Bürgerrechtler diskutieren mit BKA-Chef über Online-Durchsuchung

Bei der Diskussion prallten juristische und polizeitaktische Argumente ziemlich unvermittelt aufeinander.

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Von
  • Detlef Borchers

Zum Auftakt der Jahreskonferenz der Humanistischen Union diskutierten die Bürgerrechtler in einem Hörsaal der Universität Hannover mit Jörg Ziercke, dem Chef des Bundeskriminalamtes über die umstrittene heimliche Online-Durchsuchung. Dabei prallten juristische und polizeitaktische Argumente ziemlich unvermittelt aufeinander.

Zu Anfang der Diskussion gab sich der Chef der Behörde, der das "BKA-Gesetz" neue Ermittlungswerkzeuge zur Hand geben soll, sehr versöhnlich. Er schätze es sehr, dass Menschen so sensibel seien, wenn es um den Rechtsstaat geht, betonte Ziercke. Er erklärte die Online-Durchsuchung als Maßnahme, die man brauche, um eben diesen Rechtsstaat zu schützen. Im Zeitalter der Globalisierung, der grenzüberschreitenden Kriminalität wie der vielfältigen Kommunikationsformen müsse das Strafrecht zeitgemäß angepasst werden. Bei all dem, was sich im Internet abspiele, bei der Wirtschaftskriminalität, der organisierten Kriminalität, der Verbreitung von Kinderpornographie wie bei dem Aufbau terroristischer Netzwerke sei die Polizei ins Hintertreffen geraten: "Wir können die Beweise nicht mehr sichern." Die Datenverschlüsselung und Vernetzung hebe die Strafrechtsgeltung auf. Ohne IP-Adresse und Hilfestellung der Provider habe die Polizei keine Chancen mehr, an die Rechner zu kommen, ohne die neue Technik der Online-Durchsuchung tappe man ähnlich wie bei der Telefonüberwachung, die nichts gebracht habe, im Dunkeln. "Wir haben drei Leute gefasst, haben es aber mit einem Netzwerk von 40 Leuten zu tun, das wir beobachten müssen", erklärte der BKA-Chef unter Hinweis auf die Bombenbauer von Oberschledorn. Dabei erwähnte er nicht, dass nach neuen Erkenntnissen die besagten Täter schon lange vor dem Besuch der Terrorcamps durch den Verfassungsschutz beobachtet wurden.

Als Gegenpart von Jörg Ziercke agierte Fredrik Roggan, Vizepräsident der Humanistischen Union. Er ist der Rechtsanwalt, der mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Land NRW befasst ist, das die heimliche Online-Durchsuchung für den Verfassungsschutz einführen will. Von der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes - das BVG verhandelt am 10. Oktober, die Entscheidung wird im Frühjahr 2008 erwartet - macht ein Teil der SPD-Politiker die Zustimmung zu einem BKA-Gesetz mit eingebauter Online-Durchsuchung abhängig. Roggan schilderte zunächst die Online-Durchsuchung als Brute-Force-Methode, bei der das BKA in die Wohnung eindringt, den Computer analysiert und dann ein Schnüffelprogramm entwickelt, das später heimlich auf dem Computer installiert wird.

Diese von der Zeitschrift Chip veröffentlichte Vorgehensweise bezeichnete Jörg Ziercke als fehlerhaft und als Produkt eines nicht autorisierten Interviews. Er machte deutlich, dass ein individuell angepasstes Suchprogramm, das vom Virenschutz nicht entdeckt werden darf, auf eine Vielzahl von Wegen auf den Computer kommen kann. Manuell könne ein Vertrauensmann in der Szene das Programm installieren oder es könne Online verschickt werden. "Polizisten sind keine Einbrecher", erklärte Ziercke, der auf gute Erfahrungen mit der Online-Durchsuchung in Spanien verwies.

Auf der anderen Seite war Roggan im Besitz eines neueren Referententwurfes zum BKA-Gesetz, den selbst der BKA-Chef Ziercke nach eigener Aussage nicht kannte. Roggan bemängelte die unklare Unterscheidung zwischen der Gefahrenabwehr einer dringenden Gefahr und der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, wie sie bei der Verfolgung eines Netzwerkes potenzieller Terroristen zum Tragen kommt. An diesem Punkt der juristischen Unterscheidung zwischen potenzieller Gefahr, drohender Gefahr und konkreter Gefahr entzündete sich im Verlauf des Abends eine Diskussion, die gerade von den juristisch versierten älteren Herrschaften der Humanistischen Union mit Ausdauer geführt wurde. Wiederholt versuchte Ziercke, die Online-Durchsuchung als Teil eines breiten Bündels von Ermittlungsmaßnahmen angesichts einer "konkreten Gefahr" zu definieren, die als Gefahr ebenso breit gefasst sein müsse. Degegen plädierten Roggan und einige Zuhörer wiederholt für eine möglichst konkrete Fassung der Online-Durchsuchung, wenn sie denn eingeführt werden sollte. So sollte analog zum Abbruch des großen Lauschangriffes beim Eindringen in den Kernbereich der privaten Lebensführung im BKA-Gesetz gesetzlich festgeschrieben werden, welche Dateiordner bei einer Online-Durchsuchung nicht durchsucht werden dürfen. das wiederum fand Ziercke unter Verweis auf die Hausdurchsuchung unsinnig. "Da nehmen wir auch erst einmal alles mit."

Insgesamt litt die lebhaft geführte Debatte darunter, das beide Seiten mit ihren mangelhaften IT-Kenntnissen kokettierten. Während sich der BKA-Chef wiederholt auf seine Experten berief, die ihm die Machbarkeit einer Online-Durchsuchung attestiert hätten, nutzte Roggan einen Artikel der Richterzeitung als technische Basis. Als ein anwesender Informatiker in der Diskussion anmerkte, dass es sehr wohl möglich sei, Computersysteme zu bauen, an die man nicht heran komme, entgegnete der oberste deutsche Polizist mit der Feststellung, dass es das perfekte Verbrechen nicht geben könne.

In Anspielung auf den Bundesinnenminister Schäuble, der unlängst in einem Interview dazu aufrief, sich die verbleibende Zeit bis zu einem Atomangriff der Terroristen nicht verderben zu lassen, wurde die Versammlung mit der Empfehlung von Roggan beendet, die verbleibende Zeit zu genießen, in der das Grundgesetz noch funktioniert. (Detlef Borchers) / (jo)