Das Januarproblem bei der Stromversorgung

Das kalte Winterwetter ist der große Haken bei der Energiewende: Es müssen riesige Kraftwerkskapazitäten in Reserve gehalten werden, wenn keine Sonne scheint und der Wind nicht weht. Der Eon-Chef sieht eine "dramatische Lage".

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Von
  • dpa

Philip D. Murphy findet die deutsche Energiewende spannend, legt aber auch den Finger in die Wunde. Der US-Botschafter verweist auf dunkle, sehr kalte Wintertage, wie jetzt im Januar – oft windstill und meist ohne Sonnenschein. Solche Tage bestärken Murphy in seinem Vertrauen in die US-Variante der Energiewende. Die "Schiefergasrevolution" in den USA, wo das Fördern von Gas aus tiefen Gesteinsschichten die Energiepreise purzeln lässt, während im Energiewendeland Deutschland die Strompreise derzeit stark steigen.

Bevorzugt Schiefergas: US-Botschafter Philip D. Murphy.

(Bild: EUROFORUM/Dietmar Gust)

Murphy ist zu Gast bei der vom Handelsblatt organisierten 20. Jahrestagung der Energiewirtschaft in Berlin. Hier spielt vor allem ein Thema eine entscheidende Rolle: Die künftige Struktur des deutschen Strommarktes. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) kann das von Murphy skizzierte Januarproblem in Windeseile aufmalen. Seine Stromkurve geht nach oben, der Verbrauch kann bis auf 82 000 Megawatt hochschnellen. Doch wenn kein Wind weht und Solarpanels von Schnee bedeckt sind, fallen diese Anlagen zur Stromproduktion fast komplett aus. Also müssen für diese wenigen Tage im Jahr entsprechende Kohle- und Gaskraftwerkskapazitäten vorgehalten werden – bis 2022 gibt es zudem noch Atommeiler. Der Markt teilt sich immer mehr in gesicherte Leistung und ungesicherte Ökostromleistung auf.

Das macht auch den langfristigen Stromeinkauf für Unternehmen schwerer. Und die Stromkosten könnten bei teuren Doppelstrukturen explodieren. Altmaier spricht von einer "anspruchsvollen Aufgabe" durch dieses "Backup-Problem" im Winter. Ökostrom – der Anteil liegt schon bei 23 Prozent – drängt jetzt schon besonders Gaskraftwerke vom Markt, während Kohlekraftwerke wegen des Preisverfalls beim EU-Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten sich noch lohnen. Aber unter dem Strich bedeutet mehr Kohlekraft auch mehr CO2-Emissionen.

Eon-Chef Johannes Teyssen sieht eine "dramatische Lage" bei den klimafreundlicheren Gaskraftwerken. Er prüft weitere Stilllegungen, da es nicht genug Betriebsstunden und Einnahmen gebe. Ein Sorgenkind ist der neue 845-Megawatt-Block des Gaskraftwerks Irsching (Bayern). "Die Politik muss klar sehen, dass sich hier ein Risiko bei der Versorgungssicherheit zusammenbraut." Solaranlagenbesitzer in Bayern bekämen pro Jahr 3,5 Milliarden Euro Förderung, aber der Strom sei nicht immer verfügbar. Mit nur 100 Millionen Euro pro Jahr könne man aber das zur Versorgung notwendige Werk Irsching am Leben erhalten.

Als umstrittene Notmaßnahme hat die Regierung als ersten Schritt eine Art Abschaltverbot für "systemrelevante Kraftwerke" auf den Weg gebracht, sie sollen gegen eine Entschädigung für den Winter betriebsbereit gehalten werden. Dieser Eingriff könnte in eine Langfristregelung münden, damit kein Kapazitätsloch entsteht.

Die Energiewende bringt allerlei Paradoxien hervor: An 15 Tagen wurde 2012 ausländischen Energieversorgern noch etwas drauf gezahlt, wenn sie überschüssigen Strom abnahmen. Auch in den Niederlanden drohen Gaskraftwerke unrentabel zu werden, wenn gerade im Sommer reichlich deutscher Ökostrom auch in ihr Netz fließt. Polen will Phasenschieber einbauen, damit der Strom nicht mehr ungehindert in das eigene Netz strömt und Kohlekraftwerke zur Drosselung zwingt.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger spart bei der Tagung nicht mit Kritik an der aus seiner Sicht mangelhaft abgestimmten deutschen Energiepolitik. Er sieht die auf den Strompreis aufgeschlagene Ökostromförderung aus beihilferechtlicher Sicht kritisch und lässt das gerade überprüfen. Seit Jahren gebe es Beschwerden aus den Niederlanden über den verbilligten deutschen Strom, so Oettinger.

Zwar werden dank Solar- und Windstrom immer öfter Preisspitzen beim Stromeinkauf vermieden, doch der deutsche Verbraucher merkt davon nichts. Denn auf seinen Endpreis werden die Kosten für die Ökostromförderung, für das Vorhalten von Kraftwerks-Reserven und für den Netzausbau aufgeschlagen. Der Stadtwerkeverbund Thüga fordert angesichts der Veränderungen ein neues Marktdesign. Die Betreiber konventioneller Kraftwerke – dies können auch Biomassekraftwerke sein – sollen ein Entgelt für die Bereitstellung von Leistung erhalten. Also Geld dafür, auch wenn die Anlagen nicht laufen.

Für die Ökoenergien fordert Thüga mehr Wettbewerb – und eine Abkehr von auf 20 Jahre garantierten Einspeisevergütungen sowie eine Steuerung des Zubaus. Fakt ist: Ohne Speicher für überschüssigen Ökostrom und neue Netze müssen enorme, teure Kraftwerkskapazitäten vorgehalten werden. Die Regierung tüftelt an einer Antwort – immer wichtiger wird dabei auch ein Einbeziehen der europäischen Nachbarn, um Angebot und Nachfrage besser abzustimmen. Erst wenn eine Antwort auf das Januarproblem gefunden ist und sich positive Effekte von mehr Ökostrom in den Strompreisen widerspiegeln, dürften Kritiker das Projekt positiver sehen. US-Botschafter Murphy betont immerhin: "Wenn es funktioniert, kann es ein gemeinsames Modell werden." (axk)