. 1961 erschien sein Hauptwerk "Kybernetik, Philosophie und Gesellschaft", in dem er Marx/Engels und Lenin mit der Kybernetik vermählte und die Soziokybernetik begründete, freilich mit Hilfestellung von in der DDR verpönten Autoren wie Rudolf Carnap. Darauf folgte das Wörterbuch der Kybernetik im Jahre 1968. Der Höhepunkt der Wirkung von Georg Klaus schien erreicht, als der SED-Chef und Staatsführer Walter Ulbricht 1970 die "marxistisch-leninistische Organisationswissenschaft" (MLO) proklamierte, eine "rationelle Organisation aller gesellschaftlichen Prozesse" – freilich unter Führung der SED.

Eine solch leitende Stelle war im Denken von Georg Klaus nicht vorgesehen. Er beschäftigte sich mit einem System, das in jeder Wohnung der DDR drei Knöpfe (Ja, Nein, Stimmenthaltung) installieren sollte (wahlweise eine Abstimmung 0,1, 2 per Telefon) nach dem damaligen DDR-Motto "arbeite mit, plane mit, regiere mit" realisieren sollte. Jedwede Wahlfälschung sollte in diesem System durch den Zentralcomputer sofort über ein System von Prüfsummen bewiesen werden, gemäß seiner Vorstellung: "In gewisser Weise ist das Maß der Demokratie beziehungsweise Diktatur, die ein bestimmter Staat zulässt, der Gradmesser für das Überwiegen von Steuerungs- und Rückkoppelungsmechanismen." Damit wurde Klaus praktisch abgeschoben. Er durfte noch ein Wörterbuch herausgeben und war in der Ära Honecker nicht mehr gefragt.

Kurz vor seinem Tode am 29. Juli 1974 wurde Georg Klaus gebeten, sich die Welt in 20, 30 Jahren vorzustellen. Er schrieb in seinem Aufsatz "Zukunftsperspektiven" ausführlich über Speichertechniken der künftigen Systeme, die vielleicht auf "schwingenden Kristallen" das Wissen speichern werden:

"Es werden elektronische Informationszentren entstehen, in denen im Prinzip das ganze gegenwärtige Wissen der Menschheit in wissenschaftlicher, ökonomischer, politischer, künstlerischer u.a. Hinsicht vorhanden ist. Diese Informationsspeicher müssen keineswegs an einem bestimmten Ort stationiert sein. Sie können auch durch Zusammenschaltung spezialisierter Informationsspeicher entstehen. [...] In Zukunft wird man nicht mehr Zeitung lesen. Unsere hypothetische Informationszentrale wird eine Riesenzeitung für die ganze Welt herausgeben, die jedem das gibt, was er benötigt." (mho)