Der Billionen-Euro-Irrtum

Auf 1.000.000.000.000 Euro, erklärte Bundesumweltminister Peter Altmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, würden sich die Kosten der Energiewende bis „Ende der dreißiger Jahre“ belaufen. Wer nachforscht, merkt: Altmaier scheint sich gerne zum Nachteil der Wende zu verrechnen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Robert Thielicke

Auf 1.000.000.000.000 Euro, erklärte Bundesumweltminister Peter Altmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, würden sich sich die Kosten der Energiewende bis „Ende der dreißiger Jahre“ belaufen. Wer nachforscht, merkt: Altmaier scheint sich gerne zum Nachteil der Wende zu verrechnen.

Sein Zahlenspiel verrät zweierlei: Erstens, welch exorbitante Summen nach der Finanzkrise nötig sind, um die Menschen zu erschrecken. Und zweitens, dass Altmaier entweder erschrecken wollte – oder schlecht kalkulieren kann. Denn ein wesentliches Element seiner mathematischen Gleichung sind die derzeit geringen Preise an der Leipziger Strombörse. Dort wird der Marktpreis für Elektrizität verhandelt. Liegt er niedrig, steigt der EEG-Anteil an den Stromkosten, damit die Betreiber von Windparks oder Solaranlagen ihre garantierte Vergütung bekommen. So weit, so richtig. Der Punkt ist nur: Gäbe es die Erneuerbaren nicht, würde der Börsenpreis deutlich höher liegen.

Der Grund liegt in der Eigenart der Windenergie und Sonnenkraft, Strom nicht nach Bedarf, sondern nach Wetter zu produzieren. Damit erzeugen sie immer wieder gigantische Überschüsse vor allem zur Mittagszeit – also dann, wenn Elektrizität traditionell am teuersten war. Nun drücken die Überschüsse den Preis. Hinzu kommt, dass die Errichtung der Solar- und Windkraftwerke zwar große Summen verschlingt – beim Betrieb selbst aber keine Brennstoffkosten anfallen. Wer also ohne Erzeugerkosten Strom produziert und ihn nicht speichern kann, verkauft lieber zu Dumping-Preisen als gar nicht.

Beide Mechanismen senken die Preise in Leipzig auf historische Tiefstände. Im Januar wurde die Megawattstunde dort im Schnitt für 43,31 Euro gehandelt. 2011, um nur eines der Vorgängerjahre mit geringerem Anteil an Erneuerbaren herauszugreifen, waren es im Jahresdurchschnitt 56 Euro. Die Differenz beläuft sich damit auf 12,69 Euro. Wie viel davon auf das Überangebot aus erneuerbaren Quellen zurückgeht, lässt sich kaum sagen. Aber eine Beispielrechnung zeigt die Dimension, um die es hier geht: 2011 verbrauchte Deutschland 535,2 Millionen Megawattstunden. Für Altmaiers Zeithorizont bis „Ende der dreißiger Jahre“ würde sich die Differenz damit auf ganze 180 Milliarden Euro summieren. Würde Altmaier also richtig rechnen, müsste er zumindest diese Summe von seiner Billion abziehen.

Abzuziehen wäre aber auch ein Teil der Kosten für den Netzausbau. Schließlich müssen Stromtrassen auch ohne Energiewende gebaut, unterhalten und erneuert werden. Die Netzbetreiber und zuvor die Energieversorger haben sich darum nur nicht allzu intensiv gekümmert. Nun diese Kosten der Energiewende anzulasten, ist Lobbyismus, nicht Mathematik.

Welche Summe am Ende wirklich auf der Rechnung steht, kann derzeit niemand sagen. Sollte sie bei 700 oder 800 Milliarden Euro liegen, ist das zweifellos immer noch viel – und ein klares Signal, die Förderung von Wind und Sonne zu überarbeiten. Aber um die Förderung sinnvoll anzupassen, wäre der erste Schritt, richtig zu rechnen. Oder, falls Altmaier das im Stillen getan haben sollte, den Menschen die richtige Rechnung zu präsentieren.


Mehr Hintergründe zum Thema Energie finden Sie im "Leitfaden Energiewende – 56 Antworten auf die wichtigsten Fragen", dem neuen Special von Technology Review. Hier können Sie das Heft bestellen.