"Der Exodus wird sich umkehren"

Autodesk-CEO Carl Bass über die Rückkehr der Fertigung in die Industrieländer, die verteilte Produktion von morgen und den Entwicklungssprung, den das Cloud Computing für das Industriedesign bedeutet.

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Von
  • Jessica Leber

Autodesk-CEO Carl Bass über die Rückkehr der Fertigung in die Industrieländer, die verteilte Produktion von morgen und den Entwicklungssprung, den das Cloud Computing für das Industriedesign bedeutet.

Zum vielstimmigen Chor derer, die den Niedergang der verarbeitenden Industrie in den USA beklagen, gehört auch Carl Bass, CEO von Autodesk. Der Software-Hersteller aus Kalifornien wirkt vor allem hinter den Kulissen: Viele Ingenieure und Designer der verarbeitenden Industrie nutzen seine Software, um digitale Modelle ihrer Entwürfe anzufertigen oder die Entwicklungsarbeit zu planen.

In diesem Kundensegment, Fertigung und Produktdesign, macht Autodesk inzwischen ein Drittel seiner Umsätze. Vor kurzem hat das Unternehmen einen Online-Dienst gestartet, mit dem Kunden die Erstellung von Prototypen, Simulationen oder Prozessmodellierung als Webanwendung vornehmen können. Der Vorteil: Kunden können hiermit eine viel größere Rechenleistung anzapfen, als ihnen womöglich im eigenen Unternehmen zur Verfügung steht.

Technology Review sprach mit Bass, der privat begeistert mit 3D-Druckern arbeitet, über die Rückkehr der Fertigung in die Industrieländer, die verteilte Produktion von morgen und den Entwicklungssprung, den das Cloud Computing für das Industriedesign bedeutet.

Technology Review: Mr. Bass, warum ist gerade die verarbeitende Industrie die Kundengruppe von Autodesk, die am schnellsten zunimmt?

Carl Bass: Kein Hersteller kann sich heute mehr vor dem internationalen Wettbewerb in Sicherheit wiegen. Der hat die Preise nach unten getrieben, aber die lassen sich nicht beliebig weit herunter schrauben. Also müssen Sie anfangen, auf andere Wettbewerbsvorteile zu setzen – zum Beispiel auf Design. Es kann helfen, mehr Produkte abzusetzen und zugleich die Produktionskosten zu senken.

Bislang wurde unsere Software eher dafür eingesetzt, Entwürfe zu machen und die Entwicklungsarbeit zu dokumentieren. Inzwischen wird sie von den ersten frühen Entwurfsschritten an genutzt bis hin zur Fertigung und schließlich sogar, um den Lebenszyklus eines Produkts zu managen.

TR: Inwiefern fließt heute in die Produkte mehr Design ein?

Bass: Genau beziffern kann man das nicht, aber man kann die Auswirkungen sehen. Selbst in industriellen Bereichen wie Medizintechnik oder Fabrikanlagenbau spielt Design eine immer größere Rolle. Der Verkauf stützt sich inzwischen auch auf das Design der Maschinerie. Da hat sich etwas geändert. Ein gut designter Gabelstapler lenkt den Blick auf neue Aspekte: Wie viel Energie verbraucht er, wie groß sind die Wartungsintervalle, wie viel kann er heben?

TR: Wie ändert Technik die Art und Weise, wie Produktdesign abläuft?

Bass: Cloud Computing entwickelt sich zu einer Ressource, die unendlich skalierbar und elastisch ist. Eine Stunde CPU-Zeit kostet nur noch ein paar Pfennige. Auf diese Weise kann ich tausend Prozessorkerne auf ein Problem loslassen, und das ist immer noch billiger als eine Arbeitskraft.

Das hat die Simulationstechnik verändert, heute geht es mehr ums Optimieren als ums Simulieren an sich. Früher hatte ich einen Entwurf, den testete ich, dann überarbeitete ich den Entwurf und immer so weiter, bis mir Zeit, Geld oder Geduld ausgingen. Heute kann ich solche Tests simultan laufen lassen. Mit statistischen Verfahren kann ich das optimale Design hinsichtlich Zugbelastung oder Spannung finden, oder hinsichtlich der Kosten oder einer Kombination solcher Faktoren.

Zum ersten Mal nähern wir uns dem Versprechen, das in der Designwelt seit 30 Jahren im Raum steht: echtes, rechnergestütztes Design. Der Computer ist nicht mehr bloß dafür da, das auszuführen, was man ihm sagt.

TR: Können Sie uns ein Beispiel nennen, wie sich das auf die Herstellung auswirkt?

Bass: Ich habe mich erst gestern mit einem Ingenieur eines Elektronikherstellers unterhalten. Der nutzt unsere Software, um die Einspritzung von Kunststoff in Gussformen zu analysieren. Eine Form aus Stahl herzustellen, kostet mindestens hunderttausend Dollar. Die Entscheidungen, die Sie beim Design dieser Form treffen, wirkt sich dann auf die Qualität von Millionen von Teilen aus, die Sie damit produzieren.

Früher brauchte dieser Ingenieur für einen Simulationslauf 36 Stunden. Einige der Formen, die er berechnen wollte, waren zu umfangreich für seine Computer. Jetzt ist die Rechenzeit bei unter drei Stunden angekommen. Tatsächlich lässt er nun mehrere Simulationen auf einmal laufen, und aus denen kann er die beste Lösung auswählen. Das führt zu einem günstigeren und besseren Produkt. Es wird weniger Fehlschläge geben.

TR: Werden Computer eines Tages selbst perfekte Produkte designen?

Bass: Jeder stellt diese Frage – werden Designer oder Ingenieure irgendwann durch Maschinen ersetzt? Wir haben das in einigen Branchen erlebt. Computerchips werden heute auf einer abstrakten Ebene designt. Niemand entwirft mehr die Anordnung sämtlicher Transistor im Einzelnen. Das wird längst mit reiner Rechenkraft gemacht. Ich halte es für möglich, dass dies auch beim Industrie- und Anlagendesign kommt.

TR: Bewegen sich Fertigung und Design aufeinander zu?

Bass: In der Phase, als Outsourcing und Offshoring hoch im Kurs standen, haben sich Fertigung und Design voneinander wegbewegt. Inzwischen begreifen die Unternehmen, dass sie, wenn sie sich von der physischen Herstellung zu weit entfernen, nicht mehr verstehen, wie sie ihr Produkt verbessern können.

Ich war mal in einer Fabrik in China, in der ein beträchtlicher Anteil der weltweiten Laptop-Produktion stattfindet. Auf einer Werksebene wurden gleich fünf verschiedene Markenmodelle produziert. Sämtliche Leute, die die Herstellung verstehen, waren in dieser Fabrik. Ursprünglich wickelte das Unternehmen nur die Fertigung ab, doch jetzt übernehmen sie auch das „Routine Engineering“, also Verbesserungen im Fertigungsablauf und Tests.

TR: Glauben Sie, dass die USA weiterhin großartige Produkte designen können, ohne sie selbst herzustellen?

Bass: Nein, man kann sich nicht nur aufs Design beschränken und auf die Fertigung verzichten. Das war eines der Probleme, die wir bei den Laptops gesehen haben.

Wir können in die USA mehr Fertigung holen, als in den vergangenen zehn Jahren weggefallen ist. Der Exodus wird sich umkehren, weil Hersteller näher am Markt produzieren werden – Produkte werden je nach Markt variiert oder maßgeschneidert. Im Gegensatz zu der Produktion, wie sie in Südchina stattfindet, geht der Trend zu einem verteilten Modell. Sie können das bereits in der Autoindustrie sehen: Japanische und deutsche Firmen haben auch Fabriken in den USA.

TR: Autodesk redet gerne von einer „Demokratisierung“ des Designs, so dass jeder zum Designer werden kann. Hält die Fähigkeit, Dinge zu fertigen, mit dieser Entwicklung Schritt?

Bass: Sowohl das Design als auch die Fertigung sind leichter geworden. Als Verbraucher habe ich heute Zugang zu Design-Werkzeugen, die noch vor fünf Jahren außerhalb jeder Reichweite waren. In der Fertigung gibt es viele Möglichkeiten, qualitativ hochwertige Dinge zu produzieren. Ich kann online Menschen aus aller Welt mitbieten lassen, meine Fertigung zu übernehmen, egal ob die Stückzahl eins oder 1000 ist. Wir bekommen Zugang zu ausproduzierten Designideen von immer mehr Menschen. (nbo)