"Technik gibt der Politik die Seele zurück"

Der US-Politikberater Joe Trippi berichtet, wie das Internet den Wahlkampf verändert hat und was das Geheimnis hinter Barack Obamas Erfolgen ist.

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Von
  • Joe Trippi

Der US-Politikberater Joe Trippi berichtet, wie das Internet den Wahlkampf verändert hat und was das Geheimnis hinter Barack Obamas Erfolgen ist.

Als Wahlkampfhelfer für Ted Kennedy erlebte ich 1979 den Einsatz der damals technisch fortschrittlichsten Wahlkampfmethode: Ein Callcenter rief alle registrierten Demokraten und unabhängigen Wähler an und erstellte eine Karteikarte mit Name, Adresse, Telefonnummer sowie einem spe- ziellen Code: "A1" stand für sichere und "A2" für voraussichtliche Kennedy-Wähler; "A3" kennzeichnete Unentschlossene, "A4" überzeugte Anhänger des Gegenkandidaten. Die Wahlkampfhelfer erhielten dann einen Schuhkarton voller Karteikarten und riefen die Leute nochmals an, um sie zu überzeugen.

Daran änderte sich jahrzehntelang kaum etwas. Die Karteikarten wurden zwar irgendwann durch Computerausdrucke ersetzt, doch das Codesystem blieb im Prinzip gleich. Schlimmer noch: Immer weniger Mittel flossen in die Feldarbeit und den direkten Wählerkontakt. Dafür wurden 30-Sekunden-Spots im Fernsehen immer wichtiger – Jahr für Jahr, in jedem politischen Lager. Dieser Top-down-Ansatz raubte der Politik ihre Seele – nämlich die aktive Teilnahme der Bürger am Wahlkampf.

Doch neue Technologien hauchen sie ihr wieder ein. Die Präsidentschaftskampagne 2004, als Howard Dean gegen George W. Bush antrat und bei der ich Wahlkampfmanager war, dürfte als erste internetbasierte Kampagne in die Geschichte eingehen. Sie sollte den Leuten helfen, sich selbst zu organisieren und wieder aktiv an der Politik teilzunehmen. Über Online-Plattformen gelang es, eine motivierte Wahlkampforganisation mit 650000 Menschen aufzubauen und einen neuen Spendenrekord aufzustellen.

Die Kampagne von Dean war eine große Pionierleistung, doch sie kam zu früh. 2003 verfügten zwar 55 Millionen Haushalte in den USA über Internet, aber Breitbandverbindungen waren noch rar. Und es gab weder YouTube noch Facebook, Twitter oder das iPhone. Erst bei der nächsten Wahl lieferten die sozialen Netzwerke genug Schub, um das neue Modell abheben zu lassen. Obamas Sieg 2008 brachte eine halbe Milliarde Dollar an Spenden und 13 Millionen Menschen als Online-Unterstützer ein. Noch wichtiger aber war, dass er die Grundlage dafür legte, den Wahlkampf von 2012 mit "Big Data" (riesigen Datenmengen) zu munitionieren.

Die Datenbanken lieferten die Namen von 69 Millionen Wählern, die bei der letzten Wahl für Obama gestimmt hatten – und erlaubte es dem Wahlkampf- team, diese erfolgreiche Gemeinschaft Stimme für Stimme wieder neu aufzubauen. Außerdem verriet Big Data, welche Wähler noch unentschlossen waren, und sogar, welche Anhänger der gegnerischen Republikaner sich eventuell noch umstimmen ließen. In diesem Wahlkampf wurden über 100 Millionen Dollar allein dafür ausgegeben, das größte soziale Netzwerk in der Geschichte der Politik aufzubauen. Millionen Amerikaner tauschten sich über Themen aus, die sie wirklich betrafen. Dies war viel wirkungsvoller als die Milliarden für TV-Spots ausgegebenen Dollar.

Mitt Romneys Wahlkampfteam machte 2012 den gleichen Fehler wie Hillary Clinton bei der Vorwahl 2008: Es führte eine althergebrachte Top-down-Kampagne. Als professioneller Polit-Stratege hat mich das überrascht: Ich habe nicht erwartet, dass irgendjemand dies noch einmal ausprobieren würde. Aber die Republikaner haben die neue Politik nicht verstanden, und die Wahl wurde zu einer Schlappe. Doch noch viel schwerer als für Romney oder die Republikanische Partei war die Niederlage für all die Meinungsforscher, Berater und Einflüsterer, die den alten Politik-Stil weiterverfolgt haben.

Lassen sich die Methoden, welche die Wahl gewonnen haben, auch zum Regieren nutzen? In seiner ersten Amtszeit hat Obama davon wenig Gebrauch gemacht. Doch nun hat er sein Netzwerk bereits mobilisiert, um im Schuldenstreit Druck auf den Kongress auszuüben. Dank Big Data und eines großen Netzwerks von Unterstützern sind Präsidenten in ihren zweiten Amtszeiten künftig vielleicht weniger lahm.

All diese Veränderungen sind tiefgreifend, aber nicht ausschließlich positiv. Obamas Innovationen lassen sich auch nutzen, um Menschen zu manipulieren. Aber für mich fühlt es sich so an, als ob Technik der Politik ihre Seele zurückgegeben hat. (bsc)