Nachruf auf Rita Levi-Montalcini

Die italienische Nobelpreisträgerin Rita Levi-Montalcini ist im Alter von 103 Jahren gestorben. Sie hat wichtige Signalproteine entdeckt, die etwa Nerven und Haut wachsen lassen.

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Die italienische Nobelpreisträgerin Rita Levi-Montalcini ist im Alter von 103 Jahren gestorben. Sie hat wichtige Signalproteine entdeckt, die etwa Nerven und Haut wachsen lassen.

Ich werde nicht mehr dazu kommen, eine langjährige Wunschkandidatin zu interviewen. Die italienische Wissenschaftlerin Rita Levi-Montalcini ist am 30. Dezember 2012 im Alter von 103 Jahren gestorben. Seit ich vor ein paar Jahren ihre Kurzbiografie gelesen hatte, war ich tief beeindruckt, welche Widrigkeiten die 1909 geborene Italienerin überwunden, was sie als Wissenschaftlerin geleistet und wie sie bis ins hohe Alter ein engagiertes, produktives Leben geführt hat.

Levi-Montalcini war fest entschlossen, Ärztin und Forscherin zu werden, nachdem sie das Krebsleiden ihres Kindermädchens miterlebt hatte. Ihr Medizinstudium musste sie sich bei ihrem Vater allerdings erkämpfen, der gemäß der Gepflogenheiten der viktorianischen Ära "ihre Chancen als Hausfrau und Mutter nicht durch eine Universitätsausbildung behindern wollte", wie sie später schrieb. Ihre Entschlossenheit beeindruckte ihn jedoch, und da ihn der Tod des Kindermädchens ebenfalls tief getroffen hatte, unterstützte er seine Tochter fortan.

Doch es war besonders dieses Bild, das mir nie wieder aus dem Kopf ging: Während des Zweiten Weltkriegs konnte die junge Medizinerin nur in einem geheim eingerichteten Labor in ihrer Wohnung forschen. Benito Mussolini hatte kurz vorm Zweiten Weltkrieg jüdischen Wissenschaftlern das Forschen und Praktizieren verboten. Die junge Ärztin ging daraufhin zunächst nach Belgien, floh aber nach dem Überfall des Landes durch Hitler wieder zu ihrer Familie in Turin. Da sie keine scharfen Spezialinstrumente aus Glas hatte, um das Nervenwachstum von Hühnerembryonen zu untersuchen, schliff sie Nähnadeln zu winzigen Skalpellen um. Ihr Inkubator war in seinem ersten Leben ein Schnellkocher gewesen.

Auch als sie 1943 nach Florenz fliehen musste, experimentierte sie im Geheimen unter Lebensgefahr weiter. Levi-Montalcinis Ergebnisse brachten ihr 1946 eine Einladung von Viktor Hamburger an die Washington University in St. Louis ein. So schloss sich ein Kreis, denn seine Arbeiten hatten sie überhaupt erst zu dem Forschungsgebiet inspiriert. Statt des vorgesehenen Forschungssemesters blieb die Wissenschaftlerin dann rund 30 Jahre.

1952 entdeckte sie in Tumoren ein bemerkenswertes Protein, das Nervenzellen stark wachsen ließ. Der sogenannte Nervenwachstumsfaktor (NGF, nerve growth factor) fand sich allerdings nicht nur in dem kranken, sondern auch in vielen gesunden Geweben des Körpers. NGF erklärte nicht nur zusammen mit einer Reihe weiterer Wachstumsfaktoren – etwa dem Hautwachstumsfaktor EGF (epidermal growth factor) –, wie aus einer befruchteten Eizelle ein komplexer Organismus heranwachsen kann und warum mancher Gehirntumor so schnell wächst. Er erwies sich sogar als überlebenswichtig für Nervenzellen, die ohne das Protein absterben. Für die Entdeckung von NGF und EGF erhielt Rita Levi-Montalcini 1986 zusammen mit ihrem Mitarbeiter Stanley Cohen den Nobelpreis. Bis in die 1990-er Jahre hinein forschte sie aktiv und half zum Beispiel dabei, die Gründe für chronische Schmerzen aufzuklären.

Ich hätte sie gerne dazu befragt, was sie von den Möglichkeiten hält, die ihre Entdeckungen eröffnet haben, welche Forschung sie heute spannend findet und was sie jungen Wissenschaftlern raten würde. Das geht nun nicht mehr, aber es lohnt sich, frühere Interviews anzuschauen, die etwa das Nobelpreiskomitee anlässlich der Preisverleihung mit ihr geführt hat. Ihre Biografie "In praise of imperfection" (Lob der Unvollkommenheit) ist auf Deutsch leider nicht erhältlich. Das ändert sich jetzt hoffentlich. Die englische Ausgabe ist gerade auf meine Leseliste für 2013 gewandert. (bsc)