Lenovo Deutschland: Jetzt auf Allrad-Antrieb umschalten!

Hat Lenovo wirklich Interesse an einer Übernahme von Blackberry-Hersteller RIM? heise-resale-Kolumnist Damian Sicking ist skeptisch und vermutet hinter einer entsprechenden Äußerung des Lenovo-Finanzchefs Taktik, um die Preise für RIM & Co. in die Höhe zu treiben. Richtig ist eins: Lenovo muss jetzt mit Smartphones kommen – wie in China.

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Von
  • Damian Sicking

Lenovo-Geschäftsführer Stefan Engel

(Bild: Lenovo)

Lieber Lenovo-Geschäftsführer Stefan Engel,

jetzt sind Sie auch schon wieder ein halbes Jahr bei Lenovo in Amt und Würden. Wie die Zeit verfliegt! Ich hoffe, Sie haben noch immer so viel Freude wie am ersten Tag. Das Geschäft läuft ja verhältnismäßig gut, jedenfalls im Vergleich zur Konkurrenz. Inzwischen hat Lenovo auch in Sachen Bekanntheitsgrad einen großen Schritt nach vorne gemacht. Das war ja in den vergangenen Jahren ein großer Schwachpunkt, vor allem hier in Deutschland. Inzwischen glauben immer weniger Menschen, dass es sich bei Lenovo um ein Waschmittel handelt (das heißt natürlich "Lenor").

In diesem Zusammenhang besonders interessant: Nach einer aktuellen Untersuchung konnte Lenovo von allen Marken in Deutschland sein Image im vergangenen Jahr am stärksten verbessern. Die Berichterstattung darüber – unter anderem in der Wirtschaftswoche und bei Bild-online ("Der Top-Aufsteiger in der Image-Studie war Lenovo. Der Hersteller der günstigen Computer gewinnt immer mehr Fans in Deutschland.") – wird diesen Effekt sicher noch einmal verstärken. Wir erinnern uns: Vor einem Jahr brachte der Focus noch eine Geschichte unter der Headline "Lenovo: der unbekannte Welteroberer". Angesichts der jüngsten Umfrageergebnisse muss es für Sie befriedigend sein zu sehen, dass die millionenschwere Werbekampagne im vergangenen Jahr kein rausgeschmissenes Geld war.

Trotz der guten Entwicklung kann man nicht daran vorbeisehen: Der PC-Markt schwächelt, und so wie es aussieht, handelt es sich dabei nicht um eine vorübergehende Delle. Marktführer in einem schrumpfenden Markt zu sein kann auch keine Unternehmensstrategie sein. Im Wachstumsmarkt Tablet-PC gehört Lenovo hier in Deutschland nicht zu den marktführenden Anbietern, und im Smartphone-Geschäft spielen Sie überhaupt keine Rolle. Doch das soll sich ändern. Wie Lenovo-Chef Yang Yuanqing gerade auf der CES in Las Vegas ankündigte, wird das Unternehmen nun auch damit beginnen, in Europa eigene Smartphones anzubieten. In anderen Ländern ist Lenovo in diesem Segment bereits erfolgreich tätig. Besonders stark im Heimatland China, wo der Marktanteil nach Angaben von Yuanqing bei 45 Prozent liegt – das bedeutet Platz 1 vor Apple und Samsung.

In diesem Zusammenhang sorgte eine Aussage von Lenovos Finanzchef Wong Wai Ming am Rande des World Economic Forum in Davos für Aufsehen in der Branche. In Bezug auf eine (Teil-) Übernahme von Blackberry-Hersteller Research in Motion (RIM) sagte er: "Wir schauen uns alle Möglichkeiten an – RIM und viele andere." Kaum ausgesprochen, legte der Aktienkurs von RIM sogleich deutlich zu – der übliche Reflex halt an den Märkten.

Tatsache ist ja, dass einige Unternehmen von Weltgeltung derzeit recht günstig zu haben sind. RIM ist eines davon. Die Marktkapitalisierung des Blackberry-Herstellers liegt derzeit bei unter sieben Milliarden Euro. Aber auch andere Hersteller gibt es momentan zum Schnäppchenpreis. Sony zum Beispiel kostet momentan unter zehn Milliarden Euro, am Börsenwert gemessen. Gut zwölf Milliarden Euro beträgt die Marktkapitalisierung von Nokia. Und dann gibt es ja auch noch Sharp (aktueller Börsenwert: rund drei Milliarden Euro), das sich bei der Bewältigung seiner Krise gerne von Lenovo helfen lassen würde.

Ich bin tatsächlich nicht sicher, ob Lenovo ein wirkliches Interesse an einer Übernahme von RIM oder einem der anderen Kandidaten hat. Vielleicht steckt hinter solchen Äußerungen auch nur Taktik. Was ich mir gut vorstellen kann, ist, dass Wong mit seinen Bemerkungen lediglich die Börsenkurse der in Frage kommenden Unternehmen nach oben treiben möchte. Denn andere Hersteller, vor allem Lenovo-Konkurrent Dell, müssten viel dringender im Bereich Smartphone zukaufen als Lenovo, die ja über eigene Geräte verfügen. Doch je teurer RIM, Nokia oder auch Sony sind, desto schlechter für Dell und desto besser für Lenovo.

Aber vielleicht irre ich mich auch. Jedenfalls scheint mit jetzt der richtige Zeitpunkt zu sein, dass Lenovo seine Smartphones nach Deutschland importiert und hier angreift. Denn der Lenovo-Schlachtruf lautet ja "Protect and Attack". Nachdem Sie jetzt im PC-Markt an der Spitze stehen, müssen Sie diesen Platz verteidigen und auf neuem Terrain angreifen. Mit anderen Worten: Lenovo sollte im verschneiten und vereisten Deutschland jetzt vom Vorderrad- auf Allrad-Antrieb umschalten.

Beste Grüße!

Damian Sicking

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