Therapie für taube Ohren

Eine neue Studie legt nahe, dass es in einigen Jahren möglich sein könnte, durch Lärm ausgelöste Hörschäden zu behandeln.

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Von
  • Susan Young

Eine neue Studie legt nahe, dass es in einigen Jahren möglich sein könnte, durch Lärm ausgelöste Hörschäden zu behandeln.

Eifrige Besucher von Livekonzerten und Diskotheken dürfte diese Nachricht freuen: Eine durch zu hohen Schalldruck hervorgerufene Schwerhörigkeit könnte in Zukunft medikamentös behandelt werden – zumindest teilweise. Das geht aus einer neuen Studie von amerikanischen und japanischen Forschern hervor, die einen neuen Wirkstoff erfolgreich an Mäusen testeten. Dabei ließen sich die Sinneszellen im Innenohr, die sogenannten Haarzellen, nach einer lärmbedingten Schädigung teilweise regenerieren.

Es gibt zwar in der Natur Spezies, deren Körper Haarzellen neu bilden können – Vögel gehören dazu. Bei Säugetieren ist dies biologisch jedoch nicht möglich. Eine Schädigung der Haarzellen wird nicht nur durch zu viel Schalldruck hervorgerufen, sondern auch durch Infektionen oder Nebenwirkungen bestimmter Medikamente.

Frühere Untersuchungen legten nahe, dass eine Gentherapie beim Menschen helfen könnte, die Haarzellenbildung erneut anzuregen. Weit sind Forscher dabei allerdings nicht gekommen. Nun ist es Albert Edge, einem Stammzellenforscher an der Harvard Medical School, erstmals gelungen, dies auf chemischem Weg zu erreichen. Sein Wirkstoff stimuliert Unterstützerzellen, sich in neue Haarzellen umzubilden.

Das Medikament hemmt die Aktivität des sogenannten Notch-Proteins, das normalerweise die Neubildung von Haarzellen verhindert. "Unser Ansatz ist ungefähr so, als wenn man beim Auto die Bremsen löst", sagt Edge. Der neue Wirkstoff wurde ursprünglich zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit entwickelt, erwies sich allerdings als hierfür nicht nutzbar – auch, weil die Hemmung des Notch-Signalswegs, der viele Gene im Körper reguliert, für schwere Nebenwirkungen sorgt.

Bei der Studie reichte eine orale Dosis des Wirkstoffs aus, um die Hörleistung bei tauben Mäusen zu steigern und die Anzahl der funktionierenden Haarzellen zu erhöhen. Es gab allerdings deutliche Nebenwirkungen. Aus diesem Grund brachten die Forscher den Notch-Hemmer direkt ins Innenohr ein, wo er den Rest des Körpers mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erreichen kann. "Bei der direkten Behandlung mit dem Wirkstoff schienen die Mäuse sonst vollständig gesund zu bleiben", sagt Edge, der mit den Zellbiologen Kunio Mizutari und Masato Fujioka von der Keio University School of Medicine in Tokio zusammenarbeitete. "Bevor wir damit am Menschen beginnen, müssen wir das natürlich noch beweisen."

Einen Monat nach der Behandlung der Mäuse zeigte sich, dass einige der Unterstützerzellen in den Innenohren der Tiere zu Haarzellen umgeformt worden waren. Die behandelten Nager konnten erhielten rund 20 Prozent ihrer Hörleistung zurück, allerdings nur im Niederfrequenzbereich.

"Es gab schon früher Hinweise darauf, dass die Regenerierung der Haarzellen auch bei adulten Säugetieren möglich ist", sagt Alan Cheng, HNO-Arzt und Haarzellen-Spezialist an der Stanford School of Medicine. "Es wird aber noch viel Arbeit sein, zu validieren, dass diese Methode bei der Behandlung verschiedener Arten von Hörschäden nützlich ist. Wir können noch nicht sagen, ob sie Patienten wirklich hilft."

Um zu untersuchen, ob der Notch-Hemmer die Hörleistung wirklich verbessert, platzierten die Forscher einen kleinen Verstärker in den Ohrkanälen der Tiere. In einem schallgeschützten Raum wurde dann die elektrische Aktivität im Hirnstamm als Reaktion auf eingespielte Geräusche getestet. "Die Mäuse reagierten vor der Behandlung nicht, egal wie viel Schalldruck wir produzierten", sagt Edge. Nach der Therapie konnte das Team dagegen Hirnantworten auf laute, niederfrequente Klänge feststellen.

Es wird noch Jahre dauern, bis der Wirkstoff verwendet werden kann, um Menschen zu helfen. "Die Hörverbesserung, die wir festgestellt haben, ist ziemlich klein", sagt Edge. "Auf den Menschen übertragen würde aus einer vollständig tauben Person ein Mensch, der recht laute Klänge niedriger Tonhöhe wahrnehmen könnte." Als Nächstes wollen die Forscher herausfinden, ob sich mit der Methode auch Haarzellen regenerieren lassen, die nicht durch Lärm, sondern durch andere Einflüsse wie etwa Toxine geschädigt wurden.

Cheng gibt außerdem zu bedenken, dass die Mäuse kurz nach der Schädigung ihrer Sinneszellen behandelt wurden, während die meisten Menschen oft erst lange nach einem Hörschaden zur Behandlung kommen. "Die Diagnose findet häufig Tage oder gar Wochen danach statt", sagt der HNO-Spezialist. "Ob sich eine verzögerte Behandlung lohnt, muss noch geklärt werden." (bsc)