Was bringt ein Moratorium?

Nach einem Jahr wollen Vogelgrippe-Forscher ihren selbstauferlegten Forschungsstopp aufheben. Eins der Moratoriumsziele wurde aber nicht erreicht – das Informieren der Öffentlichkeit.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Nach einem Jahr wollen Vogelgrippe-Forscher ihren selbstauferlegten Forschungsstopp aufheben. Eins der Moratoriumsziele wurde aber nicht erreicht – das Informieren der Öffentlichkeit.

Im Januar vor einem Jahr erlegten sich 39 Grippe-Forscher ein Moratorium auf und stoppten ihre Forschung. Auslöser waren Ergebnisse des niederländischen Forschers Ron Fouchier und von Yoshihiro Kawaoka aus Japan über Vogelgrippe-Viren, die im Zuge von Laborexperimenten beunruhigende Mutationen erworben hatten: In Versuchen mit Frettchen hatten sich Varianten entwickelt, die erstmals auch von Säugetier zu Säugetier übertragen wurden. Mein Kollege Wolfgang Stieler und ich haben hier bereits mehrmals darüber gebloggt.

Die Forscher bekamen Druck, keine Details darüber zu veröffentlichen, wie sie die bedenklichen Viren-Varianten erzeugt hatten, damit dieses Wissen nicht von Terroristen missbraucht werden kann – denn der Schritt zu Viren, die auch unter Menschen weitergegeben werden, schien nicht mehr weit (tatsächlich sagen die Frettchen-Versuche darüber kaum etwas aus). Die unerwartet heftige öffentliche Reaktion veranlasste die Wissenschaftler, deren Ergebnisse in Nature und Science dann doch erschienen, zu dem Moratorium. Ihre Gründe dafür:

  • Der Wissenschaftsgemeinde und der Öffentlichkeit erklären, welche Vorteile diese Forschung hat (die Versuche waren auch unter Fachleuten umstritten)
  • Erklären, welche Sicherheitsmaßnahmen bereits in Biolaboren vorgeschrieben sind, um das Freikommen von Viren zu verhindern
  • Regierungen und Organisationen die Chance geben, ihre Biosicherheitsmaßnahmen und wie sie diese der Öffentlichkeit mitteilen, zu überprüfen.

Am 23. Januar plädierten die Forscher nun dafür, das Moratorium nun endlich aufzuheben (die Diskussionen darüber begannen schon letztes Jahr). In einem Brief im Fachjournal „Science“ ( DOI: 10.1126/science.1235140) betrachten sie die Ziele des Forschungsstopps als erreicht: Sie hätten hinreichend darüber publiziert, dass der Nutzen ihrer Forschung die Risiken übersteigt und viele Länder hätten noch strengere Sicherheitsvorkehrungen für Biolabore beschlossen oder planten diese zumindest. Man sei also auf einem guten Weg und sollte die Forschung wieder aufnehmen.

Das Problem daran ist nicht die Forschung selbst, die halte ich nach wie vor für wichtig. Weitere Sicherheitsverschärfungen sind auch gut. Da muss wahrscheinlich sogar noch mehr passieren, da Kritiker wie der Kommunikationswissenschaftler und Risiko-Management-Experte Peter Sandman von der Princeton University zum Beispiel monieren, dass es – ganz unabhängig von Bioterroristen und verrückt gewordenen Wissenschaftlern, die Virenproben aus dem Labor schleusen – zum Beispiel kein zentrales, einheitliches Meldesystem für Laborunfälle gibt.

Sandman beklagte vor einer Woche in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auch, dass das Informieren der Öffentlichkeit auf der Strecke geblieben sei. Mehr noch, einzig und allein das Abwürgen der öffentlichen Diskussion sei Ziel des Moratoriums gewesen sein. Das finde ich dann doch einen starken Vorwurf, der erst einmal belegt werden muss. Tatsächlich aber beschränkte sich das Mitteilungsbedürfnis der Forscher im vergangenen Jahr vorwiegend auf Fachblätter wie "Nature" und "Science". Bemühungen, Transparenz für die breite Öffentlichkeit herzustellen, haben kaum stattgefunden. Das aber ist eine vertane Chance, wenn das Ziel weniger Angst und mehr Verständnis ist.

Befremdlich wirkt für manche auch, dass die Wissenschaftler das Ende ihres Moratoriums selbst beschlossen haben. Warum, so die Frage, macht das nicht ein unabhängiges Gremium, eine Art Ethik-Kommission im Dienst der Öffentlichkeit. Erst wenn die sagen: Ihr habt ausreichend Öffentlichkeit hergestellt, gäbe es eine Empfehlung. Im ersten Moment dachte ich, das würde der Idee von Moratorien widersprechen, die ja per Definition selbst auferlegt sind. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto attraktiver ist die Idee. Ziel ist nicht, die Forschung auszubremsen. Es müsste kein „Muss“ sein, sehr wohl aber eine Art Gütesiegel. Denn ich finde durchaus, dass es Aufgabe der Wissenschaft ist, Sinn und Nutzen genauso wie Risiken ihrer Forschung der Öffentlichkeit zu erklären.

Mir haben Wissenschaftler bei einem anderen umstrittenen Thema mal gesagt, die Bedenken der Bevölkerung zu zerstreuen und ihre Forschung zu erklären, sei nicht ihre Aufgabe. Unausgesprochen schwang mit, dass dafür Journalisten zuständig seien. Ich glaube, das ist zu kurzsichtig. Es gibt gute Argumente für die diskutierte Vogelgrippe-Forschung. Doch die Verantwortung, darüber Auskunft zu geben, liegt genauso bei den Forschern selbst. Das gilt übrigens auch für die Gegenargumente. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass die Öffentlichkeit automatisch in Panik gerät (dazu gibt es hier einen sehr lesenswerten Essay von Peter Sandman). Die Wissenschaft darf sich nicht verstecken. (vsz)