Technische Bildung im Kindergarten

Warum ist der Himmel blau, warum brennt die Kerze? Weil niemand ihren wissbegierigen Kindern Antworten geben konnte, nahmen Heike Schettler und Sonja Stuchtey die Sache selbst in die Hand – und gründeten ein einzigartiges bundesweites Netzwerk.

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Politik und Wirtschaft setzen die falschen Schwerpunkte, um junge Menschen für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern. Dies sagt Sonja Stuchtey, Vorsitzende des „Science-Lab e.V.“, in der aktuellen Ausgabe 3 /2013 der Technology Review (am Kiosk oder direkt im Heise Shop zu bestellen). „Normalerweise wird in der Industrie viel in die Entwicklung und in Prototypen investiert, bevor es in Serie geht“, sagt sie. „In der Bildung ist es umgekehrt.“ Soll heißen: Die Wirtschaft gibt viel dafür aus, um Schulabgänger in Vorbereitungskursen „ausbildungsfähig“ zu machen. Dabei wäre das Geld bei der frühkindlichen Bildung viel besser angelegt, weil die Weichen für ein naturwissenschaftliches Interesse meist schon in Kindergarten- und Grundschulalter gestellt werden.

Vor elf Jahren gründete Sonja Stuchtey gemeinsam mit ihrer Bekannten Heike Schettler Science Lab – und füllte damit eine große Lücke im Bildungssystem: Sie vermittelt Kindern zwischen vier und zehn Jahren Spaß an Naturwissenschaft und Technik. Seit Jahren klagen Firmen und Verbände, dass ihnen der Nachschub an Ingenieuren ausgeht. Doch es war nicht die Frage „Woher soll die Wirtschaft künftig ihre Fachkräfte nehmen?“, die Sonja Stuchtey im Frühjahr 2002 dazu bewegte, ihre gerade erst gegründete Unternehmensberatung aufzugeben. Es waren viel grundlegendere Fragen: „Warum ist der Himmel blau?“ oder „Warum brennt die Kerze?“. Gestellt hatten sie ihre Kinder.Der Nachwuchs von Heike Schettler war ähnlich wissbegierig.

Also trafen sich die beiden Mütter, um gemeinsam mit ihren Töchtern und Söhnen ein wenig herumzuexperimentieren, mit Luft, Wasser oder Backpulver. Die Nachbarn erfuhren davon, brachten ihre eigenen Kinder mit und waren begeistert. Zwei, drei Wochen später hatte sich das bis nach Frankfurt und Berlin herumgesprochen. Befreundete Eltern riefen an und fragten, ob es in ihrer Stadt denn auch so etwas gebe. Schnell ist Stuchtey und Schettler klar: Hier existiert ein riesiger Bedarf, den niemand befriedigt.

Also gründeten sie eine gemeinsame Firma und hängten ein halbes Jahr später ihre alten Jobs an den Nagel. Zunächst bauten sie ein deutschlandweites Franchise-Netz für Nachmittagskurse auf. Deren zentraler Gedanke ist, Kindern keine vorgefertigten Antworten zu geben. Stattdessen sollen sie die Lösung selbst herausfinden.

Weil die kostenpflichtigen Kurse aber nur die Kinder von Besserverdienenden erreichten, die Gebühren aber trotzdem kaum die Kosten decken, hat Science Lab im vergangenen Jahr das Franchise-System wieder abgeschafft und die meisten Aktivitäten von der GmbH in einen eingetragenen Verein verlagert. Inzwischen bestehen nur noch rund 20 Prozent der Science-Lab-Aktivitäten aus Kursen, die durch Teilnahmegebühren getragen werden. 40 Prozent machen Projekttage, Projektwochen oder regelmäßige Arbeitsgemeinschaften an Schulen und Kindergärten aus, weitere 40 Prozent bestehen in Fortbildungen für Pädagogen. „Gerade im frühkindlichen Bereich gibt es extrem wenig Mittel für Fortbildungen“, sagt Stuchtey. Also müssen sie immer wieder in der Wirtschaft nach Sponsoren suchen.

Doch kann es wirklich Aufgabe eines privaten Unternehmens sein, die Lücken des staatlichen Bildungssystems zu stopfen? „Darüber hatten wir viele Diskussionen“, sagt Stuchtey. „Doch nirgendwo steht, dass es Aufgabe des Staates ist, für die Wirtschaft auszubilden.“ Skepsis sei anfangs auch aus dem Bildungsbereich gekommen, ergänzt Schettler. „Da hieß es: Müssen Kinder denn jetzt schon im Kindergarten Abitur machen?“ Doch mittlerweile habe sich das gelegt, und die Akzeptanz sei hoch.

Die Interessen von Wirtschaft und Pädagogen auszubalancieren sei mitunter eine Gratwanderung, gibt die Science-Lab-Gründerin zu. Ohne Absprache mit Lehrern und Erziehern geschehe aber gar nichts. „Wir sind keine Vollstrecker des Firmenziels“, betont Stuchtey. „Es sollen junge Menschen heranwachsen, die Dinge hinterfragen und innovative Ideen produzieren können.“ Darin läge der Mehrwert für Unternehmen – und nicht in der Gelegenheit, eine plakative Werbebotschaft loszuwerden.

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(grh)