Gemeinsam sind wir Megawatt

"Next Kraftwerke", ein Spin-off der Universität Köln, ist ein Vorreiter auf dem Regelenergiemarkt. Der ist insbesondere für Biogasanlagen attraktiv – sofern sie sich vernetzen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Boris Hänßler

"Next Kraftwerke", ein Spin-off der Universität Köln, ist ein Vorreiter auf dem Regelenergiemarkt. Der ist insbesondere für Biogasanlagen attraktiv – sofern sie sich vernetzen.

Der Kölner Stadtteil Ehrenfeld ist von Bürgerhäusern aus der Gründerzeit und von Industriedenkmälern geprägt. Hier hatten einst die Vulkan-Werke ihren Sitz. 1928 erhielt der Gaslaternen-Hersteller von der Stadt Köln den Auftrag, zur Internationalen Presse-Ausstellung die gesamte Stadtskyline hell zu erleuchten – das Spektakel machte weltweit Schlagzeilen. In den oberen beiden Stockwerken des einstigen Vulkan-Kontorhauses sitzt heute die Next Kraftwerke GmbH. Sie will ein zentrales Problem der Energiewende mit marktwirtschaftlichen Mitteln lösen – die unregelmäßige Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom.

Der Weg nach oben führt über eine große stählerne Treppe. Im Flur steht ein Kickertisch, etwas weiter hinten ist ein Tresen, an dem junge Mitarbeiter ihr Mittagessen einnehmen. Es herrscht eine typische Start-up-Atmosphäre. Hektik sucht man vergebens – und Großaktionen wie zu Vulkan-Zeiten gehen von hier auch nicht aus. Dennoch könnten Firmen wie Next einen entscheidenden Baustein für das Gelingen der Energiewende liefern.

Das Unternehmen ist eine Ausgründung aus dem Energiewirtschaftlichen Institut der Uni Köln. Die beiden Gründer und Geschäftsführer Hendrik Sämisch und Jochen Schwill erforschten in ihrem Dissertationsprojekt, wie sich der Strommarkt mit dem Umstieg auf erneuerbaren Energien entwickeln wird. Ihnen war schon früh klar, dass damit auch die Bedeutung der sogenannten Regelenergie wächst. "Wenn eine unvorhergesehene Flaute herrscht oder ein Fußballspiel in die Verlängerung geht, kommt es zu kurzfristigen Schwankungen auf dem Strommarkt", erklärt Sämisch. Für solche Fälle müssen Netzbetreiber zu jeder Stunde Reservekapazitäten vorhalten – die besagte Regelenergie. Sie wird derzeit überwiegend von teuren Gaskraftwerken gestellt oder von Pumpspeichern, die sich kaum noch weiter ausbauen lassen.

Hier erblickten die Gründer ihre Chance. "Wir wollten die Energiewende unterstützen und eine geschäftliche Nische finden", sagt Hendrik Sämisch. Denn für den Betreiber einer einzelnen kleinen Anlage ist der Zugang zum lukrativen Regelenergiemarkt versperrt: Wer etwa auf dem Minutenreservemarkt mitspielen möchte, muss mindestens fünf Megawatt Leistung mitbringen. Hier kommt Next ins Spiel. Ihr Geschäftsmodell besteht darin, viele kleine Privatkraftwerke zu einem einzigen virtuellen Kraftwerk zu verbinden, um wertvolle Regelenergie auf dem Strommarkt anbieten zu können. Auf diese Weise überwindet Next die Fünf-Megawatt-Hürde. "Es gab bereits viele staatlich geförderte Modellprojekte, aber wir wollten das Prinzip auf dem Markt auszuprobieren", so Sämisch.

Als die Idee für das Geschäft gereift war, brachen die beiden ihre Dissertationen ab, erhielten ein Ausgründungsstipendium der Universität und sammelten Wagniskapital ein. Ende 2009 gründeten die beiden die GmbH, ein Jahr später konnten sie schon die ersten Anlagen vernetzen. Heute hat das Unternehmen knapp 30 Mitarbeiter sowie Standorte in Tübingen, Hamburg und Leipzig. Im Kraftwerkspool befinden sich rund 200 Biogasanlagen mit einem halben bis einem Megawatt Leistung. Dazu kommen Windräder, Solaranlagen, Blockheizkraftwerke und Notstromaggregate, etwa von Krankenhäusern.

Dreh- und Angelpunkt des Systems ist die eigens entwickelte "Next-Box". Jede Anlage wird über dieses Kästchen mit dem Leitsystem in Köln verbunden. Der Regelprozess läuft automatisch ab: Netzbetreiber melden lediglich das benötigte Stromvolumen, die Anforderung wird dann innerhalb von vier bis fünf Sekunden in Köln verarbeitet und an die angeschlossenen Mini-Kraftwerke weitergeleitet. Das Start-up verkauft die Kilowattstunden sowohl am regulären Strom- als auch am Regelenergiemarkt. Zusätzliche Unterstützung bekam das Geschäftsmodell im Januar 2012.

Seitdem fördert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Direktvermarktung von Ökostrom. Wenn Anlagenbetreiber mit dem direkten Verkauf ihrer Kilowattstunden weniger erlösen als durch die Einspeisevergütung, erhalten sie als Ausgleich eine sogenannte Marktprämie. Erzielen sie einen Preis über dem EEG-Satz, können sie den zusätzlichen Gewinn einstreichen. Die Stromlieferanten gehen also kein Risiko ein, wenn sie Next beauftragen, ihre Kilowattstunden zu vermarkten.

Sogar nicht erzeugter Strom lässt sich zu Geld machen – in Form von "negativer Regelenergie". Wenn ein Stromüberschuss droht, das Netz zu überlasten, kann der Next-Kraftwerksverbund die Produktion herunterfahren. Er bekommt dafür Geld von den Netzbetreibern. Im Februar 2012 hat Next erstmals 18 Megawatt (MW) negative Regelleistung verkauft. Insbesondere Biogasanlagen eignen sich dafür. "In fünf Minuten können die Anlagen vollständig deaktiviert werden", sagt Sämisch. Anders als etwa bei Windrädern geht bei Biogasanlagen keine Energie verloren, wenn sie vorübergehend abgeschaltet werden. Sie können Gas für ein paar Stunden speichern und später wieder verstromen.

Der Betreiber einer Anlage optimiert auf diese Weise ohne Investitionskosten seinen Ertrag. Für ein 1-Megawatt-Aggregat stellt Sämisch 20000 Euro pro Jahr an zusätzlichen Einnahmen in Aussicht – allein dadurch, dass die Anlage zur Verfügung steht und die Regelenergie zehnmal für je eine Stunde abgerufen wird. Next verdient an einer Provision in nicht genannter Höhe für seine Dienste.

Der Markt ist groß. Nach Zahlen der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe gab es 2011 in Deutschland 7100 Biogasanlagen mit etwa 2780 MW installierter Leistung, und es kommen immer mehr hinzu. Sämisch schätzt, dass jeden Monat etwa 100 MW in die Direktvermarktung wechseln. Von diesem Potenzial möchten allerdings auch Mitbewerber profitieren, darunter die Unternehmen TeraJoule Energy und energy2market. TeraJoule aus Frankfurt verkauft über die Marke "Clean Energy Sourcing" Ökostrom unter anderem direkt an Kunden aus der Industrie. Im Bereich Regelenergie hat TeraJoule derzeit 50 MW in seinem Pool vernetzt. "Wir konnten in drei Jahren unseren Umsatz bei der Direktvermarktung fast verzehnfachen", sagt Geschäftsführer Frank Baumgärtner. Er schätzt, dass erst etwa 20 Pro-zent aller Anlagen vernetzt sind: "Das Potenzial ist nach wie vor gewaltig."

In naher Zukunft möchte Next rund 500 MW vernetzen – damit würde das virtuelle Kraftwerk ein mittleres Kohlekraftwerk ersetzen. Zum Vergleich: Der aktuelle Bedarf an Regelleistung im deutschen Stromnetz bewegt sich im mittleren vierstelligen Megawatt-Bereich. Mit der versammelten Klein-erzeugerleistung ließe sich also schon ein erklecklicher Teil davon abdecken.


Mehr Hintergründe zum Thema Energie finden Sie im "Leitfaden Energiewende – 56 Antworten auf die wichtigsten Fragen", dem neuen Special von Technology Review. Hier können Sie das Heft bestellen.