Studie: Hunderttausende zweifelhafte EU-Patente
Die US-Firma M-Cam hat die Vergabepraxis des US-Patentamts und seines EU-Pendants in Bereichen wie der Datenverarbeitung verglichen, in denen die Patentierbarkeit in Europa eigentlich stark eingeschränkt sein sollte.
Im Auftrag der Fraktion der Grünen im EU-Parlament hat die US-Firma M-Cam die Vergabepraxis des US-Patentamts und seines europäischen Pendants in Bereichen wie der Datenverarbeitung oder der Biotechnologie verglichen. Hier sollte die Patentierbarkeit auf dem alten Kontinent eigentlich stark eingeschränkt sein. Laut dem vorläufigen Untersuchungsbericht (PDF-Datei) hat die Behörde von 2009 bis zum dritten Quartal 2012 insgesamt 482.102 gewerbliche Schutzrechte in 18 einschlägigen Klassen erteilt. Diese beziehen sich auf Geschäftsmethoden, Software, computerimplementierte Prozesse, Pflanzen und Tiere oder biologische Prozesse und Behandlungsmethoden. Das Europäische Patentamt (EPA) hat demnach im gleichen Zeitraum 226.924 vergleichbare Patente vergeben.
In den USA darf laut dem dortigen Patentgesetz alles gewerblich geschützt werden, was "nützlich" ist. Gerichte gingen lange davon aus, dass dies alle Erfindungen betreffe, die das Licht der Welt erblickten. In Europa herrschen dagegen deutlich strengere Vorgaben. Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) schließt etwa wissenschaftliche Theorien, mathematische Methoden, ästhetische Formschöpfungen sowie Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, Spiele, geschäftliche Tätigkeiten und Programme für Datenverarbeitungsanlagen "als solche" von der Patentierbarkeit aus.
Gleiches gilt laut Artikel 53 EPÜ unter anderem für biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren. Auch Prozesse zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnosemethoden dürfen demnach in Europa nicht gewerblich geschützt werden.
Die hohe Zahl der sich im Kern entsprechenden EU- und US-Patente in diesen Bereichen wirft den Autoren der Studie zufolge die Frage auf, "ob das EPA die Patentierbarkeitsstandards des EPÜ richtig anwendet". Die Menge des Ausstoßes an Schutzrechten in "zweifelhaften" Sektoren könnte sich der Analyse zufolge vor allem auf kleine und mittlere Unternehmen auswirken, die am stärksten unter Wettbewerbsbehinderungen zu leiden hätten.
Viele der europäischen Äquivalente zu den US-amerikanischen Biotech- und Softwarepatenten seien unter Ausnahmeregeln zu den eigentlichen Patentierbarkeitsvorgaben vergeben worden, die das EPA und Gerichte der 38 Mitgliedsstaaten der Europäischen Patentorganisation entwickelt hätten, schreibt M-Cam. Ins Auge steche vor allem der Mangel an Transparenz bei den Ergebnissen der Europäischen Patentbehörde. Diese verfolge ihre Linie "sehr energisch", unabhängig davon, ob sie damit den Absichten von Gesetzgebern wie etwa des EU-Parlaments folge.
Die Beschwerdekammern des EPA legen das EPÜ seit Jahrzehnten so aus, dass sie beispielsweise Monopolansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" zulassen. So gehen sie etwa bei der "Verbesserung des Kontrastes" eines Bilds oder bei der effizienteren Aufteilung von Arbeitsspeicher durch eine auf einem Rechner laufende Software von einem "technischen Effekt" aus, der schutzwürdig sein könne. Die Große Beschwerdekammer des Amtes bestätigte diesen Kurs 2010. Fast gleichzeitig schwenkte der deutsche Bundesgerichtshof in einer deutlichen Abkehr von früheren Entscheidungen prinzipiell auf diese Linie ein. Softwarepatentkritiker sehen daher den Gesetzgeber gefordert, um das Patentsystem wieder auf Innovationskurs zu bringen. (mho)