"Ist das heute die Geburtsstunde von Big Brother EU?"

Diese Frage stellte ein spanischer Journalist den EU-Innenministern in Lissabon nach deren Beratung über weitere Schritte im Kampf gegen den Terrorismus. Nach Meinung des EU-Ratsvorsitzenden Rui Pereira muss es "Grenzen für die Freiheit" geben.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zog eine saure Miene, EU-Justizkommissar Franco Frattini winkte mit großer Geste ab. Sie reagierten auf eine Frage, die in der Luft lag. Vier Stunden lang hatten die Innenminister der 27 EU-Staaten am Montag in Lissabon über weitreichende Schritte im Kampf gegen Terroristen beraten, als ein Reporter der angesehenen spanischen Zeitung El País wissen wollte: "Ist das heute die Geburtsstunde von Big Brother EU?"

"Nein", beschied ihn der EU-Ratsvorsitzende und portugiesische Ressortchef Rui Pereira. Niemand in der Ministerrunde wolle auf die Grundrechte der Bürger verzichten. Aber: "Es muss auch Grenzen für die Freiheit geben", meinte der Minister. Für den Ministerrat gelte ganz klar: "Wir brauchen ständig neue Maßnahmen."

An Ideen dafür mangelt es nicht. Kommissar Frattini will Anfang November ein umfangreiches Paket gegen den Terrorismus vorlegen, dessen wesentliche Teile schon vorab die Zustimmung der Minister fanden. Genauere Kontrolle von Reisenden, eine schärfere Überwachung des Internets, eine Verknüpfung von Datenbanken und deren umfassendere Auswertung sind einige Kernelemente des Frattini-Plans.

Dabei werden Tabus gebrochen. Als europäische Datenbanken wie das Visa-Informationssystem (VIS) oder die Fingerabdruck-Kartei für Asylbewerber einst beschlossen wurden, sollten die dort gesammelten Angaben ausschließlich für den jeweiligen Zweck genutzt werden. Nun will Frattini sämtliche Sammlungen vernetzen. "Die Idee dabei ist, alle Hilfsmittel zusammenzuführen und die vorhandenen Technologien besser zu nutzen", erklärte der Kommissar.

Schäuble fordert das schon lange. Und sein luxemburgischer Amtskollege Luc Frieden verlangte in Lissabon ausdrücklich, dass die Polizei mehr Zugriff auf "Datenbanken im Bereich der Immigration" bekommt. Der Ratsvorsitzende Pereira nennt illegale Einwanderung, Menschenhandel und Terrorismus ebenfalls in einem Atemzug, wenn er für ein integriertes Grenzmanagement wirbt.

Dabei hatte ein niederländischer Expertenausschuss den zuständigen Kommissar Frattini bereits Mitte September schriftlich gemahnt: Die EU dürfe bei ihren Entscheidungen auf diesem Gebiet nicht von der Annahme ausgehen, "dass Einwanderer in der EU wie mutmaßliche Terroristen zu behandeln" seien. "Eine solche Politik würde gegen das allgemeine EU-Prinzip der Gleichheit und Nicht-Diskriminierung verstoßen", schrieben die Fachleute zu ihrer Stellungnahme zur Datenbank mit den Fingerabdrücken von Asylsuchenden.

Selbst der Direktor der europäischen Polizeibehörde Europol, Max- Peter Ratzel, bleibt bei Datenbanken mit Fingerabdrücken und anderen biometrischen Daten vorsichtig. Zu ihrer Nutzung seien Schutzklauseln nötig, warnte Ratzel in Lissabon: "Dann muss man abwägen zwischen dem Zugewinn an Sicherheit und dem Schutz der Privatsphäre." Meist sei ein direkter Zugriff der Fahnder auf alle Daten gar nicht nötig, eine zentrale Anfragestelle reiche.

Abgeordnete des Europa-Parlaments haben schon wiederholt vor einer Aufweichung des Datenschutzes gewarnt. Aber solange kein neuer EU-Vertrag in Kraft getreten ist, können die Innenminister allein über die polizeiliche Zusammenarbeit entscheiden. Sie müssen sich nur einig sein. Hegt jemand allzu große Bedenken, antwortet der Ratsvorsitzende Pereira ohne eine Miene zu verziehen: "Wir dürfen die terroristische Gefahr nicht unterschätzen." (Roland Siegloff, dpa) /

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(pmz)