Die neue Kohlekraft
Die Kohlenstoffverbindung Graphen gilt als Wundermaterial. Neue Experimente zeigen, dass damit Solarzellen mit einem Wirkungsgrad von 60 Prozent möglich wären.
- Mike Orcutt
Die Kohlenstoffverbindung Graphen gilt als Wundermaterial. Neue Experimente zeigen, dass damit Solarzellen mit einem Wirkungsgrad von 60 Prozent möglich wären.
Unter den Nanomaterialien ist Graphen spätestens seit dem Physik-Nobelpreis von 2010 der neue Star. Die Kohlenstoffverbindung, die die russisch-britischen Physiker Konstantin Novoselov und Andrei Geim sechs Jahre zuvor beschrieben hatten, hat erstaunliche elektronische Eigenschaften. Ähnlich wie bei den zuvor gehypeten Kohlenstoffnanoröhren sind die Kohlenstoffatome in regelmäßigen Sechsecken angeordnet. Während sie bei den Nanoröhren aufgerollt sind, liegen sie im Graphen als ausgedehnte Schicht von der Dicke eines Atoms vor. Aus diesen Schichten lassen sich nicht nur hauchdünne Transistoren oder Sensoren herstellen – sie könnten auch schon bald als Material für besonders effiziente Solarzellen dienen.
In konventionellen Halbleitern wie Silizium oder Galliumarsenid entsteht für jedes absorbierte Photon ein freibewegliches Elektron. Allerdings nimmt dies nur einen Teil der Energie des Photons auf, der Rest heizt als Wärmeenergie das Kristallgitter des Halbleiters auf. Anders ist es beim Graphen, wie eine Gruppe am Instituto des Ciencias de Fotónicas (ICFO) in Barcelona zeigen konnte: Pro einfallendem Photon können in der Wabenstruktur der Kohlenstoffatome mehrere Elektronen in Bewegung gesetzt werden. Bislang war dies eine Vermutung aufgrund theoretischer Arbeiten gewesen, sagt Frank Koppens vom ICFO. Die Arbeit seiner Gruppe sei nun der erste experimentelle Nachweis dieser Eigenschaft.
Hierzu bestrahlten die Physiker eine Graphenschicht mit einem ultraschnellen Laserpuls genau definierter Energie, der Elektronen anregt und in Bewegung setzt. Diese "heißen" Elektronen stoßen mit anderen Elektronen in der atomaren Wabenstruktur zusammen, die daraufhin ebenfalls beweglich werden. Wie viele solche zusätzlichen beweglichen Elektronen auf diese Weise entstehen, lässt sich mit einem zweiten Laserpuls ermitteln. Je mehr es sind, desto schwächer ist die Durchlässigkeit der Graphen-Schicht für dessen Licht. Wie die Forscher im Journal Nature Physics schreiben, wird so die Hälfte der einfallenden Lichtenenergie des ersten Laserpulses in bewegliche Elektronen umgesetzt – der Wirkungsgrad in der Versuchsanordnung liegt also bei ungefähr 50 Prozent. Unterstützung bekam die Gruppe aus Barcelona von den MIT-Physikern Leonid Levitov und Justin Chien Wen Song, die die Messdaten mithilfe theoretischer Modelle auswerteten.
Koppens sieht die ersten Anwendungen allerdings nicht in der Photovoltaik, sondern in bildgebenden Verfahren. Er sei „einigermaßen zuversichtlich“, sagt Koppens, dass sich mit der Entdeckung etwa Nachtsichtgeräte oder medizinische Fotosensoren verbessern ließen.
In der Photovoltaik könnte Graphen den Weg zur dritten Generation von Solarzellen eröffnen. Sie sollen die Beschränkungen im Wirkungsgrad von heutigen Solarzellen überwinden. Dessen theoretisches Maximum liegt für Silizium-Zellen bei ungefähr 30 Prozent. Graphen-Zellen hingegen könnten theoretisch 60 Prozent der einfallenden Lichtenergie in Strom umwandeln. Bis dahin seien jedoch jede Menge ingenieurwissenschaftliche Aufgaben zu lösen, sagt Koppens. Unklar ist beispielsweise, wie man die Stromentnahme aus Graphen-Schichten konstruieren soll.
Das Paper illustriere ein „sehr wichtiges Konzept“, lobt Andrea Ferrari, Physiker an der University of Cambridge in England, dennoch die Arbeit der ICFO-Gruppe. Ferrari ist mit seinen Kollegen in Experimenten mit Graphen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Die Gruppe aus Cambridge hat ihre Arbeit jedoch noch nicht veröffentlicht.
Besonders faszinierend an der Umwandlung von Licht in Strom bei Graphen sei, dass es „mit Licht jeder erdenklichen Wellenlänge“ funktioniere, sagt Ferrari. „Es gibt kein anderes Material auf der Welt, das diese Eigenschaft hat.“ Hinzu kommt, dass Graphen biegsam ist, zugleich belastbar und in der Herstellung nicht allzu teuer. Es lässt sich leicht mit anderen Materialien kombinieren. Mit den neuen Ergebnissen habe Graphen nun eine dritte interessante Anwendungsmöglichkeit in der Optik bekommen, sagt Ferrari.
Das Paper:

Tielrooij, K. et al.: „Photoexcitation cascade and multiple hot-carrier generation in graphene“, Nature Physics, online veröffentlicht am 24.2.2013 (Abstract)
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