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Was war. Was wird.

Hochtrabende Worte kommen immer später, wenn Geschichte schon gemacht ist, hält Hal Faber fest. An Geschichte aber erinnern sich immer weniger. Als ob's unwichtig wäre dafür, wie wir leben wollen. Sind denn alle Berater, die sich ihre Welt schönrechnen?

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute vor vielen, vielen Jahren erreichte die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und befreite die Überlebenden. Seit 1996 ist dies ein deutscher Gedenktag, seit 2005 ein internationaler Gedenktag. Die schwer alternative "tageszeitung" illustriert ihn mit Fotos von hüpfenden Jugendlichen auf dem Holocaust-Denkmal in Berlin und einem Hitler aus dem Wachsfigurenkabinett. Wer war der noch mal? Issja egal. Die historische Erinnerung ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Zu den Überlebenden von Auschwitz gehörte Jack Tramiel, der mit dem Commodore C64 viel für die Entwicklung der Computerbranche tat. C64? Das war doch mal so'ne Generation, oder? Ist ja egal. Historisches Erinnern funktioniert, solange sich (Über)Lebende dran erinnern. Während Apple-Fans bibbernd auf den Film zur Seligsprechung von Steve Jobs warten, legt Zeitzeuge Steve Wozniak Einspruch ein und bemängelt die Dialoge: "Die hochtrabenden Worte kamen viel später".

*** Ganz ohne hochtrabende Worte wird derzeit in Berlin "Die fünfte Macht" gedreht, ein Film über die Anfänge von Wikileaks. Die liegen unter anderem in Deutschland, wo Julian Assange sich vor dem großen Coup mit "Collateral Murder" aufhielt, wo Daniel Schmidt bei verschiedenen Providern die Server-Racks versteckte, auf denen geleakte Dokumente abgelegt wurden. Im Dezember 2007 hatte Assange auf dem 24C3 des Chaos Computer Clubs seinen ersten Auftritt vor 20 Leutchen, denen er die erste Aktion erläuterte, die Veröffentlichung des Handbuches der US-Schergen von Guantánamo. Nun will der Chaos Computer Club absolut nichts mit Steven Spielberg und Firma Dreamworks zu tun haben und untersagte den Dreh in seinen Räumen – die entsprechende Chaoten-Szene wurde deshalb im stillgelegten Tacheles gedreht. Wenigstens das bcc als Ort vieler CCC-Kongresse hat zugesagt, das bcc zu spielen, und findig verfremdete Logos und jede Menge Hacker-Komparsen aufzunehmen. Für diese Komparserei wurden Dicke abgewiesen, Hacker sind nun einmal dünn. Der Film, von dem es erste Bilder gibt, missfiel Assange wegen einer Irak-Szene. Diese wurde prompt überarbeitet. Was bleibt, ist der Protest von Peta gegen die Quälerei von Katzen. Ein Dutzend fette Taschentiger wurden für Kater Schmidt gecastet, dem Assange eine Psychose verpasst haben soll. Darf so etwas Grausames gefilmt werden?

*** Weil in der norddeutschen Tiefebene außer einem missratenen Stimmenverleih nichts wirklich Wichtiges passierte und sich die paar Piraten wie erwartet auf der geliebten Tiefebene in einem dünn besiedelten, aber riesig großen Flächenland verirrten und im Morast der Transparenz versackten, schwenken wir umstandlos nach München. Dort trafen sich die Bobos in ihrem Laufstall des HVB-Forums, während ein Stockwerk über ihnen die DLD-Konferenz zum Thema Big Data tagte. Originalton DLD: "Der Zugang zu Big Data, die dynamische Erzeugung und Auswertung von immer mehr Daten, eröffnet Unternehmen weltweit neue Möglichkeiten. Grundlage dafür ist auch ein verändertes Kaufverhalten: Konsumenten wollen Produkte rund um die Uhr und auf sämtlichen Geräten kaufen können und geben dafür Daten preis. So lassen sich Konsumentenwünsche präziser entschlüsseln, auch ortsbasiert. DLD13 legt einen Schwerpunkt auf dieses datenbasierte, kreative Unternehmertum und stellt die wichtigsten Entwicklungen vor." Das Fazit: Big Data ist ganz wunderbar, erst recht, wenn es die richtigen Progger dafür gibt. Den Auftrieb der schicken Bobos störte eigentlich nur der Investor Klaus Hommels, der innovative Ideen in diesem Sektor nur bei jungen Programmierern verortete, die aus sozial zerrütteten Familien kommen. Sie allein haben den Ehrgeiz, sich durchzubeißen und nicht wie ein Dariani über verpasste Knete zu jammern.

*** München, München, da war noch was? Richtig, das Projekt Limux sorgte für Schlagzeilen und heftigste Forenkämpfe. Ein Berater von Hewlett-Packard fertigte für Microsoft eine Studie an, nach der Limux in 10 Jahren 60 Millionen Euro kostet, während der Einsatz von Microsoft-Software nur 17 Millionen gekostet hätte. Ein Blick in die Zusammenfassung der Studie verrät, wes Geistes schräges Kind Berater manchmal sind. Es gibt etliche kritische Passagen zum Wildwuchs von Linux-Distributionen und Office-Forks, denen man zustimmen kann. Aber die beiden zentralen Tabellen (siehe nebenstehende Screenshots) arbeiten durchweg mit Schätzwerten aus anderen Projekten. Auffällig ist, dass die Kosten der identischen IT-Mitarbeiter für die Umstellung der Clients unter Linux mit 15 Millionen Euro angegeben sind, unter Microsoft Windows mit 5 Millionen. Zudem kosten die Client-Lizenzen unter Linux knapp 23 Millionen, unter Windows nur 49.000 Euro. Das sind die Batzen, die zur großen Differenz bei den Kosten führen. Aber auch in anderen Details knirscht es. Für die Umwandlung von Dokumenten in das XML-Format werden 2 Millionen veranschlagt, für die Weiterbehaltung des DOCX-Formates von Microsoft 105.000 Euro. Weil der Browser in Windows integriert ist, liegen die Softwarekosten bei 0, während sie bei Linux immerhin noch 11.000 Euro ausmachen. Auch ist die Weiterbildung in den 10 Jahren unter Windows mit 5 Millionen Euro genau halb so teuer angesetzt wie unter Linux. Ich mach die Welt, wie sie mir gefällt, kennt man eigentlich nur von Pippi Langstrumpf. Jetzt wissen, wir, dass auch HP-Berater Kinderbücher schreiben können, Negerkönig hin, Südseerpinzessin her.

Und wo bleibt das Positive? Es ist natürlich diese Linux-Nachricht von Valve Software, der von Anarchisten gemanagten Software-Firma, "Boss-free" seit 1996. Wer sich durch das Handbuch der Firma gearbeitet hat, weiß besser als DLD-Teilnehmer oder Davoser Alienforscher, was die Zukunft bringen kann. Auch wenn manchmal noch nicht ganz klar ist, wie wir leben wollen.

Was wird.

Am 5. Februar geht an der Universität Düsseldorf das mit 14 Ja-Stimmen und einer Enthaltung beschlossene Hauptverfahren weiter, in dem über die Dissertation von Bildungsministerin Schavan geurteilt wird. Plagiat oder nicht, mit diesen Zeilen zwischen Genie und Ziegenkäse hat sich ein Aufschreier zu Wort gemeldet, mit einem miesen Männerwitz. Aufschrei, Aufschrei, da war doch was? Sind das nicht Sachen, die dauernd passieren? Richtig, und weil es nicht aufhört und weiter brüderlet oder wagnerschleimt, sind klare Worte angemessen, auch in der IT-Welt. Doch aus den politischen Lagern ist nur outiniertes Stimmengeleier zu hören, vielleicht mit Ausnahme der Frauenfeindlichen Partei Deutschland, die keine Wählerinnen hat. Willkommen im Wahlkampf.

Im Vergleich zu anderen Industrien ist die IT-Branche verhältnismäßig gut dran. Aber wirklich jeder und jede, die ich in diesen Tagen befragte, kennt abwertende Sprüche über Programmiererinnen, Managerinnen und Melinda Gates. Dagegen stehen Aktionen gegen die sexistische Kackscheiße, die Creeper Card Moves, und auch die Frauen und Männer, die Steve Jobs Motto weiter gedacht haben: Stay present, stay vulnerable. Jeder Mensch ist verletzlicher als jeder Computer. Witze über den Tatsch Screen sind niemals eine "humorvolle Ergänzung", sondern Ausdruck der Miefigkeit der Gesellschaft. Es kann, es muss besser werden. (jk)