Örtliche Flaute

Unerschöpflich, klimaschonend, vergleichsweise preiswert – Windenergie hat viele Vorteile. Weltweit schreitet ihr Ausbau daher rasant voran. In Deutschland hat die Branche jedoch mit sechs großen Hindernissen zu kämpfen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 35 Kommentare lesen
Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Christoph Seidler
Inhaltsverzeichnis

Unerschöpflich, klimaschonend, vergleichsweise preiswert – Windenergie hat viele Vorteile. Weltweit schreitet ihr Ausbau daher rasant voran. In Deutschland hat die Branche jedoch mit sechs großen Hindernissen zu kämpfen.

Gleich in seiner ersten Rede bei einem Kongress der Zeitung "Die Welt" stimmte der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier das Loblied auf die riesigen Rotortürme an, nur wenige Stunden nachdem er am 22. Mai seine Ernennungsurkunde erhalten hatte. "Die Windenergie wird das Rückgrat der Energiewende bleiben, Offshore und Onshore zusammengenommen", so Altmaier. Tatsächlich sind Windräder aktuell vor Photovoltaik, Biomasse und Wasserkraft der wichtigste Lieferant für erneuerbare Energie in Deutschland. Wasserkraft, die in der weltweiten Gesamtschau noch vor der Windkraft rangiert, spielt hierzulande nur eine kleine Rolle.

CO2-freie Stromerzeugung, sinkende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, vergleichsweise niedrige Kosten – all das spricht dafür, den Windstrom zum "Lastpferd der Energiewende" zu machen, wie der frisch ernannte Minister es ausdrückte. Die Öffentlichkeit scheint positiv eingestellt: Nach einer Studie der Stiftung Mercator und der Universität Stuttgart bevorzugen Deutschlands Bürger die Windenergie vor Solarthermie, Photovoltaik und Biomasse für die Energieerzeugung; die Atomkraft landet auf dem letzten Platz.

Warum geschieht der Ausbau dennoch schleppend? Bisher gibt es in Deutschland insgesamt rund 22660 Windkraftanlagen, die es zusammen auf 30 Gigawatt Leistung bringen (Stand Ende Juni 2012). Pro Jahr wächst die Windkraftleistung in Deutschland aber um gerade einmal zwei Gigawatt – höchstens. Nach den Boomjahren Anfang des Jahrtausends, als teilweise mehr als 2000 Anlagen pro Jahr hinzukamen, waren es 2011 noch 895, eine Verlangsamung, auch wenn die Leistung pro Anlage gestiegen ist und die Zahlen daher nur eingeschränkt vergleichbar sind.

Im Jahr 2011 war die Windkraft für 7,6 Prozent der heimischen Energieproduktion verantwortlich. Bei diesem Tempo ist das Ziel der Bundesregierung, dass die Mühlen im Jahr 2050 die Hälfte des deutschen Stroms liefern, nahezu unerreichbar. Nach den Plänen des Bundesumweltministeriums müssten dazu 45 Gigawatt onshore und 85 Gigawatt offshore installiert sein.

Theoretisch wären zwar sogar weit höhere Werte möglich, wie eine Analyse des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel zeigt: Die Forscher haben sich das Potenzial angesehen, das allein für Windkraft an Land vorhanden ist, wo sie eine Nutzung von zwei Prozent der deutschen Fläche für realistisch halten. Daraus ergäbe sich eine rechnerische Gesamtleistung von 198 Gigawatt – 65 Prozent des deutschen Stromverbrauchs ließen sich so decken, legt man die Daten von 2010 zugrunde. Und dazu käme noch der Strom von den Windrädern auf hoher See. In der Praxis jedoch bremsen sechs große Hindernisse die Entwicklung.

1. Windkraft ja, aber nicht hier

Begeisterung im Norden und Osten, Skepsis im Süden – lange war der Ausbau der Windenergie in Deutschland eine ziemlich asymmetrische Angelegenheit: Derzeit stehen die meisten Anlagen in Niedersachsen, gut 7000 Megawatt (MW) installierte Leistung; im Leistungs-Ranking folgen Brandenburg (rund 4600 MW) und Sachsen-Anhalt (rund 3700 MW). Nach dem Beschluss zur Energiewende wollen Bayern und Baden-Württemberg inzwischen auch je 3500 Megawatt Windkapazität aufbauen. "Wir werden in den kommenden Jahren noch mehr Dynamik bekommen, weil sich die politischen Rahmenbedingungen geändert haben", sagt Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena).

Nach den Statistiken des Bundesverbands WindEnergie hat Bayern beim Zubau im ersten Quartal 2012 bereits die Nordländer überholt. Doch noch immer stören Geräuschentwicklung und Schattenwurf von Windkraftanlagen viele Menschen. Gesellschaftlich mögen die Rotoren anerkannt sein – doch kaum jemand will auch in ihrer Nähe leben. Das mag sich irgendwann ändern, doch einstweilen sind die Windkraftgegner schwer zu überhören: In Hessen hat der Naturschutzbund (Nabu) beispielsweise vor Gericht die Abschaltung von fünf Windrädern im Vogelsberggebiet erstritten, um seltene Rotmilane und Schwarzstörche zu schützen.

Solche Konflikte dürften zunehmen, weil Länder wie Baden-Württemberg ihre Wälder für die Windkraft öffnen wollen – wenn auch nur in "ökologisch weniger kritischen" Bereichen. In manchen Fällen können Bürgerwindparks für mehr Akzeptanz sorgen, weil potenzielle Kritiker so zu Co-Eigentümern werden. "Früher haben sich die Leute über Diskoeffekt und Schattenwurf beschwert. Jetzt ärgern sie sich, wenn die Windkraftwerke stehen und sie kein Geld verdienen", berichtet Dena-Geschäftsführer Kohler.

2. Kostengrab Offshore

Strom auf dem Meer zu erzeugen, wo der Wind stetig weht – das klingt nach einem guten Plan. Entsprechend ambitioniert sind die Zielvorgaben der Bundesregierung: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen zehn Gigawatt Offshore-Windleistung vor Deutschlands Küsten stehen; das sind etwa 3000 Windräder. Bis 2030 sollen es sogar 25 Gigawatt (GW) werden. Ob das Vorhaben in Erfüllung geht, ist ungewiss. Immer wieder werkelte die Politik am Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herum: Weil zunächst kaum jemand investieren wollte, stiegen die Subventionen von 9 auf 13, 15, dann sogar 19 Cent pro eingespeiste Offshore-Kilowattstunde in den ersten Betriebsjahren. Doch gebaut wurde trotzdem woanders: Mehr als die Hälfte der weltweit installierten Offshore-Anlagen (Ende 2011: 4,1 GW) steht vor Großbritannien (2,1 GW), dahinter folgen Dänemark (0,9 GW) und die Niederlande (0,25 GW).

Deutschland liegt aktuell bei 0,2 Gigawatt. Gerade einmal 55 Anlagen vor hiesigen Küsten liefern bisher Strom – in den Windparks "Alpha Ventus" (12 Windräder, rund 45 Kilometer vor Borkum), "Bard 1" (16 von 80 Windrädern in Betrieb, knapp 90 Kilometer vor Borkum) und "Baltic 1" (21 Windräder, 16 Kilometer vor der Halbinsel Darß). Der Rest existiert vor allem auf dem Papier:

In der Nord- und Ostsee sind derzeit 29 Parks mit insgesamt 2081 Windrädern genehmigt. Für 94 Parks mit 6624 Rotoren werden die Unterlagen geprüft. "Zwei Gigawatt Offshore-Leistung gehen dieses Jahr in Bau", verspricht zwar Andreas Wagner von der Stiftung Offshore-Windenergie. "Wir sind dabei, zu den Briten deutlich aufzuholen." Doch Hermann Albers vom Bundesverband WindEnergie ist skeptisch: "Die Offshore-Ausbauziele sind viel zu ambitioniert." Bestenfalls sechs bis sieben Gigawatt bis 2020 seien realistisch.